märz 2001

gelesen

gelesen

Gerald Raunig

Wien Feber Null. Eine Ästhetik des Widerstands

Turia+Kant 2000

»Die Ästhetik des Widerstands« von Peter Weis, als Blueprint einer Analyse widerständischer Kulturpraxen seit dem Antritt der FPÖVP-Regierung. So werden etwa am Beispiel »gettoattack« sowohl „die mikropolitischen Facetten jenes vagen Grenzraums diskutiert, in dem die künstlerische in die politische Aktion übergeht“, wie auch deren teilweises Scheitern als „unumgängliches Moment“ in einem „Programm der taktischen Attacken und der fragmentierten Fludität“ analysiert. Es geht also um mikropolitische „Mini-Widerstände“, die (Deleuze und Foucault im Hinterkopf oder auch nicht) „Widerstand als Katalysator“ verwenden, mit dessen Hilfe die Machtverhältnisse ans Licht gebracht werden. „Die kleinen taktischen Aktionen, die keinen Ort zu verteidigen haben, spielen - in sich temporär öffnenden Gelegenheiten - mit den Mechanismen der Macht und ihren regelmäßig auftauchenden Bruchstellen.“ Vorausgesetzt, es wird dabei „so wenig geordnet und so spontan wie möglich, ohne Vereinnahmung durch Parteien und einzelne politische Gruppierungen“ agiert. Gerade dadurch unterscheiden sich die „zerstreuten Massen“ heute radikal von Canettis Definition der »Masse«. Es geht nicht mehr um eine vom Staat zu identifizierende und integrierende „Richtung und Zentriertheit“ und einen „rauschhaften Zustand“. Dass bei der Groß-Demo am 19. Februar 2000 auf dem Wiener Heldenplatz die „zerstreuten Massen“ wieder zu Canettis »stockender Masse« wurde, ist in »Wien Feber Null« aber nur eine von vielen genauen Analysen, die bei aller Schärfe weder Katzenjammereien noch Selbstzerfleischungsaffekte kennen.

Didi Neidhart

Wolfgang Ullrich

Mit dem Rücken zur Kunst

Die neuen Statussymbole der Macht

Wagenbach 2000

Was wollen sie dem Betrachter mitteilen, die Manager und Politiker, die stolz vor zeitgenössischer Kunst posieren? In früheren Zeiten waren die Statussymbole der Macht Telefon, Zigarre oder Konsul-Titel und die Tugenden militärische. Heutzutage, da selbst Rolex & Mercedes langweilig werden, muss die zeitgenössische Kunst herhalten, die sich zunehmend in Richtung teures Markenprodukt bewegt. Dynamisch, offen, vital, kreativ, innovativ, mutig, - mit diesen inflationär gewordenen Umdeutungen von künstlerischem Avantgardestreben in Managerqualitäten wollen die Eliten von Staat und Politik in Verbindung gebracht werden. Die Paarung von moderner Kunst mit Geld und Macht, die Aneignung symbolischen Kapitals durch ökonomisches Kapital – was alles sagt dies über die Kunst selbst und über die, die sich ihrer bedienen? Der reich bebilderte Band untersucht die Facetten dieses Zusammenspiels, analysiert Folgen und Nebenwirkungen – eine Fortsetzung von Pierre Bourdieu's »Die feinen Unterschiede«. Eine von Ullrichs zentralen Thesen: Wenn sich die Mächtigen mit zeitgenössischer Kunst präsentieren, kann dies einschüchtern und bei einer Mehrheit bereits angelegte oder vorhandene Minderwertigkeitsgefühle, oder Ressortiments gegenüber zeitgenössischer bildender Kunst bestärken. Zur Verfestigung eines schlichten Prinzips: wir da oben, ihr da unten!

Tömml

Georgi Dimitroff

Tagebücher 1933 - 1943

Zwei Bände inkl. Kommentare und Materialien

(Aufbau Verlag, Berlin 2000)

Der Untergang des real existierenden Staatssozialismus vor einem Jahrzehnt hat auch seine guten Seiten. Etwa für Historiker, die nicht über mangelnden Forschungsstoff zu klagen brauchen. Lagern doch in den Tresoren unzählige Parteiakten, Geheimdossiers und persönliche Notizen von bekannten Kommunisten. So auch im Fall des Georgi Dimitroff, eines Säulenheiligen der bolschewistischen Weltbewegung. Der 1882 geborene Bulgare übersiedelte Ende der 20er Jahre im Auftrag der Kommunistischen Internationale (Komintern) nach Berlin. Nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933, den die Nazis dazu nützten, um die Linke auszuschalten und zu verfolgen, entging auch der trinkfeste Schürzenjäger Dimitroff der Verhaftung nicht. Zu dieser Zeit beginnen die Tagebuchaufzeichnungen. Im Reichstagsbrandprozess erkämpfte sich der Berufsrevolutionär seinen Ruf. Ein antifaschistischer Mythos, der sich von den Nazianklägern nicht unterkriegen ließ und Göring zur Weißglut trieb. Dimitroff und seine zwei bulgarischen Genossen wurden freigesprochen und nach Moskau ausgeflogen. Väterchen Stalin machte den weltweit bekannten Dimitroff 1935 zum Generalsekretär der Komintern. In dieser Eigenschaft verkündete er die neue Strategie: Einheitsfront (der Linken) und Volksfront, statt Sozialfaschismusthese (also den Hauptfeind in der Sozialdemokratie zu erblicken). Doch die Nazis waren zu diesem Zeitpunkt nicht mehr aufzuhalten. In der Sowjetunion ließ Stalin, der »Lokomotivführer der Weltgeschichte«, Kommunisten, wirkliche oder eingebildete »Abweichler« verfolgen und ermorden. Von alldem wusste Dimitroff. Bisweilen spricht Unbehagen aus den Notaten, vieles musste der »Steuermann der Weltrevolution« aber tolerieren. In den 40ern führte Dimitroff die Protokolle als Selbstschutz, um im Falle seiner eigenen Demontage einen genauen Rechenschaftsbericht vorlegen zu können. Mit der Auflösung der Komintern, die Stalin seinen alliierten Kriegspartnern opferte, endet die deutsche Ausgabe der Tagebücher. Eine nicht immer einfache Lektüre.

Manches bleibt trotz des ausgezeichneten Ergänzungsbandes mit Kurzbiographien, Chronik, Personenregister und Kommentaren kryptisch.

Doc Holliday