juni 2000

Doc Holliday
zu gast

»Mir fällt zu Hitler nichts ein«

»Mir fällt zu Hitler nichts ein«. Mit diesem berühmten Satz beginnt die 1933 entstandene, aber erst 1952 vollständig erschienene zeitkritische Schrift »Die Dritte Walpurgisnacht« des brillanten Satirikers Karl Kraus. Aber die oft (und meist falsch) zitierten Worte sind eine rhetorische Finte. Der Altösterreicher Kraus nimmt nämlich auf nahezu 300 Seiten doch sehr ausführlich zu den Ereignissen im Deutschen Reich während der ersten Monate der Naziherrschaft Stellung. Der ursprünglich wie ein innerer Monolog ohne Unterbrechung fortlaufende Text ist eine einzige Klage über die Opfer der Untaten und zugleich eine Anklage gegen die Täter, auch gegen die »Worthelfer der Gewalt«. Als Grundlage dienen zahllose Zitate aus deutschen und ausländischen Zeitungen, die Kraus polemisch auseinander nimmt und satirisch kommentiert. Eine Vorgehensweise, die er in über 30 Jahren Arbeit an der Zeitschrift »Die Fackel« perfektioniert hatte. Kraus' Einsicht in Zusammenhänge und seine Voraussicht verblüffen noch heute. Mit seiner »Dokumentation« lässt sich auch trefflich nachweisen, dass vieles, was die armen, verführten Bürger später vorgaben nicht gewusst zu haben, doch schon 1933 in den Zeitungen stand.

Lauter gute Gründe, den viel zu wenig bekannten Text, genauer gesagt Teile desselben, im Rahmen der von der Politologin Barbara Wicha konzipierten Reihe »Konfrontationen«, am 28. 4. im Stadtkino vom Schauspieler Frank Hoffmann lesen zu lassen. Eine Aufgabe, die der in Radebeul bei Dresden geborene und seit 1967 in Wien lebende Hoffmann mit Bravour erledigte. Kein Wunder, ist er doch damals vom Nestor des österreichischen Nachkriegstheaters Ernst Haeussermann zum Burgtheater geholt worden. In dessen Ensemble ist er nach wie vor (wenn auch momentan karenziertes) Mitglied. Daneben betätigte sich der Mime als Film- und TV-Schauspieler sowie als Gestalter und Moderator von Jazzsendungen im Hörfunk. Wirklich bekannt und in breiten Teilen der Bevölkerung ungemein beliebt machte Hoffmann seine Tätigkeit - vor und hinter der Kamera als Präsentator und Macher - für die erste österreichische Filmtippsendung im Fernsehen: »Trailer« war eine Institution, die im ORF nahezu 20 Jahre von 1975 bis 1994 lief.

An seiner dezidiert antifaschistischen Haltung ließ Hoffmann nie Zweifel aufkommen. Zum 60. Jahrestag des Baubeginns des KZ Mauthausen, am 8. 8. 1998, fand im ehemaligen Lager ein musikalisches Memorial statt. Die Lagergemeinschaft Mauthausen hatte der Jazzgröße Joe Zawinul den Auftrag gegeben die richtigen Töne zu finden. Hoffmann gestaltete den Textteil aus Gedächtnis-protokollen der Häftlinge. (Die CD »Vom großen Sterben hören« ist unlängst erschienen). Der Antinazismus lag schon in Hoffmanns Familie. Der Großonkel wurde von den braunen Horden verschleppt und sein Vater musste emigrieren. »Die Dritte Walpurgisnacht« ist ein selten vorgetragener Text. Eine der letzten öffentlichen Lesungen vor dem Stadtkino-Termin fand übrigens 1992 in Berlin mit dem jetzigen Kunststaatssekretär Franz Morak statt. Welch eine Ironie der Geschichte!