mai 2001

Doc Holliday
geschaut

Politik und bewegte Bilder: Diagonale 2001

Das Festival des österreichischen Films, die Diagonale, fand heuer vom 19.–25. 3. bereits zum vierten Male in Graz statt. Und das dank eines neuen Besucher- und Teilnehmerrekords höchst erfolgreich. Den Grundprinzipien der letzten Jahre hielten die Festivalleiter Christine Dollhofer und Constantin Wulff die Treue: Einen umfassenden Überblick über alle Sparten und Genres zu gewährleisten. Insgesamt liefen 230 Werke, davon 96 Erstaufführungen. Dem Gedanken, Kino als soziale und politische Praxis zu verstehen, trug das Intendanten-Duo wieder mit einer Reihe von Sonderprogrammen Rechnung. So wurde die zweite Folge des im Wendejahr 2000 sehr kontroversiell aufgenommenen Projektes »Die Kunst der Stunde ist Widerstand«, gezeigt. Dokumente zur Lage der Nation, erstellt von Profis und Amateuren: Kurze Werbespots von »get to attack«, Parodie und Satire, der gelungene Einsatz von »Found Footage«-Material, etwa bei den feinen »maschek« oder der Drahdiwaberl-Clip zum Song »Torte statt Worte«. Das doch allzu redundante Abfilmen der Donnerstagsdemos, das die letzte Kompilation mitunter schwer verdaulich gemacht hatte, fehlte diesmal. Ebenso wie der Beitrag des »Splitter«-Kollektivs aus dem Studio West-Umfeld. Genau genommen fehlte er nur auf der Widerstands-Rolle. Dafür lief »Splitter 3« zusammen mit zwei politisch korrekten Nachwuchsarbeiten - »Wachgewählt - Widerstand gegen die politische Entwicklung in Österreich« von Ernst Pohn und Morgane Creismeas, und »Der Fürst, der Bischof und die Studiosi« von Claudio Ruggieri und Tobias Hammerle - unter dem schönen Programmtitel »Video Agitation Salzburg«. Dabei wollen die Splitter-Aktivisten gar keinen Agit-Prop, jedenfalls nicht dessen dumpfe Spielart, produzieren.

Etliche gelungene Arbeiten verantworteten Salzburger FilmemacherInnen: Virgil Widrich präsentierte den Kurzfilm »Copy Shop«. Der erste »Kopierfilm« der Welt besticht durch sein intelligentes Spiel mit dem Material und dem ausgeprägten filmischen Denken. Die in der Szene noch wenig bekannte Gabriele Neudecker, letztjährige Gewinnerin des in Graz vergebenen Carl Mayer-Drehbuchpreises, stellte ihren poetischen Kurzspielfilm »Freaky« vor. Ein typisches Dorf unserer Waldheimat gibt den Rahmen für den Alltag und die Erinnerungen und Träume aus der Sicht der 15-jährigen Protagonistin. Kein Heimatfilm, sondern einer über das Fremdsein. Der alte Kamerahaudegen Hermann Peseckas konnte mit seinem Dokumentarfilm »Petersburg. Puschkinskaja 10 - Von der Kunst des Überlebens« beim Publikum punkten. (Näheres entnehmen sie einem Kurzfehler am Anfang dieser Ausgabe).

Herausragend unter all den Sonderprogrammen war die von der filmwissenschaftlichen Gesellschaft SYNEMA (Wien) veranstaltete Reihe »Lights Out In Europe - Dokumentarfilme gegen den Faschismus«. Parteiische Arbeiten aus den 30er und 40er Jahren, die selten gezeigt werden: Etwa der amerikanische Streifen »Heart Of Spain« über den Spanischen Bürgerkrieg. Was dann in der anschließenden Diskussion doch frustierte: Die Abwesenheit der jungen, zeitgenössischen Widerstandsfilmer. Sollte da die alte Krankheit der Filmszene: Selbstüberschätzung, Egozentrismus und Ignoranz wieder einmal gesiegt haben? Reinhard Jud, Autor, Regisseur und Kenner der diversen Befindlichkeiten, weiß eine kurze, prägnante Antwort: „Filmen verdirbt den Charakter“. Entschuldigen kann man bestenfalls das Fehlen der No Budget-Widerborste von Splitter. Die Kirchenmäuse des Jahres hatten nicht einmal die Kohle um überhaupt nach Graz zu reisen. That`s Entertainment!