juni 2000

Wolfgang Karlhuber
gelesen

DRAGAN VELIKIC: Dante Platz

Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 1999

Schauplatz Pula / Istrien: Der Dante-Platz unter italienischer Herrschaft, vormals Kaiser-Platz unter österreichischer, nachmals Adolf-Hitler-Platz unter nationalsozialistischer: Auch hierzulande ließen sich ähnliche Plätze in Hülle und Fülle finden, um die sich GESCHICHTE »rankt«, wie es noch die fünfziger Jahre in lieblicher, verdrängender Metaphorik behauptet hätten, wo Mikrokosmos sich zum Makrokosmos weitet, bis die Karawane weiter zieht und nur staubiges Pflaster zurück lässt.

Dragan Velikic, der 1953 in Belgrad geborene, serbisch schreibende Romancier und Essayist, der seit den NATO-Bombardements im Budapester Exil den Verfolgungen des Milosevic-Regimes zu entgehen versucht, hat seine Jugendjahre eben in Pula verbracht, um es mental nicht mehr zu verlassen, sondern es als Emblem stets vergangener Multikulturalität und stets gegenwärtigen Sündenfalles zu gestalten: ein mythologisches Pula mit einem mythologischen Dante-Platz, die beide nur Bestand haben als Elemente einer immer wieder neu anzusetzenden Dekonstruktion/ Rekonstruktion.

Drei verschiedene Schriftsteller-Figuren durchkreuzen das Romangeflecht, die sich auf mehrfach gebrochene Weise als Alter Egos des Autors lesen lassen: Der Romancier Labud Ivanovic, der ins deutsche Exil geht, um dort zu sterben - aber nicht, ohne einen epochalen Roman zu hinterlassen; der Bibliothekar Damjan Savic, der Marginalien auf die zur Entleh-nung bestimmten Bücher kritzelt, also als mallarme’sche, borgesianische Figur an einem unvollendbaren Gesamtbuch arbeitet, um als Nachlassverwalter des verstorbenen Ivanovic zu enden; schließlich der von ostgalizischen Juden abstammende US-Literaturprofessor Arthur Rosenberg, der vermeint, plötzlich »alles« zu verstehen und an einem Roman schreibt, in dem sich prototypische südostmitteleuropäische Schriftstellerbiographien zu einer Idealfigur vereinigen sollen. Die Moderne, die Postmoderne und die traurige Gestalt eines Ritters der Marktgängigkeit, ohne den sich die mitteleuropäisch-postjugoslawischen Amalgate möglicherweise nicht verkaufen ließen.

Doch so nebenbei erschließt sich der Roman keineswegs - weit und breit kein Vergil als Guide in Sicht. Sowohl formal als auch inhaltlich demonstriert der Text die Notwendigkeit einer sorgfältigen Lektüre, die es erst erlaubt, aus dem raschen Wechsel quasi-filmischer Einstellungen und dem durchgängigen Babuschka-Prinzip einer Verschachtelung von Handlungsebenen sowohl intellektuellen als auch sinnlichen Genuss zu ziehen. Diese Methode einer unendlichen Vernetzbarkeit vielfältiger Stränge wird zuletzt auch ironisch gebrochen - zum finalen Showdown sämtlicher Figuren in Pula kommt es eben nicht, weil sich die meisten haarscharf, aber doch, verfehlen; stattdessen gilt der melancholische Epilog des Romans den beim Trödler gelandeten »Ladenhütern der Geschichte«, die widerstandsfähiger als die handelnden und behandelten Personagen sich eigensinnig ihre BesitzerInnen suchen. Die leider immer wieder auftretende »Netzwerk-Metaphysik« und gelegentlich penetrante Zitier-Wut (»Ja, wir wissen eh, dass er Baudelaire gelesen hat«, wie meine Freundin D. G. zu behaupten pflegt) können trotzdem nicht verhindern, «Dante Platz« als gelungenes, äußerst empfehlenswertes Beispiel eines Gegenwartsromans wahrzunehmen.

Nicht zu versäumen gelten also die Lesung von und das Gespräch mit Dragan Velikic, die am Mittwoch, dem 7. Juni um 20 Uhr im Literaturhaus Salzburg stattfinden werden: Strömt herbei in Scharen!