märz 2001

Hannes Eichmann

Mit der U-Bahn über den Atlantik

Wer Anfang der neunziger-Jahre in Salzburg eine Schiffsreise auf einem Frachter buchen wollte, brauchte Geduld und Phantasie. Die ersten fünf Reisebüros zeigten sich für so ausgefallene Wünsche nicht zuständig, erst der sechste Versuch war erfolgreich: Mit der Empfehlung, „vielleicht mal da hinein zu schauen”, reichte eine freundliche Hand dem schon verzweifelten Möchtegern-Seefahrer den »ABC Shipping-Guide« über den Schalter. Und wirklich: in der Mitte dieses 500 Seiten starken Handbuchs fand sich ein Kapitel »Cargo passenger services«. Mit 170 Frachtschiff-Routen zu 300 Häfen in fünf Kontinenten! Der Rest wurde im »doityourself-Verfahren« erledigt: Route raussuchen (Hamburg-Felixstowe-Le Havre-Boston-New York), Reederei (»Operator« – im Buch ganz vorne) nachschlagen (Mediterranean Shipping Company, Hamburg), telefonisch buchen, anreisen, einsteigen, fertig.

Das Buch, das vierteljährlich erscheint, gibt’s heute noch. Und es leistet gute Dienste, denn Frachtschiff-Reisen gehören immer noch nicht zur Standard-Produktpalette der Tourismusbranche.

Der »OAG Cruise & Ferry Guide« – so heißt das Standardwerk heute - gibt Auskunft über die wichtigsten Fährverbindungen weltweit, enthält so ziemlich alle Kreuzfahrten (von Frachtschiff-Freaks verächtlich „Musikdampfer” genannt) und ist noch immer die seriösteste Informationsquelle für Cargo passenger services. Nur statt der Reederei nimmt heute meist ein Vertrags-Reisebüro die Buchung entgegen. Das heißt dann »Hamburg-Süd« oder »NSB Frachtschiff-Touristik« in Bremen oder »Kapitän Helmut Hoffmann« in Scharbeutz. Diese Reisebüros bieten natürlich auch Frachtschiff-Reisen an, allerdings oft nur ihre eigenen. Also doch wieder zurück zum Cruise & Ferry Guide. Preise werden dort nicht genannt, dafür aber Name und Tonnage der Schiffe. Und die Zahl der zugelassenen Passagiere.

Der Passage-Preis richtet sich nach der Dauer der Reise und wird tageweise berechnet. Ein Tag kostet durchschnittlich tausend Schilling. Darin enthalten sind Einzelkabine mit Du/WC (natürlich »aussen«), 3 Mahlzeiten täglich (in der Regel »all you can eat«) und die Beförderung. Sollte die Reise länger dauern als geplant – was vorkommen kann – gehen die Mehrkosten zulasten der Reederei. Wer allerdings früher ankommt als vorgesehen, kriegt nix zurück.

Die Tonnage der Schiffe sagt was aus über den Fahrkomfort: kleine Schiffe – etwa unter 4.000 t – können ganz schön wackeln. Große Frachter – bis zu 60.000 t – zwar auch, aber erst bei wirklich schwerer See.

Die meisten Frachter sind für maximal zwölf Passagiere zugelassen. Ab 13 muß ein Arzt an Bord sein, sagt das internationale Seerecht. Die Mannschaft besteht in der Regel aus dem Kapitän, drei nautischen Offizieren die den Dienst auf der Kommandobrücke versehen, dem Chefingenieur und zwei weiteren Ingenieuren, sowie etwa zwölf Mann Bedienungspersonal für Deck und Maschinenraum und – ganz wichtig – Koch und Steward. Offiziere und Ingenieure speisen in der Offiziersmesse – gemeinsam mit den Passagieren. Auf einem Frachter ist eben jedes Dinner »Captain’s-Dinner«. Allerdings ohne dress-code: Krawatte trägt dort nur der Steward. Das »Fußvolk« speist im Mannschaftsraum.

Was macht man nun als Passagier auf einem Frachter? Außer Schlafen und Essen nicht viel. Vielleicht Lesen. Und die Kommandobrücke besuchen. Und täglich mehrmals um das Schiff joggen: bei 200m Länge und 25m Breite sind zwei Schiffsrunden schon fast ein Kilometer. Ausserdem haben die meisten Frachtschiffe heutzutage Swimmingpool und Sauna. Und natürlich einen Aufenthaltsraum mit Video. Und eine kleine Bordbibliothek mit Böll und Simmel und alten Spiegel-Magazinen oder Newsweek-Exemplaren und vielleicht dem Mitteilungsblatt der Seeleute-Gewerkschaft. Und irgendwo liegt ein altes nautisches Handbuch herum.

Beim Spazierengehen wird die Ladung »untersucht«: 2.000 Container stehen an Bord in Fünferreihen geschlichtet, fünf »Stockwerke« über Deck, vier darunter. Dazu kommt manchmal Stückgut, wie z.B. auf einer Fahrt von Spanien nach Mittelamerika zwei Triebwagen für die U-Bahn von Mexico-City. Oder Gangways für den Flughafen von Veracruz. Was die Container enthalten, weiss der erste Offizier – allerdings nur bei Kühlcontainern (Obst, Fleisch, Fisch) und bei Gefahrengut (leicht brennbare Chemikalien etwa).

Und »Landgang«? Und »Seegang«?

Voila, das Reisetagebuch gibt Auskunft:

Mittwoch, 20.September

Um 07h00 zweimal ums Schiff gejoggt, 07h30 Frühstück („Good morning Mr. Hanns, today we have mushroom-omelette...“), lesen, Wäsche waschen (Mittwochs dürfen die Passagiere in die Waschküche), schlafen, 11h45 Mittagessen (Suppe, Salat, Lammbraten mit Ratatouille, Reis oder Kartoffeln), wieder schlafen, sonnen, lesen, 17h45 Abendessen (»Chicken Cacciatore with bed of Spaghetti«). 19h30: am Horizont taucht Las Palmas auf. 20h30: Lotse kommt an Bord. 21h30: Leinen fest,

22h Gangway, 22h40 zu Fuß in die Stadt: an dunklen Lagerhallen vorbei, begleitet von Ratten und Küchenschaben. Nach 20 Minuten durchs Hafenportal: »Hafenviertel« beginnt... Jetzt Wahl zwischen dunkler Gasse, oder Uferautobahn. Dunkle Gasse. Zirka 1 Km später die erste offene Bar. Zwei tätowierte Jungs an der Theke, dahinter blondes Personal. Ich will weder CDs kaufen, noch kann ich mit Feuer dienen. Ein Bier und ich trete den Rückzug an. Jetzt mit Taxi. Nach insgesamt 55 Minuten ist mein Gran Canaria Ausflug beendet. Ein Bier in meiner Kabine. Das Abenteuer ist nicht die Seefahrt, das Abenteuer sind die Langänge...

Donnerstag, 21.September

Wieder in die Stadt. Diesmal zeigt sich Las Palmas von der freundlichen Seite. Sogar für unsereins, die wir die Insel durch den »Lieferanteneingang« betreten. Am Strand spazierengegangen, Kaffee getrunken, Zeitungen gekauft (der Lesestoff muss bis zur Elfenbeinküste reichen), Telefonate erledigt. Mit Taxi zurück zum Schiff.

Um 17h30 Leinen los Richtung Dakar.

Freitag, 22.September

Auf See. Mittag: Thunfischsteak mit Gemüse (in ”Lemon-Butter-Sauce”) – der philippinische Koch hat sich heute selbst übertroffen!

Samstag, 23.September

18h vor Dakar. Laut Kapitän können wir nur bei Flut einlaufen, weil unser Tiefgang 10m70 und Dakar max. 11m gestattet... Flut war um 17h45, Lotse kommt um 19h30, vielleicht geht’s sich noch aus.

20h: wir gleiten vorsichtig ins Hafenbecken. Hurrah. Hier soll »dangerous cargo« gelöscht werden. Am schwarzen Brett neben dem Frachtbüro steht’s: zwölf Boxen mit weißem Asbest, etliche Container mit Schwefelsäure, giftige und entflammbare Druckertinte, mehrere Container mit Aerosolen, Zinkoxyde - ein feines Menü...

20h17: ein arg kurzer Pier und vor uns eine Autofähre. Wir nähern uns zentimeterweise, ich kann nicht zuschauen. 20h21: wir stehen. Jetzt kommen Zoll und Health. Vielleicht 22h Clearing. Dann geh‘ ich aber nimmer durchs finstere Hafengelände von Dakar.

Sonntag, 24.September

06h23: Im Rückwärtsgang ausfädeln aus dem Hafen. Mein Deck im fünften Stock ist übersät mit Insekten. Eine Stunde später ist wieder alles saubergewaschen. Am Abend gemeinsam mit dem 1. Offizier altes Derrick-Video geschaut.

Montag, 25.September

Beim Mittagessen erzählt Chiefmate Raik von seinem Heimatdorf Wustrow, 40km westlich von Rostock. Raik ist 29 und seit einem Jahr 1. Offizier. Schon sein Vater war Kapitän – allerdings noch zu Zeiten der DDR...

Abends wieder Video: zuerst »Easy Rider«, dann »Monty Python auf Hoher See«.

Dienstag, 26.September

04h20 aufgewacht, weil es »anders« scheppert als sonst. Wir werden langsamer. Piraten?? Ich male mir Schreckliches aus. Dann heftiges Regengeräusch. Dann Stimmen im Treppenhaus. Es ist jetzt 05h50. Schleiche mich zur Tür und gucke durch den Lüftungsschlitz: weisse Beine und ein Mop? Piraten würden nicht aufwischen – Gottseidank. Um 06h geh ich hinauf auf die Kommandobrücke, Raik macht Dienst – alles OK. Ich hab offensichtlich geträumt...

Zu Mittag erzählt der Kapitän von seiner Jugend in Würzburg und München.

Nachmittag Sauna. Abendessen: »Smoked Porkloin with Sauerkraut« für die deutschen Offiziere, Fisch mit Gemüse und Reis für die philippinische Mannschaft. Ich bin ein Philipino und entscheide mich für Fisch...

Morgen zeigt mir der Chief-Engineer seinen Maschinenraum. 12.000KW, 40t Heizöl schwer pro Tag.

So also vergeht sie, die Zeit auf dem Frachtschiff. Nach durchschnittlich zwölf bis 18 Tagen ist Amerika erreicht (oder Asien oder Südafrika). Und der Passagier hat die Nase voll vom Meer und von der Seefahrt. Allerdings nur bis zum nächsten Jahr...

PS: Neben dem »Cruise & Ferry Guide« gibt’s auch ein paar ganz brauchbare Internet-Adressen zum Thema Frachter-Reisen: http://www.contship.de und http://www.cargolaw.com/

d.traveler.html#Freighter_Tours