juni 2000

Christa Spatt
im gespräch

»Ästhetisierung von Körper und Bewegung ...«

Barbara Kraus, eine der gefragtesten Performerinnen Österreichs, über Tanz, Stilmittel der Ironisierung und die freie Tanzszene

Die Wiener Performance-Künstlerin Barbara Kraus gastiert am 8. Juni im Kulturgelände Nonntal mit ihrer aktuellen Produktion »Wer will kann kommen«. Wie kaum eine andere Performerin hat es Barbara Kraus geschafft, innerhalb weniger Jahre zu einer in In- und Ausland gefragten, ausgereiften künstlerischen Linie zu finden.

Du hast ja eigentlich eine Tanzausbildung gemacht, wie ist dein künstlerischer Werdegang verlaufen, der dich weg vom reinen Tanz hin zur Performance geführt hat?

• Ich begann erst mit 24 meine Tanzausbildung an der Universität in Amsterdam. Dort war ich eigentlich nicht richtig zu Hause, weil mein künstlerischer Ansatz damals schon einer war, der nicht ausschließlich auf Bewegung basiert. Ich habe sehr schnell mit Charakteren und Stimme gearbeitet bzw. Video und auch andere Medien miteinbezogen.

Es ist nicht so, dass mich Bewegung nicht interessiert. Der Grund, warum ich nie »Interpretin« von Choreografien geworden bin, ist, dass Tänzer oft mehr als Material fungieren und weniger als eigenständige Persönlichkeiten behandelt werden. Und dass es eben diese wahnsinnige Ästhetisierung von Körper und Bewegung gibt, d. h., dass man im Großteil der Tanzstücke junge, getrimmte Körper sieht. Das Körperbild, das im Tanz präsent ist, ist für mich überhaupt nicht repräsentativ für die Körper, von denen ich umgeben bin, und für die Erfahrungen, die diese Körper machen

Wie sehr ist deine Autobiografie bzw. ein feministischer Ansatz für deine künstlerische Arbeit relevant?

• Ich nehme für mich auf eine bestimmte und natürlich beschränkte Art wahr, was es heißt, in dieser Gesellschaft eine Frau zu sein, auch den Kunstkontext erlebe ich als sehr männlich dominiert. Die von mir wahrgenommenen und in meinem Leben wirksamen Mechanismen haben, glaube ich, auch auf einer allgemeineren Ebene Gültigkeit. Und insofern sehe ich den autobiografischen Kontext, aus dem heraus ich arbeite, eher als Spiegel. Es geht mir darum, Mechanismen sichtbar zu machen und zu reflektieren. Marlene Streeruwitz hat einmal gemeint, dass es sehr wichtig wäre, dass mehr Frauen beginnen würden, über ihre persönliche Geschichte zu sprechen, weil die Geschichten, die es zu hören gibt, vorwiegend von Männern erzählt werden. Das ist in all meinen Stücken sehr wichtig: Wie kommt man von der Sprachlosigkeit zur Sprache und bringt man nicht Sichtbares zur Sichtbarkeit.

Worum geht es in deinem aktuellen Stück »Wer will kann kommen?«

• »Wer will kann kommen« ist eines meiner Lieblingsstücke, weil ich mir bei der Entwicklung sehr viel Freiraum gelassen habe. Thematisch ist es dabei um eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Identität gegangen und wie viel Bewegungsspielraum die Bildung einer Identität noch zulässt.

Außerdem mag ich dieses Stück sehr gerne, weil Improvisation eine große Rolle spielt. Improvisation gibt mir die Möglichkeit, unmittelbar auf Fragen, Stimmungen oder Probleme, die sich aus der Kommunikation mit dem Publikum ergeben, einzugehen. Ich muss nicht etwas behaupten, was in dem Moment gar nicht existiert. Improvisation als Medium erlaubt Beweglichkeit. Zum Beispiel bei sexistischen Tendenzen im Publikum kann ich in der Improvisation direkt darauf reagieren. Das Publikum reagiert auf meine Arbeit, ich nehme diese Reaktion wahr und kann wiederum auf das Wahrgenommene reagieren, es entsteht ein Dialog.

Jede der Figuren, die es in »Wer will kann kommen» gibt, hat auf ihre Weise sehr viel Raum, direkt in dieses Stück einzugreifen. Wenn Johnny irgendwas nicht passt an der Kraus, die die Direktorin ist, dann kann er das unmittelbar äußern, oder wenn Mrs. Twiggy daran Spaß hat, völlig grenzenlos Kommunikation zu betreiben, dann kann sie das auch tun. Und alle diese Figuren rebellieren in gewisser Weise gegen die Fremdbestimmung durch ihre Direktorin. Eines meiner wichtigsten Stilmittel in dieser Performance ist die Ironisierung. Sie bedeutet für mich eine Möglichkeit der Kritik jenseits von strengen Regeln, in einer spielerischen Form. Das betrifft in »Wer will kann kommen« z. B. Julie, die ihre eigene Ohnmacht parodiert und dadurch Macht gewinnt.

Dein nächstes Stück wird erstmals eine Gruppenperformance sein?

• Es wird ein Stück nur mit Frauen, in dem es um Berührung gehen wird, durchaus in einem sehr physischen Sinn. Ich hätte zum Beispiel auch Lust einen Pornofilm zu machen, aber einen etwas anderen, einen Pornofilm, der das Begehren, das Wollen und die Lust von Frauen in den Vordergrund stellt und nicht den voyeuristischen männlichen Blick. An der Berührung interessieren mich aber nicht nur die sexuelle Komponente, sondern auch alle anderen Ebenen.

Wie definierst du das Politische an deiner Arbeit?

• Ich thematisiere Unterdrückungsmechanismen. Meine Arbeit hat immer etwas zu tun mit Konfrontation und Hinterfragung von Normen, einem Aufbrechen derselben und einem Kämpfen um Freiräume. Die Frage, was Autorität ausmacht und bewirkt bzw. die Mechanismen, die in Hierarchien wirken, sind ebenfalls wichtige Themen meiner Arbeit. Das ist vielleicht auch eine sehr österreichische Frage, besonders in Anbetracht der aktuellen politischen Situation: Was ist das Verhältnis zu Autoritäten oder zu Hierarchien, inwieweit gibt es genug Selbstvertrauen, dass »meine« Stimme eine ist, die sowohl etwas zählt, als auch eine Wirkung hat. Oder zieht man sich zurück auf eine Position, wo man sagt, es ist eh alles wurscht und man kann eh nichts ausrichten.

Du warst gerade einen Monat bei einem Workshop in Lissabon, deine Ausbildung hast du in Amsterdam gemacht - wie beurteilst du die Situation der österreichischen Tanzszene im internationalen Vergleich?

• Was der österreichischen Tanzszene fehlt, ist die Einbindung in den universitären Bereich. Es gibt wenig intellektuelle Kräfte, die den Tanz als beschreibenswertes Medium betrachten, es gibt wenig Theoriebildung rund um das Thema Tanz, Körper, Performance. Es gibt kein Schreiben, das über Rezensionen hinausgeht. Im Vergleich dazu gibt es in Portugal Organisationen, Intellektuelle, die Tanz- und Performancearbeit beschrieben haben, dadurch gibt es jetzt eine portugiesische Tanz- und Performanceszene, die auch im Ausland bekannt ist.

Tanz ist in Österreich an sich unterrepräsentiert, die freie Tanzszene ist im kulturpolitischen Bewusstsein nicht existent und noch weniger ist Performance existent. Es reicht nicht, Geld für einzelne Gruppen herzugeben, sondern es müssten Strukturen geschaffen werden. Initiativen wie t-junction, die sich um vermehrte Kontaktmöglichkeiten mit dem Ausland kümmerten, wurden von kulturpolitischer Seite abgewürgt, weil es nicht genug Geld gibt dafür. Der Nachwuchs ist sukzessive von der Förderung abgeschnitten worden. Es gibt nur Alibiförderungen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!