juni 2000

Anton Gugg

Zuckungen der Mozart-Manie

Salzburg weiß nach Jahren nicht wirklich, womit 2006 Staat zu machen ist

Armer Mozart! Noch ärmeres Salzburg! Allerärmste Politiker! Wie in einem Teufelskreis sind der ehedem mit einem Fußtritt aus dem Schatten des Doms beförderte, erste Bürger-Komponist von Weltrang, die zum Festspiel-Glanz verdammte Provinzmetropole und die allzeit um Werbeträger buhlenden Stadt- und Land-Lenker aneinander gekettet.

Rechte aneinander sind historisch sehr wackelig begründet. Denn das blutjunge Genie fühlte sich sehr bald vom Domestikendasein im fürsterzbischöflichen Machtbereich erstickt und suchte die Unsicherheit einer freien Künstlerexistenz. Den frühen Festspielen war der restaurative bis reaktionäre expressionistische Mysti- zismus eines Hofmannsthal, Billinger, Mell oder Strauss mindestens ebenso wichtig wie das vergleichsweise international-europäische Werk Mozarts. Und wenn heute Politiker jeder Couleur allen Ernstes fordern, dass der berühmteste Sohn der Stadt hier nicht vergessen werden dürfe, bleibt ein Nachton des Schmierigen im Ohr zurück. Mozart gehört niemandem und am allerwenigsten der vom Meister ungeliebten Kinderwiege. Mozart ist auch keineswegs in Gefahr, verschwitzt zu werden. Es kann auch kein »Eichamt für Mozart« geben, wie dies Festspiel-Präsidentin Helga Rabl-Stadler für die Festspiele gefordert hat. Kunst, und schon gar nicht die von Mozart, hat es nicht nötig, durch Politiker empfohlen, geschützt, oder an fiktiven Qualitätsmaßstäben gemessen zu werden. Genau in diesem immer wieder auszumachenden öffentlichen Verordungscharakter der Kunst gegenüber nagt der Wurm, der letztlich den ganzen Apfel auffrisst, weil es in der Kunst eben keine Erbpacht und keine Anspruchsrechte geben kann. Salzburg kann als Mozart-Pflegestätte so bedeutungslos oder bedeutungsvoll sein wie jeder andere Ort, an dem sich Theaterleute und Musiker mit der »Zauberflöte«, dem »Don Giovanni« oder der Jupitersymphonie auseinander setzen und deren gibt es ja bekanntlich eine ganze Menge. Dass Salzburgs gewiss weltweit einzigartige strukturelle Möglichkeiten unter dem Druck eines allgegenwärtigen Marketingsymbols zu zerbrechen drohen, gehört zur Tragik einer Mozart-Höchstqualität-Pflichtstadt. Gemessen an den Erwartungen, die gerade in diesem Punkt an Salzburg gestellt werden, ist die nennenswerte künstlerische Ernte der vergangenen Jahrzehnte schockierend gering. Für »legendäre« Mozart-Inszenierungen hat zuletzt eine Theatergröße wie Giorgio Strehler gesorgt. Salzburg sieht sich jetzt mit dem 250. Geburtstag eines »Dominus« konfrontiert, der seine Qualitätspeitsche knallen lässt. Man hat schon vor Jahren ein Planungsbüro für die Festivitäten im Jahr 2006 eingerichtet und die HaushofmeisterInnen eines ökonomisch total auszuschlachtenden Mozart-Kultes ersinnen immer neue Attraktionen für eine zunehmend erschlaffende Event-Konsumgesellschaft. Irgendwie spüren aber auch die Mozartjahr-Visionäre, dass auf befohlene Superereignisse bei den Festspielen oder anderswo kein Verlass sein kann. Also versucht man, den Markt für Spezialunterhaltungsartikel mit mehr oder weniger fingiertem Mozart-Bezug zu bedienen. Angekündigt wurden schon ein »Zauberflötenpark« für Kids im Mirabell-Areal, ein »ultimatives«, einbändiges Mozart-Lexikon und ab kommendem Jahr ein Ausstellungs-Vorlauf zur großen, finalen Amadeus-Schau, über deren Ausrichtung, Umfang, Kosten und Standort noch keinerlei Klarheit herrscht. Ab kommendem Jahr werden die Salzburger erfahren, was Mozart mit Asien, Afrika, Amerika, Australien und last, but not least, mit Europa verbindet. Vielleicht wäre es angesichts der drohenden Nebenprodukt-Schwemme, an den Haaren herbeigezogener Interessantheiten und einer seriös kaum mehr vorzubereitenden Großpräsentation doch einfach besser, Mozart zu vergessen und ruhen zu lassen. Mozart wäre im unbekannten Grab sicher dankbar dafür, würde man auf ihn vorübergehend verzichten, würde er nicht per Wiener Musical und den Restverwertern der verblichenen Pop-Nichtgröße namens Falco grenzenlos trivialisiert und von den Salzburger Kulturpolitikern nicht zum Spielmaterial für zeitgenössische Kunsteinfälle degradiert.

Was fällt den Jungen zu Mozart ein - lautete eine Wettbewerbsfrage und viele, viele Berufene antworteten freudig. Mozart als Anlass kreativen Wurstschnappens und Sackhüpfens - das hat sich Amade nicht verdient. Vielleicht sollten sich auch die Festspiele von der fixen Idee verabschieden, ein ständig geöffneter Superladen für Modell-Aufführungen sein zu müssen. Auf kongeniale Mozart-Erwecker muss man warten können wie auf ein Wunder. Salzburg im Jahr 2006: Man wird sich zweifellos im Mozart-Themenpark amüsieren können und hier und da auch angeregt verweilen. Ob Mozart-Opern endlich in einem geeigneten Haus zu erleben sein werden und sich die Studenten der Musikausbildungs-Metropole wohler fühlen werden als in den Provisorien der Hochschule Mozarteum, mag sehr dahingestellt bleiben. Landeshauptmann Schausberger sprach von der »Chance auf einen einmaligen Kulturbezirk und einem zukunftsorientierten Ereignis«. Aber ohne Geld keine Musik, jedenfalls keine von Mozart, die in richtigen Räumen zum Klingen kommt. Mozarts Geburtstag könnte eine provinzielle Party mit minimalem Erinnerungswert werden.

PS.: Zum Redaktionsschluss lag vonseiten des Landes und der Stadt Salzburg noch kein Finanzierungskonzept für das Mozartjahr vor. Im gemeinsamen Papier für kommende große Kulturentwicklungsprojekte ist die Gesamtfinanzplanung für das Mozartjahr 2006 nicht berücksichtigt.