november-dezember 2000

gehört

gehört

»Drahdiwaberl: Torte statt Worte«, »FLASHBACKS #1–#6«

Drahdiwaberl

Torte statt Worte

Drahdiwaberl Music/Virgin

Österreichs komischste und wildeste Rockband meldet sich zurück: Mit dem ersten regulären Tonträger seit der 1994 erschienenen Sperminator-Platte, kommentieren die Altanarchisten die momentane politische Lage in Österreich - in gewohnt radikaler, witziger und undiplomatischer Weise. Oberaufrührer und Volkskommissar für Aktionismus Stefan Weber, im Zivilberuf Zeichenlehrer, (re)aktivierte seine gut 30-köpfige Spassterroristenbande schon bald nach der Regierungsbildung, um bei Widerstandsdemos aufzuspielen. Es gab Stimmen, die meinten, wir sollen es sein lassen. Aber uns war es immer ernst mit unseren politischen Ansagen. Wenn man als Steinzeitkommunist, Staatskünstler und Fäkalartist jetzt nicht den Mund aufkriegt, wann dann?«, so Weber. Der verrückte Professor vertauschte also Pinsel und Rohrstock mit dem Vorschlaghammer, um seine alten Lieblingsthemen abzuhandeln: Doppelmoral, Spiesser, Boulevardzeitungen und rechtes Gedankengut. Die Hälfte von den zehn Nummern auf der neuen CD sind Coverversionen. Besonderer Dank gebührt Weber für die Exhumierung des Sigi Maron-Klassikers Leckts mi am Oasch. Mit dem Vorschlaghammer gefertigt sind nicht nur die Texte (»wir sind Nestbeschmutzer & Salonmarxisten/ & da könnens Gift drauf nehmen Alt-Stalinisten«), sondern auch die musikalische Untermalung. Orientierte sich Weber früher an Deep Purple, versucht er heutzutage mehr die Härte von deutschen Brachial-Metal-Bands wie Knorkator oder Rammstein zu erreichen. Die elfte und eigentlich letzte Nummer der CD hat der Provokateur mit einem Alt-68er Kumpel als Gastsänger eingespielt: Dem seit seinem legendären Opernballauftritt bekanntesten Führerdarsteller, Hubsi Kramar. Der bellt in schönstem Adi-Sprech, während ein Chor der Vernaderer Susi und Strolchi besingt. Schulterschluss, so der Titel, bescherte den Verantwortlichen der Plattenfirma allerdings volle Hosen. Das erbauliche Liedlein wurde aus Angst vor Beschlagnahme von der CD entfernt. Interessierte finden es auf der Homepage http://www.drahdiwaberl.at DOC HOLLIDAY

FLASHBACKS #1–#6

Trikont/Hoanzl

Frank Zappa meinte ja einmal sinngemäss ironisch, dass Jazz nicht stinke, sondern nur etwas funny rieche. Bezogen auf das heutige Erscheinungsbild des klassischen Jazz kann dem nur vehement widersprochen werden. In einer keimfreien, musealen Umgebung, die auch noch die Rede vom Jazz als einer Black Classic ent-afro-amerikanisiert und plump auf den europäischen Klassik-Begriff zurechtstutzt, kann selbst der beste Riecher nicht fündig werden. Was dabei so alles an Gerüchen unter den Teppich gekehrt wurde (und auch warum das wohl geschah), kann jetzt auf sechs, von Werner Pieper akribisch zusammengetragenen und exzellent kommentierten CDs mit über 150 Songs, die neben Jazz auch Blues, Gospel und Pop von den 20er bis zu den 40er Jahren beinhalten, nachgehört werden.

Wobei gerade die Themen-CDs DrugSongs und CopulationBlues den Jazz-Tugendwächtern heftigst aufstossen dürften. Sind hier doch nicht nur Cab Calloways Opium rauchende Koksnase Minnie und ihren Freund Smokey all around, sondern gibt auch Ella Fitzgerald die Koks-Hymne Wacky Dust, und treibt sich der lustigen Zigaretten mit seltsamen Gerüchen bekanntlich überhaupt nicht abgeneigte Louis Armstrong bei Kickin' The Gong Around in Chinatown herum. Dass herausfordernde Sexualität und dementsprechende Aktivitäten weder eine Männerdomäne sind, noch zwangsläufig zotenhaft sein müssen, beweisen hingegen äusserst direkte Big Mamas & Mean Mothas, wie die legendäre Lucille Bogan (Shave 'em Dry) oder die genüsslich männerdeflorierende Sophie Tucker (He Hadn't Up Till Yesterday). Danach sollte aber gleich zur Halleluja-CD gegriffen werden. Auch weil uns der Vater der modernen Gospelmusik,Thomas A. Dorsey, schon zuvor als Hot & Sexy-Komponist begegnet ist. Was nicht nur erneut die nichtexistente Trennung zwischen dem Geistigen und dem Körperlichen in der afro-amerikanischen Kultur exemplarisch unterstreicht. Gerade bei den ekstatischen Call & Response-Gesänge der Gospel-CD manifestiert sich jene erotische Spiritualität und spritituelle Erotik, die später vor allem im Soul zum tragen kommen sollte. Ähnliches lässt sich auch von den amourösen Herzblutungen auf Heartbreakers sagen. Bleibt noch die NoveltySongs (u.a. mit Graucho Marx und seinem anarcho-nihilistischem Stossgebet I'm Against It) sowie die Offenbarung überhaupt: American WarSongs! Und das nicht nur wegen Johnny Bonds, unlängst von der Bolschewistischen Kurkapelle Schwarz-Rot wiederentdeckten Anti-Nazi-Klassikers Der Führer's Face. Kurz, Flashbacks ist die musikarcheologische Sensation des Jahres. Nix wie unter dem X-Mass-Baum damit!!!

Didi Neidhart