mai 2001

Benedikt Grobbauer
gelesen

Thomas Bernhard: Der Atem

Residenzverlag/München, DTV, Salzburg 1978 (1998 aktualisiert)

Das Ende des individuellen Lebens ist eine faktische Tatsache. Dies zu verleugnen, oder sich dessen nicht bewusst zu sein, ist Unsinn. Thomas Bernhard musste diese Tatsache realisieren, als er noch keine 18 Jahre ist und mit einer »nassen Rippenfellentzündung« in das Salzburger Landeskrankenhaus eingeliefert wird.

»Der Atem« ist eine autobiographische Aufzeichnung dieser Zeit. Thomas Bernhard heilt, denkt und erwacht. Das Leben fordert von ihm »eine Entscheidung«. er trifft eine folgenschwere Entscheidung, die er bis zu seinem Tode am 12.2.1989 beibehalten soll, »der Traum aller Stiefväter« entscheidet sich fürs Leben.

Der Entschluss ist bald gefasst, doch der Weg zurück enthüllt sich als zäh, wie der Schleim, welcher der angegriffenen Bernhardschen Lunge im Krankenhaus abgesaugt wird. Die Wahrnehmung ist getrübt, der Leib ans Bett gefesselt. Einzig das Denken setzt seine schneidende Existenz unerbittlich fort.

Lediglich das Ohr, das »philosophischste aller Organe« (Kalkwerk, 1970) untermalt akustisch das Schauspiel der Reflexion. Das Geräusch der Gummiräder auf dem nackten Boden, das Ächzen und Schnaufen der Bestatter im Umgang mit nackten Fleisch und dazu das hilflose lateinische Gemurmel der »Visite«. Doch Thomas Bernhard seziert bereits, wo die anderen noch ihre Skalpelle schleifen. Mit seiner wiederkehrenden Wahrnehmung finden sich auch die Objekte seines gnadenlosen Urteils wieder in der Aussenwelt.

Kurz nach ihrer Entstehung wurden Bernhards Äußerungen öffentlich noch als skandalöse Übergriffe empfunden. Doch diese Übergriffe sind ihm nun verziehen. Wurde doch unlängst im Landestheater Salzburg zum 70. Geburstag Thomas Bernhards schon wieder versöhnlich auf diesen Sohn mit Sekt angestoßen.