september-oktober 2000

gelesen

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Alois Kaufmann

Totenwagen.

Kindheit am Spiegelgrund

Edition Uhudla, 2000.

Als eines der ersten Opfer des NS-Erziehungsterrors wagte Alois Kaufmann, der als Kind nahezu zwei Jahre am Spiegelgrund verbracht hatte, sein Schweigen zu brechen. Seine Erinnerungen wurden kürzlich in der Edition der Wiener Straßenzeitung „Uhudla“ neu verlegt.

Alois Kaufmann, aufgewachsen in verschiedenen Pflegefamilien, war eines der Kinder, die nicht den Wertmaßstäben der NS-Gesellschaft entsprachen und in Bewahranstalten abgeschoben wurden. Die Wiener „Heilpädagogische Anstalt“ war nachweislich Instrument des NS-Euthanasieprogramms: Über 700 Kinder wurden durch „medizinische Behandlung“ getötet oder deportiert. Aufgerollt durch die „Arbeitsgemeinschaft Kritische Medizin“ gelangte erstmals 1978 der Fall des Psychiaters Heinrich Gross in die Medien. Gross, damals in erster Instanz verurteilt, wurde schließlich mangels Beweisen freigesprochen.

Kaufmanns Leben ist durch die „Heimjahre“ massiv beeinträchtigt, noch heute leidet er unter Angstzuständen. Dass Opfer der NS-Psychiatrie immer noch als zweitrangig angesehen werden, musste er im Umgang mit den zuständigen Wiener Behörden erfahren. Sein Antrag auf Anerkennung wurde mit der Begründung abgewiesen, dass „...keine gegen ihn gerichtete rassische Verfolgung vorlag.“

Zu bestellen über www.uhudla.at

Ulrike Ramsauer

Robert Anton Wilson

Das Lexikon der Verschwörungstheorien

Eichborn Verlag, 2000, 400 S,

öS 321.-

Das vielleicht etwas andere Buch zur Teilanalyse bestimmter Theorien der derzeitigen österreichischen Regierung. Was natürlich eher ein Zufall ist. Nur trifft der Co-Autor der legendären „Illuminatus!“-Trilogie diesbezügliche Nägel präzise auf den Kopf. Etwa wenn er schreibt, dass Verschwörungstheorien „erst in Zeiten, in denen die Regierung selbst Verschwörungen befürchtet, d.h. ihrer Bevölkerung nicht mehr traut“ absolute Hochkonjunktur haben (z.B. die „Sozialistische Internationale“, „gewisse jüdische Ostküstenkreise“, heimische „Österreichvernaderern“, die „links-linke Jagdgesellschaft“).

Für Wilson steht aber auch fest, dass bei der Suche nach Erklärungen für scheinbar Unerklärliches (egal ob UFO-Mitfahrzentrale oder politische Umbrüche) meist die blödsinnigsten/hirnrissigsten Stories geglaubt werden. Wobei sich die innere „Logik“ dieser „Theorien“ meist ähnelt. Jeder Gegenbeweis funktioniert gleichzeitig als Beweis. Zeigt er doch nur welche Macht Verschwörungen eigentlich haben (etwa wenn JournalistInnen bei Worten wie „Hump“ oder „Dump“ automatisch „Lump“ hören).

Spätestens seitdem „Akte X“ auch den Mainstream mit Verschwörungstheorien bekannt gemacht hat, kann aber auch von einer Art moderner, neuer Folklore/(Pop-)Mythologie (Lady Di) gesprochen werden. Wilson steht dem allen mit bissigem Skeptizismus gegenübersteht. Was „wahr“/ „falsch“ ist, sollen die LeserInnen selber entscheiden. Internet-Adressen zu fast jedem Thema runden den Band ab.

Didi Neidhart

GÜNTER BRÖDL, PETER HIESS

Kurt Ostbahn. Peep-Show.

Trainer & Trash ermitteln

Eichborn, 2000

Wenn einer eine Reise tut, sollte das letzte Fluchtachterl vor der Fahrt zum Flughafen nicht mit einer späteren Leiche genossen werden. Denn sonst kann es brenzlig werden. Das merken im aktuellen Kurt-Ostbahn-Krimi vor allem die Ostbahn-Spezis „der Trainer“ und „Doktor Trash“. Kombiniert doch Kommissar Skocik beinhart und hält dementsprechend den sich in New Orleans vergnügenden Kurtl für den Hauptverdächtigen in Sachen Peep-Show-Mord.

Dem Trainer und Doktor Trash bleiben nur 48 Stunden Zeit die Unschuld ihres Haberers zu beweisen. Und das machen sie ähnlich wie Stan & Ollie in ihren besten Zeiten. Aber bekanntlich sollen Niederlagen ja nur stärker machen. Was hier nur bedingt gilt. So sind es auch eher stümperhaft zusammengekommene Zufallstreffer, die schließlich zum Erfolg führen. Macht aber nix. Dafür sind die verknappten aber detailgenauen Milieuschilderungen und Charakterstudien die eigentlichen Highlights. Eine Krimi wie ein zerkratzter Jukebox-Hadern. Didi Neidhart

GERALD RAUNIG (Hg.)

Sektor3/kultur

Widerstand, Kulturarbeit,

Zivilgesellschaft

IG Kultur Österreich, 2000

Der vorliegende Sammelband zur gleichnamigen Konferenz die Ende März/Anfang April dieses Jahres in Wien über die Bühne ging, verdeutlicht stellenweise schmerzhaft genau ein Stadium zwischen Euphorie (Großdemos und die – nicht nur damit verbundenen – Widerstandpotentiale) und Ernüchterung angesichts der ersten konkreten Maß-

nahmen der FPÖVP-Regierung.

Zentral geht es um die „Zivilgesellschaft“, die etwa bei Gerald Raunig „bei den Strukturen, bei deren Organisierung und der Vernetzung der tausend unverbundenen Einheiten“ beginnt und die für Boris Buden untrennbar mit unabhängigen Medien, NGOs sowie einer „Internationalisierung“ verbunden sind. Widerstandspotentiale die über Anfangs-

euphorien und einer Demo-Spektakel-Kultur hinausgehen werden dabei vor allem in gesellschaftlichen Feldern verortet, die sich per se als diskursiv und antagonistisch verstehen. Nur ein „heterogener zivilgesellschaftlicher „Sektor“ im kulturellen Feld“ (Raunig) könne daher „dem Widerstand Dauer und Substanz geben“. Nicht nur Oliver Marchart stellt sich die Frage, wie sich „Erreichtes (...) befestigen und ausbauen“ lässt. Eine mögliche Antwort gibt hingegen F.E. Rakuschan, wenn er feststellt: „Der sektor3/kultur ist ein Sozialraum, der nicht zuletzt auch durch die Virtualisierung des Sozialen (neue Medien) formiert wurde und wird. Sektor3/kultur ist demnach untrennbar mit der sogenannten Netzkultur verbunden.“

Fazit: Nicht immer leicht zu lesen, manchmal depremierend, aber unverzichtbar. Didi Neidhart

Zu bestellen über www.igkultur.at