november-dezember 2000

Gerald Gröchenig

Hinter der heilen Welt des Brauchtums

Im Dezember 1999 starb Tobias Reiser Junior, langjähriger Leiter des Salzburger Adventsingens

Als am 18. Dezember 1999 Tobias Reiser in seiner Wohnung verstarb, hatte Salzburgs Brauchtumsszene eine ihrer Galionsfiguren verloren. Über die Grenzen hinaus war Reiser als Leiter des Salzburger Adventsingens bekannt, das für ihn, wie er selbst zugab, den Mittelpunkt seines Lebens darstellte. Er gilt als großer Erneuerer dieser Veranstaltung, die er in den 25 Jahren seiner Leitung von einer Abfolge von Advent- und Weihnachtsliedern zu einem thematisch konzipierten Oratorium umgestaltete, wobei er den Inhalt um durchaus unkonventionelle und kritische Szenen bereicherte. An die 40.000 Personen lockte diese Veranstaltung in den letzten Jahren jeden Dezember nach Salzburg, Presse wie Publikum feierten ihr Adventsingen und dessen Mentor.

Hinter den Kulissen gab es einen anderen Reiser. Dem Großteil seines Publikums wurde dies erst mit den Enthüllungen um seinen Kokainkonsum bewußt, als es klar wurde, dass hinter der heilen Welt des Brauchtums auch andere gesellschaftliche Realitäten zu finden sind. Realitäten, die in Brauchtumsveranstaltungen und Radiosendungen quer durchs Land, hinter einer idyllisierenden Darstellung des Landlebens hintanstehen. Konflikte mit Vater und Familie, nie thematisiert, auch nie verarbeitet. Die Verpflichtungen bei der Übernahme des Adventsingens vom Vater und die Schwierigkeiten dabei, sich aus dem Schatten desselben zu lösen. Die Spannungen, in einem Feld als Galionsfigur zu arbeiten, in dem normalerweise schon kleine Abweichungen von der Tradition negativ sanktioniert werden, und trotzdem als musikalischer und inhaltlicher Erneuerer tätig zu sein.

Alle, mit denen man über Tobias Reiser redet, bezeichnen ihn als einen großartigen Menschen, tolerant und mit einem kritischen Geist. Einer, der zwischen Koryphäe und Kind schwankte, sehr spendabel war, nie nein sagen konnte und Konflikte wie Leiden lieber in sich hineinfraß. Der sehr wohl gemerkt haben muß, dass Bürgermeister Dechant bei der 50-Jahre Feier des Adventsingens fehlte, obwohl dieses ohne einen Schilling Fördergeld der Stadt auskommt und somit eine enorme Endwegrentabilität für die Wirtschaft derselben darstellt. Der sich nur im kleinen Kreis darüber mokierte, dass der um einiges unbedeutendere Jazzherbst von Seiten der Stadt um soviel mehr wahrgenommen wurde als seine Arbeit.

Als die Freunde des Salzburger Adventsingens zu seinem fünfzigsten Geburtstag einen Band mit seiner über Jahre hinweg entstandenen Lyrik herausgaben, hielten sich Salzburgs Buchhändler mit Bestellungen dezent zurück. Die 35 Gedichte zeichnen ein Bild Reisers abseits jeglicher heimatlicher Vorstellungen: Die Nähe zum Tod, eine Gespaltenheit zwischen Sein und Schein, oder, wie es der Salzburger Germanist Karl Müller im Vorwort über die Gedichte ausdrückt: »...sie geben Fingerzeige auf eine existenzielle Befindlichkeit zwischen Pflicht und Neigung, zwischen Passion, Schulderfahrung, Angst, Einsamkeit, quälender Gewissensnot, ja wiederkehrender Selbstanklage...«. Fürchtete man, dass der wahre Reiser zum Ladenhüter verkommt?

Im Jahr eins nach Tobi Reiser’s Tod geht das Salzburger Adventsingen wie gehabt weiter. Reiser’s engste Mitarbeiter, denen er schon zuletzt sehr viel Eigenständigkeit eingeräumt hatte, wollen es in seinem Sinne weiter betreiben. Die Abende sind – wie in den Vorjahren – bereits ausverkauft. Inwieweit sich das Fehlen des "Regulativs" Reiser, ohne dessen Lebenserfahrung das Adventsingen wohl anders ausschauen würde auf die weitere Entwicklung auswirkt, wird man wohl erst in einigen Jahren sagen können.