märz 2001

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Ein Titel ohne Mittel

Wenn Ende April Oberndorf zur Stadt erhoben wird, hat Salzburg sechs Städte mehr. Aber wie urban sind die neuen Cities wirklich? Die »kunstfehler«-Redaktion unternahm eine Rundreise.

Erste Station: Seekirchen

Seekirchen ist eine Reise wert. Vorausgesetzt, man bringt eine gehörige Portion Abenteuerlust mit. Kaum irgendwo ist die Wahrscheinlichkeit in einen Verkehrsunfall verwickelt zu werden ähnlich hoch: Offenbar beherbergt das idyllische Örtchen am Wallersee eine Armada von Straßenhooligans, die in schöner Regelmäßigkeit die Kontrolle über ihre Geschosse an den nächstbesten Baum oder Graben abgeben.

Als wäre das nicht schon Katastrophe genug, redet sich ein Stadtpolitiker auf die Titelseiten der bundesweiten Gazetten. Der Seekirchner FPÖ-Vizebürgermeister Helmut Naderer stellte voriges Jahr in seiner Gemeinde den Antrag, die Beitragszahlung an den NS-Zwangsarbeiterfonds zu verweigern. Stattdessen empfahl er den örtlichen Kriegsteilnehmern von den Nachfolgeregierungen der Alliierten Entschädigungen einzuklagen. Von solchem Geschichtsunverständnis zeigten sich sogar Naderers Parteifreunde „schockiert“. Die Gemeindevertetung wies den Antrag zurück, und Bürgermeister Johann Spatzenegger (ÖVP) bekannte, dass er sich für so einen Auftritt schäme.

Dabei haben abenteuerliche Politideen eine lange Tradition im Ort. Bei den Landtagswahlen 1932 erreichten die deutschnationalen Parteien eine deutliche Mehrheit. Mangels Industrialisierung existierte praktisch keine Arbeiterbewegung, sodass in den 30ern vorwiegend Nazis und Austrofaschisten aneinander gerieten. Nach dem »Anschluss« 1938 hatte dann Seekirchen die zweifelhafte Ehre, als NS-Heldengemeinde dem Führer einen Maibaum schenken zu dürfen. Heute hat es Seekirchen bis zur Stadt gebracht.

Qualifiziert durch etwa 60 aktive Vereine, insbesondere aus dem bodenständig-verwurzelten Heimateck, wie Liedertafel, Bäuerinnen- und Franziskuschor, Trachtenverein, Blasorchester... Enger wird das Angebot schon bei der modernen Kunst, kaum existent ist die Alternativkultur. Das Avancierteste stellen Rock- und Jazzkonzerte von Benno Oberdanners KIS-Agentur dar. Kino gibt es zur Sicherheit keines. Schon 1929 lehnte der Gemeindeausschuß die Konzession für ein Lichtspieltheater ab. Mit der sinnigen Begründung, es würde nur dazu dienen, „der Jugend den letzten Groschen Geld abzuzapfen“. Heute übernimmt dies das Auto- und Motorradtuning.

Zweite Station: Neumarkt

„Wir liegen am Teich und rundherum liegt Österreich“, witzelt Walter, am Stammtisch im Gasthaus »Gerbl«, über die Größe seiner Heimatgemeinde Neumarkt am Wallersee. Im Herbst vergangenen Jahres wurde die 5.300 Einwohner zählende Ortschaft zur Stadt erhoben. Doch „keiner von uns hat das Gefühl, in einer Stadt zu wohnen.“

Dass „bisher nicht viel passiert ist“, bestätigt auch der Neumarkter Bürgermeister Emmerich Riesner (ÖVP). „Entsprechende infrastrukturelle Maßnahmen mussten bereits vor der Stadterhebung geschaffen werden“. Denn „Neumarkt ist seit Jahren eine Entlastungsstadt für Salzburg“. Das „Image einer Stadt“ aber wird „die wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben“, hofft Riesner.

Getreu dem neuen Slogan „Neumarkt – die junge Stadt im Flachgau“ zeigt sich das Gemeindeoberhaupt innovativen Ideen gegenüber offen, denn unter „jung“ sei mehr als „nicht alt“ zu verstehen. Sein besonderes Engagement gelte „der jungen Bevölkerung“. Schon seit Jahren ist neben dem Museum, dem Bürgerservice und dem Salzburger Bildungswerk das Neumarkter Jugendzentrum in der „Fronfeste“ – ein renoviertes Gefängnis - untergebracht.

Von „avantgardistisch bis traditionell“ habe, laut Riesner, der Ort „bei 100 Vereinen einiges zu bieten“. So sorgt die Neumarkter Kulturvereinigung mit bis zu 20 Veranstaltungen im Jahr für »Jazziges« und »Kabarettistisches«, der Heimatverein »Edelweiß« hingegen gibt alljährlich einen bäuerlichen Schwank zum Besten.

Dritte Station: Oberndorf

Historisch gesehen, bekommt die Flachgauer Marktgemeinde den Titel »Stadt« zu Recht. Immerhin war sie bis vor 185 Jahren schon einmal eine City. Bis zur Eingliederung Salzburgs in das Habsburgerreich 1816 und der Trennung vom bayerischen Laufen trug Oberdorf gemeinsam mit Laufen schon einmal den Ehrentitel.

Bis heute ist Oberndorf mit Laufen eng verbunden. Die beiden Orte zusammengerechnet kommen auf rund 12.000 Einwohner, was schon ein gewisses Gefühl von Urbanität vermittelt. Aber auch sonst profitiert die Stadt am Salzachknie von der Umgebung. Dass mit der Lokalbahn eine äußerst attraktive Verkehrsanbindung an die Landeshauptstadt aber auch eine innerstädtische »Tramway« vorhanden ist, macht Oberndorf durchaus attraktiv. Oberndorf hat ein tolles Krankenhaus, aber kein Kino.

Kulturell schaut's freilich nicht ganz so toll aus. Bürgermeister Andreas Kinzl (ÖVP) verweist in einem Satz auf den kleinen Kulturveranstalter »Szene Oberndorf« und auf die Disco im Ort. Dabei hätte man durchaus kulturelles Kapital. Immerhin ist Oberndorf als »Stille-Nacht«-Gemeinde weltbekannt. Irgendwann soll aus diesem Vorteil auch das eine oder andere Kulturprojekt als „Friedensbotschaft“ entstehen, verspricht Kinzl. Die Gefahr der „Verkitschung“ durch das „Stille-Nacht-Image“ hat Kinzl erkannt. Die Geschäftemacher liegen schon auf der Lauer.

Vierte Station: St. Johann im Pongau

Am Marktplatz tummeln sich schon vier Banken, er ist klassisch geschmückt mit einer lebensgroßen Landserfigur – „Den Helden der Heimat“, wem denn sonst. Es ist keine arme Stadt, denn hier ballt sich vieles: Eine Militärkaserne, ein Verwaltungs- und Schulzentrum, ein guter Wirtschaftsmix, den Wintertourismus mit über 400.000 Nächtigungen nicht vergessen!

Dreimal schon brannte der Ort nieder, alte Bausubstanz ist bis auf die Kirche („Dom“, sagen die Einheimischen) und ein einziges Anwesen nicht zu finden. Dafür viel von dem, was man als »70er-Jahre Alpenstil« fürchtet. Neuere Architektur sieht der Besucher wenn er vor das Kultur- und Kongresshaus tritt, vor zwei Jahren für 180 Millionen Schilling errichtet. Aktuell geboten werden »Die Stehauf Manderl«, monatlich ein Konzert in der Reihe »Jazz Galerie«, ein knallgelbes Plakat verweist auf eine einhundert Meter lange Schneebar: der Ö3-Tross ist da.

Das kann doch nicht alles gewesen sein. Früher war das schon mal anders, ja besser. Vor 25 Jahren war St. Johann gar eine Hochburg zeitgenössischer Kultur. Hans Wittke und andere Unerschrockene haben Mitte der 70er Jahre den Kulturverein »Spectrum« gegründet, St. Johann war ein Mekka vor allem für zeitgenössische Literatur, alle bekannten AutorInnen haben hier vor viel Publikum gelesen. Aber dann Anfang der 90er, inhaltliche Zerwürfnisse, der nur zwölf Kilometer entfernte Kulturverein Schloss Goldegg war in Sachen zeitgenössischer Kultur um einiges geschickter. Im Vorjahr stellten dann auch noch der Kalender »Innergebirg« sowie die »Lesezeichen« den Betrieb ein.

„Veranstaltungen ja, aber wenig Kontoversielles oder Spannendes“, sagt noch ein Kulturaktivist früherer Tage. Irgendwie dürfte die vertrackte Situation auch den Regierenden zu Ohren gekommen sein, denn schon heuer stellt St. Johann eine halbe Million Schilling explizit für Kulturförderung zur Verfügung – eine wirkliche Sensation. Stellt sich nur die Frage, wer diesen Betrag für sich nutzen kann? Die klassische Traditionskultur, die in der Stadt nicht wirklich unterrepräsentiert ist, oder zur Abwechslung ein autonomer Kulturverein, um an spannendere Zeiten anzuschliessen. Bürgermeister Dengg (ÖVP), ist dennoch zufrieden: 1,19% Kulturbudget hat seine Stadt, jede Menge geeignete Räumlichkeiten, die Leute mögen nun kommen und ansuchen.

Fünfte Station: Bischofshofen

Eigentlich wäre das mit der Stadterhebung schon längst fällig gewesen. Sagen zumindest die BischofshofnerInnen. Immerhin könne wegen des Kufperbergbaus (bis 1977) und spätestens seit dem Bahnbau 1875 von einem »Bauerndorf« nicht mehr die Rede sein. Was vor knapp 125 Jahren auch der damalige Salzburger Erzbischof blitzschnell erkannte, und sofort einen mahnenden Brief bezüglich des apostrophierten unmoralischen Treiben des neu entstandenen Proletariats losschickte.

Biegt man heute die Ortsumfahrung von Süden kommend nach Bischofshofen ein, wird der Hörensagenmythos von der einstigen höchsten Dichte an Supermärkten im Land Salzburg zumindest optisch nachvollziehbar. Locken doch dichtgedrängt gleich mehr als zehn der üblichen Verdächtigen in Sachen Stadtrand-Shopping zum geldbeutelleerenden Verweilen ein. Was dann folgt ist jedoch keine Mini-Pampa, sondern gleich der Ort. Weshalb das Gewerbegebiet neben bzw. vor den Shopping Malls (inklusive eines »Techno-Z« als »Datenautobahnknoten« bzw. »Innovationszentrum«) beim flüchtigen Vorbeifahren auch schon mal übersehen werden kann.

Die Rede von »Straßendorf« soll jedenfalls noch heuer zum Schnee von gestern werden. Für 2001 ist eine großangelegte Ortsumgestaltung mit Neugestaltung des Zentrums (u.a. Verlegung der Hauptstraße, Errichtung eines Parkdecks) zur »innerstädtischen Belebung« geplant. Was nicht nur eine Verdoppelung der bisherigen Verkaufsfläche um 6000 Quadratmeter bringt, sondern vor allem den Ortskern – mit Hinblick auf den Tages- und Einkaufstourismus - zum „verkehrsberuhigten Einkaufszentrum mit außergewöhnlichen Einkaufserlebnissen“ (»Leitbild Bischofshofen«) machen soll.

Geplant ist aber auch eine »Großzählung« im Mai 2001. Und damit sich das mit der »Stadt« auch in der EinwohnerInnenzahl niederschlägt gibt es eine »Zuzugsprämie« von 5000 Schilling für abgewanderte, aber noch amtlich gemeldete BischofshofnerInnen, wenn sie die frischgebackene Stadt zu ihren Hauptwohnsitz machen.

Sechste Station: Saalfelden

Als Aufreisser für Städtereisen der ÖBB wird Saalfelden wohl kaum herhalten können: Mit mindestens 106 min Fahrzeit ab dem Salzburger Hauptbahnhof fährt man länger als nach Linz oder München, stolze 214,- Schilling sind für eine einfache Fahrt zu berappen. Am Bahnhof weist dann ein verrostetes Schild den Gehweg zur Ortsmitte, den vereisten Pfad (Lokalaugenschein Ende Jänner) meidet man aber am besten.

Die Ortsmitte hat man dann schnell durchschritten. Kirche, Rathaus, Festsaal und Post bilden das Zentrum, gesäumt wird dieses von schmucken Siedlungen und Freizeiteinrichtungen wie den Ritzensee Richtung Osten, oder vom Gewerbegebiet entlang der Loferer Bundesstraße auf der andern Seite. Ganz sicher scheint man sich der eigenen Urbanität an den Rändern selbst nicht zu sein, sonst würde man nicht alle 50 km/h-Begrenzungsschilder mit dem Zusatz »Noch Ortsgebiet« versehen.

Was Saalfelden zur Stadt macht? „Genausowenig wie Zell am See“. Für Volker Hölzl vom subbase network sieht’s eher düster aus. „Immerhin gibt’s im Saalfeldener Festsaal seit geraumer Zeit so manchen Freitag DJ’s zu hören“, so Volker Hölzl, das Gefühl von Urbanität mag aber da wie dort nicht aufkommen. Im Gegensatz zu Zell am See landet in Saalfelden für eine Woche pro Jahr ein UFO namens »Jazzfestival« und gestaltet den Fremdenverkehrsort kurzfristig zur kulturellen Metropole um. Ob das die Garnisonsstadt nachhaltig beeinflusst? Zumindest unter Jazzfreunden hat Saalfelden dadurch europaweit einen guten Ruf. Wie städtisch sich die 15.000 Einwohner gegenüber dem geplanten Kulturzentrum »Nexus« geben, darf gespannt erwartet werden.

Ansonsten hat Saalfelden seine Berge, seine Schulen, sein hypermodernes Feuerwehrhaus samt Turm und seinen Einsiedler. Die Sommerrodelbahn sperrt auch an heissesten August-Samstagen um Punkt 17.00 Uhr (Originalzitat gegenüber verdutzten Wartenden an der Talstation: „Mir holtn’s wie die Einkaufsmärkte“). Dürfte also an Sonntagen ausgestorben sein, die Stadt.