september-oktober 2000

Thomas Neuhold
titel

„...aus Wien oder Salzburg Belgrad machen“

Alfred Gusenbauer und seine Stellvertreterin, Landesrätin Gabi Burgstaller, über

Herr Dr. Gusenbauer, bei ihrem Antritt als Parteivorsitzender hörte man aus den sozialdemokratischen Reihen: "endlich ist die Zeit der Nadelstreife vorbei". Jetzt hat sich die Stimmung gewandelt. Es gibt Kritik. Zum Beispiel die Sanktionen: Die SPÖ hat sich auf den Wettbewerb eingelassen: "Wie bringen wir die Sanktionen möglichst schnell weg?" Hätte man sich nicht hinstellen können: Das sind eigentlich keine Sanktionen, es sind diplomatische Maßnahmen gegen die Regierung. Das ist nicht das Problem der Opposition.

Gusenbauer: Rein hypothetisch kann man die Sache so vertreten – es ist trotzdem falsch. Richtig ist, dass es Maßnahmen gegen die Regierung sind. Allerdings, ab dem Zeitpunkt, wo einzelne Vertreter aus europäischen Staaten beispielsweise gesagt haben, "Schifahren in Österreich ist unmoralisch", oder etwa einzelne Städte die Städtepartnerschaften eingestellt haben, ist die Stimmungslage völlig gekippt. Es war ab diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich eine Differenzierung zwischen den Maßnahmen gegen die Regierung und tatsächlichen Sanktionen über die Bühne zu bringen.

Haben nicht die Maßnahmen der EU-14 die FPÖ davon abgehalten, ihren Kurs noch viel schärfer zu fahren?

Gusenbauer: Das Problem ist, dass die Verschlechterung des politischen Klimas während der Maßnahmen der 14 stattgefunden hat. Sosehr das Hinschauen der EU-14 auf Österreich sinnvoll ist, war die innenpolitische Wirkung des bleiernen Schleiers der Maßnahmen bedeutend stärker.

Es ist daher besser, wenn diese Maßnahmen weg sind, weil dann auch die eminente Verschärfung des politischen Klimas und die Vorstellungen des Herrn Westenthalers, der aus

Wien oder Salzburg Belgrad machen will, zum Thema gemacht werden können.

Die SPÖ wird für eine allfällige Volksbefragung keine Empfehlung abgeben. Was werden sie an diesem Tag tun?

Gusenbauer: Ich halte die Volksbefragung für nicht sinnhaft, im Sinne der Aufhebung der Maßnahmen. Ich halte sie für einen Mißbrauch eines direkt demokratischen Instrumentariums. Ich halte es für verfassungsrechtlich bedenklich, wie die sechs Fragen in einer Frage zusammengefaßt sind und im Wesentlichen nur für ein Mittel der Regierung, von den budgetpolitischen Auseinandersetzungen des Herbstes abzulenken. Ich werde mich für dieses Spektakel nicht zur Verfügung stellen.

Burgstaller: Dasselbe gilt für mich. Verfassungsrechtlich äußerst bedenklich, demokratiepolitisch ein klarer Mißbrauch. Und im Übrigen trägt es genau zum Gegenteil dessen bei, was die Regierung behauptet hat.

Hätten sie Verständnis für Leute, die mit "Nein" stimmen?

Burgstaller: Ein klareres Zeichen ist es nicht hinzugehen.

Die SPÖ hat sich schnell auf das Nulldefizit eingelassen. Ist das die Linie der SPÖ: Alles bisher war Verschwenderpolitik?

Gusenbauer: Die klassische wirtschaftspolitische Auffassung besteht darin, dass ich in Zeiten der Hochkonjunktur versuche, den öffentlichen Haushalt in Ordnung zu bringen, damit ich in Zeiten der wirtschaftlichen Rezession die Möglichkeit habe, gegenzusteuern. Wir haben jetzt eine gute Konjunktur mit einem Wachstum von etwa dreieinhalb Prozent. Das ist ein günstiger Zeitpunkt, das Budget zu konsolidieren. Das ist im Übrigen eine Fortsetzung der bisherigen Linie. Die letzte Regierung hat ab 1995 das Budgetdefizit von 5,4 Prozent auf 2,2 Prozent des BIP zurückgefahren.

Die Frage eines Nulldefizits ist eine willkürliche Festlegung. Genauso kann ich festlegen: 0,5 Prozent Überschuss oder 0,5 Prozent Defizit. Absolut willkürlich ist auch der Zeitpunkt 2002. Entscheidend ist das Ende des Konjunkturzyklus.

Wenn ich das Ziel 2002 setze, so nehme ich an, dass es zu keinen Strukturreformen kommt, sondern dass dort eingeschnitten wird, wo es am einfachsten möglich ist, nämlich bei Sozialausgaben, bei Ermessensausgaben, Investitionen und unter Umständen Steuererhöhungen. Die Deutschen hingegen haben sich das Ziel gesetzt im Jahr 2005 null Defizit zu haben, weil sie die Konsolidierung über Strukturreformen durchführen wollen.

Die Frage ist: wie konsolidiere ich das Defizit? Welche Zielsetzungen sind damit zu verwirklichen? Die Zielsetzung eines Staates ist ja nicht null Defizit zu haben, sondern Wachstum, Beschäftigung, soziale Ausgewogenheit, Bildung... zu haben. Es darf daher der Konsolidierungskurs zu keiner Dämpfung von Wachstum und Beschäftigung führen. Damit geht einher, dass es zu keinem Absenken der öffentlichen Investitionsquote bei Bund, Ländern und Gemeinden kommen darf. Der Konsolidierungskurs muß sozial ausgewogen sein.

Voraussetzung ist, dass die Regierung in erster Linie auf die Mehrausgaben, die sie im Regierungsprogramm vorgesehen hat, verzichtet; nämlich bis Ende der Legislaturperiode 70 Milliarden Schillinge für Dinge wie den Kinderscheck auszugeben. Das kommt mir ungefähr so vor, wie wenn ein Familienvater, der sich die Frage stellt, wie kann ich die Schulden vom Häuslbauen abtragen, als erste Maßnahme einen Porsche kauft. Der fünfte Punkt ist, dass die bereits vereinbarten Mehreinnahmen, wie die LKW-Maut rechtzeitig umgesetzt werden. Hier handelt es sich um staatliche Einnahmen.

Man soll sich einmal die Entwicklung in Staaten wie Finnland, Dänemark, Schweden, Niederlande ansehen. Die haben erfolgreich das Budget konsolidiert. Wie sehen dort die Sozialabgaben aus, in welche Richtung gehen sie? Wie sehen dort die Einkommenssteuern, die Gewinnsteuern aus? So kann man feststellen, wo gibt es eine Möglichkeit für Österreich Nachjustierungen vorzunehmen.

Es hat bei dem nicht stattgefunden Eisenbahner- und Poststreik im Frühsommer vom Parteivorsitzenden der SPÖ die Empfehlung gegeben, nicht zu streiken.

Gusenbauer: Letztendlich muss man sich darüber im Klaren sein, welche Art von Eskalationsstufen stehen einem zur Verfügung. Wenn man gleich mit einem Streik anfängt, muss man sich die Frage stellen, was kommt danach, wie lange kann ich einen Streik durchhalten und welche Unterstützung habe ich dafür in der Arbeitnehmerschaft.

Ich bin nicht grundsätzlich gegen Streiks. Aber einen Streik muss man mit der Perspektive führen, ihn zu gewinnen. Dazu ist es erforderlich, dass man auch die eigenen Reihen mobilisiert und überzeugt hat. Das entspricht aber nicht der bisherigen Logik sozialer Auseinandersetzungen in Österreich. Ich habe nicht den Eindruck, dass man aus dem Stand heraus von Null auf Hundert fahren kann.

Wie ist die Akzeptanz bei der von der SPÖ für den Herbst geplanten Frauendemonstration?

Burgstaller: Ohne Aufbereitung wird es unter Umständen nur ein kleines Aufflackern. Und so wie es bei den Gewerkschaften entscheidend ist, dass man viele Mitglieder überzeugt, wird es wichtig sein, dass wir viele Frauen überzeugen.

Ein anderes Feld, wo es eine gesellschaftliche Akzeptanz für Oppositionspolitik gäbe, wäre der Aufstand der Kommunen. Warum hat die Sozialdemokratie nicht stärker versucht, mit den von ihr regierten Kommunen eine gemeinsame Aktion zu starten?

Gusenbauer: Es geht bei der Frage der Städte nicht um die Frage, ob das eine sozialdemokratische Bastion ist oder nicht. Sondern es geht darum, dass die Städte in Österreich eine ganz wesentliche Funktion haben. Es gibt gute Gründe dafür, wieso die Städte im Zuge des Finanzausgleiches mehr Mittel brauchen. Sie haben ja ganz wesentliche kulturelle Versorgungs-, Bildungs- und sonstige Aufgaben. Wer die Städte verarmt, verarmt Österreich, wer die Städte beschneidet, beschneidet damit die Zukunftsaussichten des gesamten Landes. Es wird daher ganz sicherlich ein gemeinsames Auftreten der Bürgermeister geben.

Wir sitzen hier nicht mehr im Büro der großen Regierungspartei, sondern im Büro der großen Oppositionspartei. Am Tisch sitzt der Chef der Opposition und eine Regierungsverantwortliche eines Landes, in einer Koalition, die auf Bundesebene vor kurzem in Brüche gegangen ist. Wie stellt sich denn aus der Erfahrung im letzten halben Jahr dieses Spannungsverhältnis Opposition/Regierung in Salzburg dar?

Burgstaller: Es ist eine Lernphase. Aber das ist nichts Neues, denn es war immer so, dass es ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen den Gebietskörperschaften gegeben hat, dass die Länder gegen Vorschläge, die der Bund gebracht hat, in Opposition gegangen sind.

Die ÖVP tut sich selbst genauso schwer, da sie plötzlich federführend auf Bundesebene die Länder zur Kassa bitten soll. In unserer Verantwortung in der Landesregierung haben wir zuerst darauf zu achten, was passiert mit den Ländern und als zweites natürlich unsere politische Aufgabe wahrzunehmen. Beides läßt sich vereinbaren. Aber es ist schwierig, zugegeben.

Wird man leichter erpressbar?

Burgstaller: Es wurde versucht, die Gefahr an die Wand zu malen, insbesondere ich – so die Salzburger ÖVP-Geschäftsführerin – würde jetzt "radikale Oppositionspolitik" betreiben. Aber wir sind gerade im Bundesland Salzburg immer für konstruktive Politik bekannt gewesen und werden das auch weiter so handhaben.

Streifen wir kurz die programmatische Entwicklung

der SPÖ. Was können sich die Menschen - jenseits der Abgrenzung hin zur FPÖ - von der SPÖ erwarten?

Gusenbauer: Wir stehen vor einer grundsätzlichen Auseinandersetzung in Europa: Welche Form von Marktwirtschaft soll es in Zukunft geben? Soll es eine konservative Form geben, wo die Aufgaben der Öffentlichkeit und des Staates im Wesentlichen auf die innere und äußere Sicherheit beschränkt sind? Oder gibt es eine Erneuerung des europäischen Wohlfahrtsmodells, das öffentliche Güter zur Verfügung stellt, die sowohl Chancen offerieren, als auch Risiken abdecken. Die wesentliche Auseinandersetzungsfrage wird sein: Gibt es neben der äusseren und inneren Sicherheit öffentliche Güter wie Bildung, Gesundheit, Pensionswesen?

Es stellt sich die Frage der grundsätzlichen gesellschaftspolitischen Orientierung. Geht man stärker in Richtung eines autoritäreren staatlichen Gebildes, das sich niederschlägt in Ausgrenzungsszenarien, in einer Reduktion der Demokratie auf die politische Demokratie, sprich auf Wahlen, oder geht man den Weg in Richtung einer aufgeklärten, toleranten Gesellschaft, die zur Kenntnis nimmt, dass die Unterschiede in unserer Gesellschaft – und zwar nicht in erster Linie die ökonomischen und sozialen – sondern ethische, religiöse, kulturelle Unterschiede auf Grund der europäischen Binnenmarktsituation, auf Grund der Erweiterung der EU immer mehr werden.

Die Sozialdemokratie wird in vier großen Themenbereichen arbeiten.

Der eine Punkt ist der Bereich der modernen Wirtschaft, verstanden als eine Gesellschaft der Chancen. Das heißt, zu akzeptieren, dass gegen die Globalisierung kein Kraut gewachsen ist und der richtige Schritt der ist, globalisierte Marktwirtschaft durch demokratisch legitimierte Institutionen zu regulieren.

Die zweite Ebene ist eine neue soziale Balance. Denn bei aller Blickrichtung zu einer Hochleistungsgesellschaft, muss diese eine solidarische Gesellschaft sein. Das heißt, man muss auch akzeptieren, dass es einen Teil der Bevölkerung geben wird, der mit dem enormen Tempo der technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung nicht mit kann. Dafür muss es eine gesellschaftliche Solidarität und letztendlich die Garantie des Staates geben.

Der dritte Punkt ist das gesamte Projekt Gesellschaftspolitik, Demokratiereform und das, was ich unter Management der Differenzen verstehe - nämlich eine liberale, aufgeklärte, tolerante Gesellschaft zu etablieren.

Und der vierte Bereich ist das Verhältnis zu Europa und zur Welt. Da steht die Sozialdemokratie für einen pointierten Kurs der europäischen Integration und der Erweiterung.

Man hat den Eindruck gewonnen, sie rechnen mit einer längeren Oppositionsphase.

Gusenbauer: Diese Regierung verfügt derzeit über eine massive Mehrheit im österreichischen Parlament. Das ist nur dann zu kippen, wenn es zu einer Veränderung der Kräfteverhältnisse kommt. Und das wäre ein relativ großer Sprung, der hier zu tätigen ist.

Und wann werden wir uns mit der Landeshauptmannstellvertreterin Burgstaller treffen? Wann kommt es in Salzburg zu einer Ablöse an der SPÖ-Parteispitze?

Burgstaller: Das wird nur in den Medien diskutiert. Ich kann da in der Ferne nichts dergleichen erkennen. Und nah schon gar nicht.

Danke für das Gespräch.