mai 2001

Wolfgang Karlhuber

Auch wir sind Österreich! Die »Gauß-Jelinek-Kontroverse«

Eine Nachbemerkung und ein Literaturhinweis

Wer die Anfang des Jahres im »Standard« stattgefundene Kontroverse mitverfolgt hat, die sich an einem Jahresrückblick des Salzburger Essayisten und Schriftstellers Karl-Markus Gauß entzündet hat, in dem unter anderem der Konformismus der RegierungskritikerInnen beklagt worden war, wird verwundert gewesen sein, wie polemisch, brisante Themata aufgreifend und streckenweise abrechnerisch sie begonnen hatte, und wie kümmerlich sie Ende Jänner im Sande verlaufen war – wahrlich ein »Kontroverserl«!

Ohne die Beiträge im Einzelnen kritisch beleuchten zu können (was hier aus Platzmangel leider versagt bleibt): Auch wenn Gauß anonymisierend auf Seiten der RegierungskritikerInnen „Hysteriker“ und „Menschenverachtung“ ortet, scheint doch durch nichts gerechtfertigt, ihn, wie von Jelinek praktiziert, ins Eck von Mölzer und Höbelt zu schieben. Diese denunziatorische Auseinandersetzung, deren Ursachen aufgrund der Vehemenz wohl nur mehr im Persönlichen zu finden sind, hat die argumentative Befassung mit Gauß’ Thesen erschwert, aber eine ungewollt verifiziert: die vom herrschenden Konformismus, der eine differenzierte Analyse eher verunmöglicht – wie Kerschbaumers grotesker und peinlicher Anwurf aus der letzten »kunstfehler«-Ausgabe glänzend belegt! Ob es sich dabei um ein un-heimliches »Fraktionsverbot« oder um die Fetischisierung der kleinsten Differenz handelt, soll dahin gestellt bleiben.

Auch wenn lustvolles Missverstehen einen integralen Bestandteil von Polemik bildet, so mutet es doch äusserst eigenartig an, was im Rahmen dieser Kontroverse fast durchgehend überlesen und ausgeblendet wurde und die eigentliche Basis der Gauß’schen Perspektive bildet: seine Ausgrabungsarbeit und sein Wissen um widerspenstige, nicht leicht kategorisierbare Stränge des Komplexes »Österreich« – das speist etwas, was ohne weiteres als »linker Österreich-Patriotismus« bezeichnet werden könnte (auch Erich Hackls Essays sollten in diesem Kontext genannt werden). Vielleicht liegt darin das wahre Skandalon seines Beitrages, vielleicht erklärt sich damit, dass Jelinek ihre Diskursmaschinerie bis zum Leerlauf durchtreten glaubte zu müssen und dass so viele andere mögliche BeiträgerInnen sicherheitshalber Abstand gehalten haben.

Patriotismus also – rein symptomatisch schon eine klebrige Angelegenheit! Klar, dass sich auch ohne gut leben lässt, vor allem beim Gedanken an eine trachtensüchtige, Volkslieder singende, pausenlos ins Autoritäre abgleitende blau-schwarze Regierung. Wobei sich nur die Frage stellt, ob deren Haltung, die sich immer wieder schamlos im Fundus des Austrofaschismus vergreift, nicht etwas entgegen gesetzt werden könnte – und sollte. Mit Sicherheit würden wir uns alle anstelle unserer opportunistischen Altvorderen, die in den allermeisten Fällen weder Stimme noch Waffe gegen den Nationalsozialismus erhoben haben, kampfesfreudige und schlaue Widerständlerinnen wünschen, die 100%ig demokratisch und garantiert nicht antisemitisch waren. Dass dem nicht so war, entbindet allerdings nicht von der Notwendigkeit, unser Verhältnis zu diesem Land aufzuklären – und zwar jenseits der Bequemlichkeit, beim »Land der Täter« stehen zu bleiben.

Karl-Markus Gauß hat übrigens erst kürzlich einen neuen Band mit Reise-Essays bei Zsolnay veröffentlicht, »Die sterbenden Europäer«, in dem er sich mit den kleinen, randständigen Ethnien wie den albanischen Albereshe in Süditalien und den Aromunen im Grenzgebiet von Mazedonien und Griechenland beschäftigt, die, falls wahrgenommen, von zunehmender Folklorisierung bedroht sind. Wie immer stilistisch glänzend und informativ geschrieben – und eben nicht der Fetischisierung der kleinsten Differenz anheimfallend!