jänner-februar 2001

Doc Holliday

Bilder einer Ausstellung

Ein Gespräch mit Hannes Heer, dem ehemaligen Leiter der Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944«

Nach fortgesetzter schwerer Kritik auch aus akademischen Kreisen, die in dem Vorwurf von Manipulation und

Bilderfälschung kulminierte, kündigten die Veranstalter der Ausstellung

»Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944«, das Hamburger Institut für Sozialforschung, im November 1999 ein Moratorium an. Zugleich setzte Institutsvorstand Jan Philipp Reemtsma eine achtköpfige Historikerkommission ein, die nach einjähriger Prüfung im November 2000 ihren Endbericht vorlegte. Mittlerweile trennten sich Reemtsma und Ausstellungsleiter Heer. Über die genauen Hintergründe haben die beteiligten Personen offenbar Stillschweigen vereinbart, laut SPIEGEL konnten sie sich aber bezüglich der Neukonzeption der Schau nicht einigen. Inzwischen stellte Reemtsma den Entwurf für eine modifizierte Ausstellung in einer Pressekonferenz vor: So soll etwa die Frage, wann ein Normalbürger zum Mörder wird, ein Leitmotiv und ein eigener Raum dem Thema »Fotos« gewidmet sein. Der kf bot dem ins mediale Abseits geratenen ehemaligen Ausstellungsleiter Hannes Heer Gelegenheit, zum Prüfbericht Stellung zu nehmen.

Wie beurteilen Sie den Bericht der Historikerkommission?

Dem Bericht der Historikerkommission kommt eine wichtige wissenschaftliche und geschichtspolitische Bedeutung zu, weil er den Charakter des Krieges im Osten und Südosten als Rassen- und Vernichtungskrieg bestätigt hat, weil er in der Frage des Umgangs mit Fotos als historische Quellen neue Standards setzt, schliesslich, weil er uns Autoren von den jahrelang verbreiteten Vorwürfen der Manipulation und Fälschung freigesprochen, und uns Intensität und Seriosität im Umgang mit den Quellen bescheinigt hat. Die überzogene und in ihren Schlussfolgerungen fragwürdige Kritik der Herren Musial und Ungvary wurde auf ein angemessenes Mass zurückgeführt.

Was sagen Sie zum Vorwurf des „überheblichen und unprofessionellen Umgangs mit der an der Ausstellung geübten Kritik“? Können Sie zu den beanstandeten Mängeln – 1. undifferenzierte Argumentationsweise, 2. Verwendung plakativer Stilmittel, 3. schlampiger Umgang mit Fotos – Stellung beziehen?

Wir haben bei der Pressekonferenz am 4. 11. 1999, auf der das Moratorium

mitgeteilt wurde, deutlich auf eigene Fehler hingewiesen. Einer war, dass wir aufgrund des gegen die Ausstellung gnadenlos geführten Krieges nicht immer zwischen Bilderkritik und Bilderpolitik unterscheiden konnten. Herr Musial wurde ein Opfer dieser Bunkermentalität. Wenn die Kommission diesen Vorwurf erhebt, so überschreitet sie damit den selbst gesetzten Untersuchungsgegenstand. Ohne eigene Recherchen zum Thema anzustellen, beteiligt sie sich mit einer solchen Äusserung am politischen Meinungskampf. Das gilt im übrigen auch für ihre Feststellung, die Ausstellung habe sich undifferenzierter Argumentationsweise und plakativer Stilmittel bedient: abgesehen davon, dass eine Ausstellung nicht mit einem Buch verwechselt werden darf, artikuliert sich in dieser Kritik auch ein bestimmtes Wissenschaftsverständnis, das den Affekt nicht als genuinen Teil des Erkenntnisprozesses, sondern als seinen natürlichen Feind ausmacht. Unverständlich wird eine solche Distanzierung vom Affekt, wenn

Wissenschaft sich mit erlebter Geschichte befasst, und diese Geschichte sogar die eines grossen Menschheitsverbrechens ist: dann sind die Emotionen notwendigerweise Teil des Gegenstandes, und nicht zuspitzende Zutat des Forscher-Ausstellers.

Welche Probleme gab es im Umgang mit historischen Fotodokumenten?

Die Kommission hat mit dankenswerter Klarheit auf den „bemerkenswert

unbekümmerten Gebrauch fotografischer Quellen“ durch Geschichtswissenschaft und Publizistik hingewiesen und festgestellt: „Die Autoren haben diese Praxis übernommen und – nicht zuletzt aufgrund der Kritik – unfreiwillig sichtbar gemacht.“ Damit ist der eigene Fehleranteil wie das Defizit der historiographischen Zunft angemessen dargestellt. Das Prüfungsergebnis, wonach nur „bei 2 von 1o kritisierten Fotografien“ NKWD-Verbrechen fälschlicherweise der Wehrmacht untergeschoben wurden und „weniger als 2o Fotos“ nicht in die Ausstellung gehören, zeigt – angesichts der insgesamt 1433 verwendeten Fotos – auf wie fragwürdige Weise Bildkritik als Waffe gegen die Ausstellung missbraucht wurde. Die Kommission hat aber auch ein übriges getan: Sie hat die Besonderheiten des Quelleng enres Foto ausgeleuchtet – seinen ambivalenten Aussagecharakter als subjektiver Kommentar zur Wirklichkeit ebenso wie seine vielfältigen Funktionsweisen als Illustration, Beleg oder Beweis. Den Vorwurf, das Erstere nicht genügend beachtet und bei Letzterem nicht sorgfältig genug unterschieden zu haben, akzeptieren wir.

Hat die Kontroverse um die Schau hauptsächlich einen politischen Kern, oder ist sie eher ein wissenschaftlicher Disput?

Es wird sich in der Zukunft zeigen, ob – über den aktuellen Anlass hinaus – Wissenschaft und Publizistik lernfähig sind. Dazu wird es nötig sein, die durch den Kommissionsbericht aufgeworfenen methodischen Fragen aus dem Dickicht des Meinungskampfes zu befreien. Für die politische Kultur Deutschlands und Österreichs wird es von überragender Bedeutung sein zu erkennen, wie sehr dieser Meinungskampf sowohl von revisionistischen und relativierenden Rechtfertigungsmanövern, als auch von höchst manifesten Gefühlen der Abwehr gegen eine permanente und aufwühlende Beschäftigung mit der NS-Zeit dominiert war. Diese explosive Melange aus sehr widersprüchlichen politisch-biographischen Interessen, und nicht ein wissenschaftlicher Disput um wahr oder falsch, haben das Ende der Ausstellung besiegelt. Sosehr die Ausstellung selber Teil und Motor einer lebendigen Geschichtspolitik gewesen ist, sosehr kann die Debatte über ihr plötzliches Ende zum Verständnis der gegenwärtige Lage beitragen.

Wie beurteilen Sie das Konzept der »neuen« Ausstellung?

Reemtsmas neue Ausstellung markiert in diesem Kontext einen Gezeitenwechsel. Sie antwortet auf das Begehren nach Stillstellen der Debatte durch auktoritativ abgesicherte und emotionslos präsentierte Befunde. Obwohl sie keinen Schlussstrich setzen will, wird sie dazu beitragen. Brodskys Diktum – „Sich wirklich erinnern heisst, wieder eintauchen und zerrissen werden“ – kann nur jenseits dieses Projekts realisiert werden.