jänner-februar 2001

gehört

»F.S.K.: X«, »SENSATIONAL: Heavyweighter«, »JOHN COLTRANE: Interstellar Space«, »VARIOUS ARTISTS: Die Erben der Scherben – Keine Macht für Niemand«

F.S.K.

X

Sub Up

Zum 20. Geburtstag die zehnte reguläre Veröffentlichung. F.S.K. hätten es sich nicht besser ausdenken können. Denn das »X« kann ja auch als geheimnisvolle »Leerstelle« gelesen werden. Noch dazu wenn das Cover an einen typischen »Akte-X«-Ufo-Landeplatz erinnert. Oder eben auch nicht. F.S.K. waren ja immer schon gut für Verwirrungen, abrupte Brüche, irritierende Wechsel und bestens funktionierende De/Re-Kontextualisierungen popmusikalischer Phänomene und Geschichtsschreibungen. Nach dem sie vor zwei Jahren auf »Tel Aviv« alles, was auch nur irgendwie an Country & Western und Polka erinnern könnte, über Bord geworfen hatten, gehen sie jetzt auf »X« noch ein paar Schritte weiter. Gesang gibt es fast nicht mehr. Und wenn, dann radikalst zerstückelt. Stattdessen werden die mannigfaltigen Wechselwirkungen zwischen Kraut-Electronica (Kraftwerk, Neu!) und »Techno« auf eine Art und Weise erforscht, die das bekannte F.S.K.- Konzept der produktiven Kräfte transatlantischer Missverständnisse unter neuen Vorzeichen und Gesichtspunkten auslotet. Etwa wenn im grenzgenialen »The Charlston Machine« mit den Mitteln des klassischen Bandformats minimalistischer Detroit-Techno und Chicago-House miteinander kurzgeschlossen werden. F.S.K. können zwar über ihre Vorlieben eingekreist werden, aber der Etikettierung und der Genrezurechnung verweigern sie sich auf »X« so radikal wie schon lange nicht mehr.

SENSATIONAL

Heavyweighter

WordSound

Die dritte CD des scheinbar in frühester Jugend wie einst Obelix in einen Zaubertrank gefallenen Rappers. Nur dass im Falle von Sensational der Trank höchstwahrscheinlich aus hochprozentigen, und das Bewusstsein stark verändernden Substanzen bestanden haben dürfte. Jedenfalls fightet der Ex-Jungle Brother auch hier wieder mit und gegen seine diversen multiplen Persönlichkeiten. Diesmal jedoch weniger »overdosed & on his knees«, dafür mit hinterfotzig gemeinen »Special Tactics«, die zu rezeptpflichtigen Breakbeat- und Sub-Bass-Wurmlöchern führen. Die beste Sensational bis dato und in Sachen schizoidem Psycho-HipHop von der »Other Side Of The Black Hole« sowieso unschlagbar.

JOHN COLTRANE

Interstellar Space

Impulse!

Fünf Monate vor seinem Tod nahm John Coltrane im Februar 1967 in einer seiner häufigen Night-Sessions zusammen mit dem jungen Schlagzeuger Rashid Ali (der später auch in der Band von Alice Coltrane für besten afro-futuristischen Free Jazz verantwortlich war) sechs rein improvisierte Tracks auf, die »thematisch« hauptsächlich um Planeten kreisen. Diese Duo-Aufnahmen wurden jedoch posthum erst ab Mitte der 70er in Etappen veröffentlicht und liegen nun erstmals komplett auf einer CD vor. Und stellen eigentlich immer noch einen gehörigen Schock dar. Coltrane transformiert hier seine bisherige »Energy Music« der exemplarischen 1995er Alben »Om«, »Ascension« und »Kulé Sé Mama« in zuvor nie gehörte kosmisch-spirituelle Dimensionen jenseits des vierdimensional Vorstellbaren. Wobei die schier unerschöpflichen Intensitätslevels nur noch durch regelrecht brachial-aggressive Saxophon/Schlagzeug-Attacken übertroffen werden. Future-Music from »The Other Side«, aus den Nanobereichen einer Free Jazz-Quantenphysik, die bis heute ihre Spuren hinterlassen hat.

VARIOUS ARTISTS

Die Erben der Scherben – Keine Macht für Niemand

Virgin

1972 erschien mit »Keine Macht für Niemand« die zweite LP von Ton Sterne Scherben. Der Rest ist Geschichte. Seitdem wurde alles zwischen Fehlfarbens »Monarchie und Alltag« und Blumfelds »Ich-Maschine« daran gemessen. Und jetzt das! Junge und alte (Blixa Bargeld, Nina Hagen) Hupfer fragen sich, „welche politische Bedeutung haben ihre Texte heutzutage? Und: Wie würde die legendäre Band wohl musikalisch klingen?“ Antwort: Gerade die »politischen« Texte der »Demo-Burner« klingen, untermalt mit brachialem Crossover-Rock und MTV-tauglichem Drum & Bass und HipHop, aber so was von unreflektiert revolutionsromantisch altbacken (»Rauch-Haus-Song«), naiv (»Die letzte Schlacht gewinnen wir« als Girlie-HipHop) und platt (»Der Traum ist aus«), wie es in kontrollgesellschaftlichen Zeiten von »Big Brother«, »Neuer Mitte« und Neoliberalismus eigentlich nicht mehr für möglich gehalten wurde. Das ist nicht mal gut gemeint, sondern einfach daneben. Rio Reiser hätte das zwar sicher alles gefallen. Nur wäre es wohl besser gewesen, wenn sich die selbsternannten »Erben der Scherben« Udo Lindenberg vorgenommen hätte.

Didi Neidhart