november-dezember 2000

gelesen

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»Helmut Berger: Ich«, »Helene Flöss: Schnittbögen«, »Paolo Rumiz: Masken für ein Massaker«

Helmut Berger

Ich. Die Autobiographie.

Ullstein, 2000. 304 Seiten, 123,–

Die Lebensgeschichte des Bad Ischler Hoteliersohns, der in die weite Welt des Films (Die Verdammten, Ludwig II, Gewalt und Leidenschaft) und des Glamour zog und den Marlene Dietrich einmal brieflich fragte, wer denn von den beiden prettier sei. Wer Berger nur als divenhafte, narzistische Skandalnudel in Erinnerung hat (volltrunkene, zu Handgreiflichkeiten neigende Pressekonferenzen bei der Viennale etwa), wird vielleicht etwas enttäuscht sein. Zwar klingen Kapitelüberschriften wie Bei Fassbinder nicht wohl gefühlt, beim deutschen Zoll in die Hose gemacht nach sleazy Skandalgetratsche, aber Berger wäscht dabei grundsätzlich nur die eigene Schmutzwäsche. Da ist er jedoch erbarmungslos, und zieht sich herzhaft amüsiert bis angewidert über frühere Eskapaden und Blödheiten mit ironischer Schärfe durch den Kakao. So entspinnt sich auch ein Kaleidoskop vom gschlamperten Chaos im London der Swingin' Sixties (Dylan, Stones), über den libertinen Jet-Set der 70er Jahre, wo sich Adel, Industrie, Bohémiens und Linke (Visconti, Bergers Mentor und Lebenspartner, war Kommunist) nicht nur die Türklinken in die Hand gaben bis hin zu den eher ernüchternden 80ern und 90ern (das US-Trauerspiel Denver Clan). Bemerkenswert auch Bergers Stolz über seine Inhaftierungen, die er wegen Stühlewerfens gegen Scheißfaschisten (römische Carabineri, die einen schwarzen Strassenmusiker filzten) und bei einer Terroristen-Rasterfandung ausfasste. Boogie-Woogie, eben und kein Lercherlschaß! Didi Neidhart

Helene Flöss

Schnittbögen

Haymon, 2000.

Schneiderinnen schreiben keine Tagebücher, sie schreiben Massbücher, höchstens Haushaltsbücher. Else, die Ich-Erzählerin in Helene Flöss‘ Roman nutzt die transparenten Bögen ihrer Schnittvorlagen, papierene Krägen, Rückenteile und Ärmel, um ihre Aufzeichnungen über Jahre hinweg festzuhalten.

Die Textur der Schnittbögen eröffnet neben einem Bündel alter Briefe aus dem Besitz ihrer Freundin Olga, die Erinnerung an die dreißiger und vierziger Jahre in Südtirol unter Mussolini. In dem verwirrenden Linienspiel zeichnen sich zwei Erzählstränge ab: Im Zentrum des einen steht Mati, der Verlobte Olgas, der während des Zweiten Weltkriegs in Berlin, später an der russischen Front stationiert ist und schließlich den Heldentod stirbt. Der andere folgt Ansgar, dem Ehemann Elsas, der kurz nach seiner Einberufung zur deutschen Wehrmacht desertiert, sich in den Bergen versteckt hält, und nach Kriegsende, psychisch krank, in ein Kapuzinerkloster zurückzieht.

In knapper Sprache, geradezu puristisch erzählt, erscheint der Plot dieses Romans wie eine Neuauflage des dunklen Heimatfilms Heidenlöcher von Wolfram Paulus. Die Geschichten der abwesenden Männer bietet hier jedoch nur die Folie für die eigentliche Erzählung, die von den in der Heimat-Region zurückgebliebenen Frauen. Das Buch von Helene Flöss ist ein lesenswertes Produkt der – ansonsten hierorts nicht sehr aufmerksam wahrgenommenen – kleinen Literaturgesellschaft Südtirol, das vorführt, wie produktiv die Arbeit der Literatur an Zeitgeschichte sein kann. Ulrike Ramsauer

Paolo Rumiz

Masken für ein Massaker.

Der manipulierte Krieg: Spurensuche auf dem Balkan.

Antje Kunstman, München 2000.

Mittlerweile sind viele Bücher über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien auf den Markt gekommen, aber wenige sind so aufschlussreich und spannend zugleich, wie das eben erschienene Buch Masken für ein Massaker. Der manipulierte Krieg: Spurensuche auf dem Balkan. des italienischen Journalisten Paolo Rumiz. Die einzelnen Kapitel des Buches versuchen einer während der Kriege am Balkan praktizierten journalistischen Leichtgläubigkeit entgegenzuwirken. Der Autor sehr beschreibt, was er mit eigenen Augen an Schrecklichem gesehen und erlebt hat, wie es verfälscht oder zur Schau gestellt, und nicht zuletzt, wie es von den beteiligten Parteien oder auch den Medien inszeniert wurde. Es ist diese Genauigkeit des Autors, über die Claudio Magris schreibt, dass »man jedes Mal selbst nachprüfen (muss), wer eine Bombe geworfen hat, um zu verstehen, warum das eine Mal versucht wird, ein Massaker zu verbergen, ein anderes Mal dagegen, es aller Welt vorzuführen.« Spannend habe ich vor allem jene Passagen gefunden, in denen der Autor seinen LeserInnen auf eindrucksvolle Art und Weise vorführt, daß der ‚Balkan‘ nicht irgendwo außerhalb von Europa liegt. Die Schwierigkeiten, die Auseinandersetzungen auf dem Balkan zu verstehen begründen sich nach Ansicht von Paolo Rumiz damit, dass sich in Folge dieser Kriege die alten Muster der politischen Lager von links und rechts umdrehten. Oder wie anders könnte es sonst verstanden werden, dass sich PazifistInnen zu FürsprecherInnen von militärischen Interventionen gewandelt haben, und Militärs zu Verfechtern von Verhandlungen wurden. Doris Gödl