september-oktober 2000

gehört

gehört

DIEDRICH DIEDERICHSEN

2000 Schallplatten 1979 - 1999

Hannibal, 2000

Neues vom „Pop-Papst“. Aber nicht ganz. Erschienen doch schon 1989 die „1000 Schallplatten 1979 – 1989“. Da dieser Monsterwälzer mittlerweile vergriffen ist und sich in der Zwischenzeit auch nicht gerade wenig getan hat gibt es jetzt also das „Original“ plus all dessen, was in den letzten 10 Jahren so alles an Tonträgern von Diederichsen reviewt wurde. Was einem natürlich zuerst einmal eher erschlägt. Auch weil es sich, dem Titel zum Trotz, um ca. 2500 Reviews aus Magazinen wie „Sounds“, „SPEX“ und „konkret“ handelt. Beibehalten wurden die Kommentare zu den einzelnen Reviews, die das damals Geschriebene und Gedachte aus aktuellen Blickwinkeln heraus noch einmal analysieren, ergänzen oder auch einfach über den Haufen werfen. Wie im Vorgängerband über die Achziger, so gibt es diesmal auch zu Beginn einen längeren (und auch ernüchternden) Essay über die Neunziger, der Verschiebungen, Brüche und Umorientierungen in Sachen Pop & Politik („Mainstream der Minderheiten“, Elektronik, Post-Rock, etc.) zum Thema hat. Diese geballte Ladung Diederichsen eignet sich aber nicht nur zum Nachschlagen und Abzählen jener Tonträger, die auch im Haushalt der jeweiligen LeserInnen stehen. Vielmehr geht es auch um mannigfaltige Entwicklungslinien. Nicht nur der Musik, sondern auch der Schreibe darüber. Sind die alten „Sounds“-Texte noch durch ein radikal subjektives Schreiben, dass auch „post-pubertärerm Narzismus“ subversives Potential abringen kann gekennzeichnet, so verschieben sich die Akzente in den Texten für „SPEX“ und „konkret“ immer mehr in Richtung Thematisierung auch der eigenen Sprechposition. Wozu HipHop wohl den größten Teil beigetragen hat. So lesen sich auch Reviews über Platten und Bands, die privat eigentlich überhaupt nicht interessieren als spannende Momentaufnahmen. Geht es Diederichsen doch vor allem um (größere) ästhetische Entwürfe, die anhand von einzelnen Platten/CDs auf ihre – auch soziopolitischen – Potentiale abklopft werden (am besten u.a. an den diversen Lou Reed/Neil Young-Abhandlungen nachzuvollziehen). Es geht also um Verknüpfungen, Verbindungen, um Milieus und kollektive Gruppierungen. Das sind die kleinsten (mircropolitischen) Einheiten, die Diederichsen interessieren. Und da stellen Tonträger nur kleinste (Teil-)Aspekte – im Positiven wie im Negativen – dar. Dass dabei so etwas wie „Leidenschaft“ und „Fantum“ nicht vernachlässigt wird zeigt sich dann auch gerade bei den aktuelleren Reviews, die sich vor allem mit digitaler Musik zwischen HipHop (Missy Eliott, Timbaland) und Drum & Bass sowie den großen Abstraktionsentwürfen zwischen Rock (Melvins, ganz klar) und Elektronik (Oval bzw. gewisse nichtmetaphysisch angehauchte Ambient/Post-Techno-Zweige) beschäftigen.

SUICIDE, 1/2 Alive

R.O.I.R./Trost

Nachdem in den letzten Monaten das epochale Frühwerk der beiden New Yorker Electronic-Pioniere Martin Rev und Alan Vega wiederveröffentlicht wurde, gibt es nun mit „1/2 Alive“ endlich auch das vielleicht rareste, aber auch für viele beste Stück aus der Frühzeit der Band auf CD. Ursprünglich 1981 nur als Cassette erschienen präsentiert dieser Zusammenschnitt aus Live- und Studio-Track Suicide als die legitimsten aber auch kompromisslosesten Weiterdenker einer Musik, die zuvor schon von Bands wie den Velvet Underground und Iggy & The Stooges bis zum Extrem getrieben wurde. Allein Tracks wie „Sister Ray Says“, „Harlem“, „Las Vegas Man“ oder „Cool As Ice“ sind schmerzhaft-hypnotische Höllenfahrten in den amerikanischen Alptraum und den damit verbundenen Rock'n'Roll-Mythen. Beste und zwingendste Wiederveröffentlichung des Jahres!

BAUER HAAS SPRING

Die grosse Marschparade

edition comet

Keine Trauermärsche diesmal. Dafür „echte“ Marschmusik für Kameradschaftsbündler, Soldaten und andere, die gerne mehr oder weniger stramm marschieren wollen. Geht aber mit den hier veröffentlichten Märschen nicht so recht. Denn die Salzburger Künstler Bauer, Haas und Spring haben das Material von unzähligen Marschmusik-Kassetten im Computer zerschnipselt, zerdehnt, auseinandergebrochen und neu zusammengesetzt. Herausgekommen sind dabei so subtil-subversive Marschdekonstruktionen wie der „Deliriermarsch“ oder der brachial-geniale Hit „hump dump deliriump“. Musik als Widerstandsform, die auch unter rein „ästhetischen“ Gesichtspunkten überzeugt. Fortsetzung folgt hoffentlich.

Various Artists

Select Cuts From Blood&Fire

Blood & Fire/Ixthuluh

ESG

A South Bronx Story

Universal Sound/Hoanzl

1981 schlossen sich vier Schwestern plus ein Percussionist zu einer Band zusammen, die wohl wie keine zweite genau innerhalb der Schnittpunkte von Funk, Disco, HipHop, Punk, New Wave und House agierte. Kein Wunder also, dass der reduzierte Drum & Bass-Funk von ESG im Laufe der Zeit immer wieder von diversesten HipHop-Acts gesampelt wurde. Die jetzt erschienene Zusammenstellung ihres besten Materials aus den Achzigern schließt jedoch nicht nur diese Lücke. ESG erschienen in Europa ja auch nicht zufälligerweise auf dem britischen Factory Label (Joy Division, New Order). War doch ihr abstrakter Funk auch eine Art Blue Print für die dort gehegten Dancefloorinnovationen (von besagten New Order bis hin zu den Rave-O-Lution-Stars Happy Mondays). Zudem stellen ESG auch eine Art Street Corner-Äquivalent zu den Disco-Funkster von Chic („Le Freak“) dar.

Let's Dance!!! Didi Neidhart