mai 2001

Doc Holliday
gelesen

Wolfgang Fritz Haug (Hrsg.): Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus

Argument Verlag, Hamburg 1994 ff

(Bildungs)Bürger kaufen sich Bücher gerne nach Laufmetern. Für diese ZeitgenossInnen ist es dabei eher Nebensache, ob sie die Druckerzeugnisse auch wirklich lesen oder gar kapieren. Hauptsache die dicken Schwarten mit Schweinslederrücken und Goldprägung lassen sich für Repräsentation und Angeberei missbrauchen. Ein Unwesen, dem ob seiner Opulenz womöglich auch das »Historisch-Kritische Wörterbuch« zum Opfer fallen könnte. Ginge es in den Wälzern nicht um den ideologischen Hauptfeind des Bürgertums: den Marxismus. Für dessen ungebrochene Aktualität liefert der real existierende Kapitalismus permanent gute Gründe. Nach dem Kollaps des Staatssozialismus sind marxistische Theorien herrenlos und offen für eine neue Bewertung und Interpretation. Eine Arbeit, die in den bislang vier erschienenen Bänden des Wörterbuchs von den über 600 beteiligten WissenschaftlerInnen, deren Großteil aus (Latein- und Nord)Amerika kommt, mustergültig und undogmatisch eingelöst wird. Band eins informiert über »Abbau des Staates« bis hin zur »Avantgarde«, die Eckpfeiler von Band zwei bilden »Bank« und »Dummheit in der Musik«, der dritte erörtert alles Wichtige zwischen »Ebene« und »Extremismus«, der vierte beginnt mit »Fabel« und endet bei »Gegenmacht«. Für den Herbst 2001 ist der fünfte angekündigt. In den projektierten 15 Bänden, die in einem etwa zweijährigen Rhythmus erscheinen sollen, werden über 1400 Stichwörter aus den Bereichen politische Ökonomie, Philosophie, Soziologie, Psychologie, Kunsttheorie und anderer, von Marxisten bislang eher vernachlässigten Disziplinen, bearbeitet werden. Eine Mammutaufgabe – fast so schwierig wie die wirkliche Umsetzung des Sozialismus –, die der finanziellen Unterstützung durch vermögende »Salonmarxisten« oder verwandter Träger eines schlechten Gewissens bedarf (Nähere Infos unter http://

userpage.fu-berlin.de/~hkwmred/ hkwm). Der interessierte Leser wiederum benötigt Vertrauen in die eigene Gesundheit. Auch wenn man nicht bereits über 60 Lenze zählt wie Herausgeber Haug, so bleibt trotzdem fraglich wer früher aus dieser von Nationalismus und neoliberalem Kapitalismus regierten Welt scheidet: Der geneigte Leser oder das ambitionierteste Projekt, das sich dem Marxschen Denken in all seinen Facetten verschrieben hat. Ein Standardwerk für das 21. Jahrhundert. Der einzige Wermutstropfen: Der Preis setzt mit 1000 bis 2000 Schilling pro Band auch neue Maßstäbe. (Her mit den potenten Sponsoren!)