mai 2001

Doc Holliday
titel

Wem die Stunde schlägt: Showdown im Reich der Unterhaltungsriesen und Kulturzwerge

Anmerkungen zur aktuellen Kinosituation

»Multiplex« heißt das Zauberwort in der »Schönen Neuen Kinowelt«. Die generelle Verwirrung beginnt schon beim Begriff. Multiplex ist die international übliche Sammelbezeichnung für Groß-Kinocenter mit acht oder mehr Sälen, die mit ihrem breiten Unterhaltungsangebot in Form von Gastronomie, Spielhallen, Einkaufsmöglichkeiten etc. eigene »Erlebniswelten« schaffen möchten.

Der Multiplex-Boom erfasste Europa am Beginn der 90er Jahre. Großbritannien ist das Land mit der höchsten Großkino-Dichte. Der Anteil der Leinwände in Multiplexen machte dort 1998 46,27 Prozent aus. Der Anteil der Einsaalkinos nur mehr 10,58 Prozent. Im gleichen Jahr dominierten in Österreich zwar noch die Einsaalkinos (mit 28,7 Prozent aller Leinwände). Zwei Jahre zuvor betrug deren Anteil aber immerhin 37,53 Prozent. Multiplexe brachten es auf 12,11, 1998 bereits auf 20,28 Prozent. Jedenfalls liegt Österreich mittlerweile deutlich über dem europäischen Durchschnitt. Der Markt ist vor allem in Wien übersättigt.

International hat ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb unter den Multiplexbetreibern eingesetzt. Im deutschen Markt führte der ungehemmte Baurausch in der Branche zu erheblichen Überkapazitäten – neudeutsch: »Overscreening« – und damit zur ausgewachsenen Krise. Die Zahl der Leinwände stieg in den letzten vier Jahren von 3900 auf mehr als 4700. Mitunter liegen an den strategisch günstigen Standorten die neuen Filmpaläste nur einen Steinwurf voneinander entfernt! Der heftige Konkurrenzkampf mündete in eine für Kenner des Kapitalismus nicht gänzlich unerwartete Entwicklung: Konzentration und Monopolisierung. Unsere heimischen Politiker scheint dies wenig zu kümmern. Was kann auch anderes erwartet werden, wenn das Phänomen Multiplex hierzulande eher den Status einer unvermeidbaren Naturerscheinung einnimmt. Die längste Zeit verabsäumten die Volksvertreter aus Kurzsichtigkeit oder gar Blindheit heraus (beides keine optimalen Voraussetzungen für Kinogenuss) eine Nachnutzungsgarantie für die Großkinos zu fordern. Wenn erst einmal die riesigen Bauklötze sinn- und nutzlos die Gegend verschandeln, schlägt bestimmt wieder einmal die Stunde von »Expertenkommissionen«. Mit dem überraschenden Ergebnis, dass der Steuerzahler zur Kasse gebeten werden wird.

Der heimische Kinomarkt befindet sich in einem radikalen Umbruch, nur vergleichbar mit den Veränderungen Ende der 50er Jahre. Damals sank die Zahl der Besucher binnen weniger Jahre von 122 auf 90 Millionen. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre stieg diese Ziffer nach langer, scheinbar unaufhaltsamer Talfahrt wieder langsam an. 1997 besuchten 590.060 Personen die vier Salzburger Stadtkinos (Elmo, Mozart, Central und Das Kino). Im Sommer 1998 trat die Mozartstadt dann ins neue Kinozeitalter ein: Beim Airportcenter in der Gemeinde Wals-Siezenheim, in der im Unterschied zu Salzburg keine Vergnügungssteuer zu entrichten ist, eröffnete das Cineplexx. Betreiber dieses schiachen Betonkastens ist die Constantin Film Holding, die sich zu beinahe 80 Prozent in deutscher Hand befindet. Als führender österreichischer Kinobetreiber (Marktanteil über 40 Prozent) und als bedeutender heimischer Verleih, führt das Unternehmen mit dieser engen Verbindung im Distributionssektor die zukünftige Entwicklungstendenz mustergültig vor. Den Markt, also die Frage was, wann und wo gezeigt wird, auf allen Geschäftsebenen zu kontrollieren. Cineplexxe stehen heute in allen Landeshauptstädten und in etlichen mittelgroßen Orten wie Villach oder Hohenems. Den mitunter erhobenen Vorwurf, Constantin nutze seine monopolartige Stellung aus, lässt Geschäftsführer Christian Langhammer nicht gelten. Schließlich würden sie überall auf Mitbewerber stoßen und „insofern kann man nicht von einem Monopol sprechen, sondern von Marktführerschaft“. Die verschärfte Konkurrenzsituation ist wohl der Hauptgrund, dass Langhammer sich neuerdings gegen den „Wildwuchs“ im Kinosektor, der von einer hemmungslos liberalen Betriebsansiedlungs- und Standortgenehmigungspolitik verursacht wird, ausspricht.

Betreiber kleinerer Lichtspiele dagegen beschweren sich immer häufiger über monopolistische Züge der Verleihfirmen. Die sitzen eindeutig am längeren Ast: Durch die gestiegene Zahl der Vorführsäle können sie sich die attraktivsten Standorte aussuchen und zudem die Verleihbedingungen diktieren - mit verheerenden Folgen für Landkinos etwa.

Das 2400 Plätze bietende Walser Cineplexx zog in den ersten Monaten rund 80.000 Besucher an, das entspricht etwa der jährlichen Besucherzahl im „Das Kino“. (Frechheit am Rande: Die genauen Zahlen hält der Cineplexx-Betreiber geheim, obwohl für alle anderen Kinos Meldepflicht bei der Wirtschaftskammer besteht. Realistisch sind ca.600.000 Besucher per annum). Dementsprechend sanken die Zahlen der Stadtkinos auf 297.914 im Jahr 1998 und 1999 auf 255.302 Eintrittswillige ab. Dies bedeutete einen Rückgang von 50 bis 60 Prozent! Während das spezialisierte Programmtheater »Das Kino« seine Besucherzahlen sogar leicht steigern konnte, brachte der überdimensionierte Popcorntempel beim Flughafen die Restkinos arg ins Trudeln. Das alteingesessene Central musste im Frühjahr 99 seine Pforten schließen.

Den verbliebenen Kleinkinos droht demnächst neues Ungemach. Bei Erscheinungstermin dieses kf sollte ein weiterer Leinwand-Multi eröffnet haben: Das Cinemaxx auf dem Gelände der ehemaligen Brotfabrik in der sogenannten „Eurocity“, direkt neben dem Bahnhof gelegen. Die Cinemaxx AG des deutschen Unternehmers Hans-Joachim Flebbe gehörte in seiner Heimat mit mehr als 30 Multiplexen zu den Branchenriesen. Im Sommer 98 hatte Flebbe verkündet, dass sein Salzburger Bunker 800.000 Besucher pro Jahr anlocken sollte. Auf der Hauptversammlung der Aktionäre im letzten Dezember gestand Flebbe die akute Krise der Multiplexe ein: „Wir und alle anderen Marktteilnehmer haben uns verrechnet“. Inzwischen ist der Unternehmer in den Konkurs geschlittert. Gerüchteweise wird bereits mit dem Buena Vista-Geschäftsführer und Elmo-Besitzer Ferdinand Morawetz verhandelt: Der Riesenbau beim Bahnhof braucht schließlich einen Betreiber.