april 2001

Micky Kaltenstein

Heikle Frage sucht Antwort

Fünfzehn Stühle stehen im Kreis. Auf altem Parkett liegt eine Schachtel. Die Utensilien darin braucht die Psychologin Hermie Steininger, um zu erklären, was sonst nirgends so genau erklärt wird. Was sonst nicht immer beim Namen genannt oder sogar berührt wird. Im Workshop »Küssen und mehr« haben junge Frauen bei ISIS wahrscheinlich zum ersten Mal eine Spirale in der Hand. Und manch eine legt mit einem erschrockenen „Igitt“ das Diaphragma schnell wieder weg. Alltäglichere Verhütungsmittel wie Kondome sind den Mädchen besser bekannt, aber nicht jede weiß, wie sie richtig angewendet werden. Bevor solche Geständnisse in den Raum gestellt und einfühlsam behandelt werden können, gilt es, das Eis zu brechen. Und Tabus aus dem Sesselkreis zu verbannen. Die Turnlehrerin der Oberndorfer Schülerinnen wartet im Nebenraum. Sie „wüsste schon gern, was da drin passiert“. Aber Zaungäste sind unerwünscht.

Treue. Liebe. Vertrauen. Sex. Bunte Wörter in verschiedener Handschrift. Notiert auf einem weißen Plakat. Sie sind das Inhaltsverzeichnis für das, was in den folgenden eineinhalb Stunden besprochen werden wird. In einer kurzen Reise durch den Körper ergänzt Hermie Steininger das Wissen rund um Zyklus, Verhütung oder den Besuch beim Frauenarzt. „Viele Mädchen sagen zuerst, sie wüssten schon alles und geben sich cool. Und dann sind sie doch neugierig“, berichtet die Gesundheitspsychologin. Als sie kürzlich in einer Mädchenrunde fragte, wie lange ein Zyklus dauere, war die Antwort „vier Tage“. Trotz solcher Erlebnisse ist die 39-jährige überzeugt, dass Jugendliche besser informiert sind als viele Erwachsene: „Ich bin oft erstaunt, was erwachsene Frauen nicht wissen.“ Erst wenn den Mädchen alle Vorgänge im eigenen Körper bekannt sind, können sie gezielte Fragen beim Frauenarzt stellen. Sonja und Karin steht der erste Besuch beim Gynäkologen noch bevor. Vielleicht hat das Aufschieben bald ein Ende, denn die Erklärung der gynäkologischen Untersuchung war für die beiden 15-jährigen das Interessanteste an diesem Vormittag.

Über 160 Mädchen haben im vergangenen Jahr bei »Küssen und mehr« des Salzburger Gesundheits- und Therapiezentrums für Frauen mitgemacht. Und Antworten auf all jene Fragen erhalten, die zu intim sind für den Biologieunterricht. Oder zu schwer zu stellen im Elternhaus. Trotzdem gibt es Fragen, die man vor einem Dutzend Ohren nicht über die Lippen bekommt. Darum teilt Hermie Steininger kleine Notizzettel aus. Auf denen können die Schülerinnen aufschreiben, was sie schon immer einmal fragen wollten. Und sich nicht getraut haben. Einige dieser Zettel kommen akribisch gefaltet zurück. Ein oranges Stück Papier so, als hätte daraus ein Origami-Vogel werden sollen. Oder als wäre die Schreiberin nicht sicher, ob sie es jetzt und hier wagen soll, eine Antwort zu bekommen. Darauf, ab welchem Alter man eine »richtig feste Beziehung« führen kann. Oder, wie man weiß, „ob der Partner fremdgegangen ist“. Ob man die Pille auch ohne Einverständnis der Eltern bekommen kann. Oder etwas „falsch machen beim ersten Mal“. Die ISIS-Geschäftsführerin ordnet diese Fragen nach Themen und beantwortet sie. Alle. Es kommt vor, dass die jungen Frauen sie schlicht provozieren möchten. Oder dass sie plötzlich weiß, eine von ihnen ist missbraucht worden. Mehr als die an alle gerichtete Einladung zu einem Einzelgespräch oder den Hinweis auf andere Beratungseinrichtungen kann sie an dieser Stelle nicht anbieten. Und manchmal bleibt eines der Mädchen nach der Gesprächsrunde in der Willibald-Hauthaler-Straße da. Ein wenig schüchtern. Um etwas zu fragen oder einfach, um noch ein bisschen zu reden.