april 2001

Wiglaf Droste

Über das Glatzenstreicheln

Man kann nicht immerzu nur flanieren und Charme versprühen. Ab und zu muss man auch den Tempel ausfegen und den Müll zur Tonne tragen. Einer von denen, die das regelmäßig tun, ist Henryk M. Broder. Von seiner Internet-Seite www.henryk-broder.de hat er knapp drei Dutzend Aufsätze und Briefwechsel heruntergeladen und zu einem kleinen, schön grimmigen Geschichtsbuch zusammengeschnürt: »www.Deutsche-Leidkultur.de« (Ölbaum Verlag). Was die hiesigen Vertreter von Politik und Kultur von sich geben, wenn sie denken, sie dächten, was sie an Dummheit, Gemeinheit und Feigheit, an antisemitischen Unter- und Volltönen oder auch nur an Windbeutelei, Flachheit und Peinlichkeit zu bieten haben, in Broders Kompendium kann man reichlich davon finden.

Zwei Fälle haben mich als Autor der taz besonders interessiert: SWR-Intendant Peter Voss debütiert mit dem Band »Zwischen den Kratern« als später Lyriker, und Henryk Broder hat daran eine Menge Spaß. Das ist kein Wunder, so wie Voss dichtet: „Übrigens möcht ich jetzt / Deutschland verlassen / nicht wegen einiger / hundert geschorener Spinner / auch nicht der anderen / wegen, die »Peinlich Vaterland« klagen / (leeres Gerede aus besseren Kreisen) // Ich gehe, um endlich / von außen zu sehen / warum es sich lohnt / hier zu leben.“ Milde nennt Broder das Gedünn mit dem dicken Titel »Exil II« eine „patriotische Miniatur“ und zitiert vergnügt weiter aus einem Werk namens »Sitzfleisch«: “In meinem Sessel saß ich, ließ die Zeit vergehen.“ Broders Kommentar: „So wird man Intendant. Hinterher kann man dann die literarische Zwergsau rauslassen.“ Und, wie geschehen, als »taz muss sein«-Model Werbung machen für das Blatt. Au-er!

Für weniger Heiterkeit als Peter Voss sorgt die schwüle Prosa, die Sibylle Tönnies im Feuilleton der Tagesszeitung »Die Welt« veröffentlichte. In Auszügen zitiert Broder, was die Bremer Professorin für Sozialwesen und taz-Kolumnistin über »Neo-Nazis in Schutzhaft« von sich gab. Wer den Text von Tönnies daraufhin komplett liest, wird sehen, dass Broder nicht schummelte. Über eine Demonstration von Nazis am Neptunbrunnen am Berliner Alexanderplatz schreibt Tönnies: „Hoch oben der Wassergott in schäumend-königlicher Pose, um ihn her wogen Nixen. Um Nixen und Brunnen herum formt sich ein weiterer Kranz aus kahlen, hellen Schädeln. Es sind Neonazis, die eine Kundgebung abhalten. Sie bilden einen engen Kreis, weil sie nicht anders können – um sie schlingt sich wiederum ein grüner Gurt, der sie zusammendrückt: die Polizei. Eine politisch-plastische Rosette. Ein groteskes Mandala.“ Ah ja.

Anti-Nazi-Demonstranten beschreibt Tönnies so: „Pfeilgleich stechen ihre ausgestreckten Arme gegen die feindliche Mitte (...) Dazu werden mit heiserer Stimme Parolen skandiert.“ Während Nazis als moderne Gandhis mit »Duldermiene« aufschimmern: „Die kahlen Schädel hingegen sind freie, leuchtende Zielscheiben. Noch ist keiner getroffen. (...) Die Kundgebung wird über Polizeilautsprecher abgesagt. Man könne ihren Schutz nicht mehr garantieren, sagt man den Nazis, und sie würden jetzt zum S-Bahnhof Alexanderplatz geführt.“ So schlimm ist das für Tönnies, die sich selbst als „erschrockene Zuschauerin“ sieht, dass ihr final die Sicherungen durchbrennen: „Das Bild erinnert in erschütternder Weise an einen KZ-Marsch. Die rasierten, geneigten Köpfe, die bewaffnete Eskorte (...) Diese Nazis befinden sich in Schutzhaft (...), die Polizei schützt sie vor den Angriffen einer zum Lynchen aufgelegten Menge.“

Nazis unter Polizeischutz als KZ-Häftlinge, vom Lynchmord bedroht? Ich habe eine Menge übrig für Paradoxien, mit denen die Wirklichkeit unsere Wahrnehmung auf die Probe stellt – rein gar nichts allerdings für Nazipropaganda, die sich als Querdenkerei und politische Unkorrektheit wichtig macht und als rechter Sozialkitsch: „Man kann annehmen, daß nicht der Rechtradikalismus diese Unglücklichen so geformt hat, sondern ein in ihrer Biographie wütendes Schicksal. Sie brauchen den Rechtsradikalismus, um mit einer furchtbaren Kränkung zurechtzukommen. Ihnen bleibt als Stolz nichts anderes übrig als der Stolz darauf, Deutsche zu sein.“

Sibylle Tönnies komplettiert die Hirnwatte mit der Frage: „Wer wollte den ersten Stein heben?“ Die Antwort fällt ungewohnt leicht: Ich »wollte« nicht, ich will. Sofort. Und der wehleidigen Nazicke nur antworten: Ihr dringendes Gesuch, in die Wüste ihres Kopfes abgeschoben zu werden, ist hiermit angenommen.