juni 2000

Heidi Ambrosch
titel

Vorwärts ...

... bewegen sich noch immer jeden Donnerstag Tausende durch Wien

Jeden ersten Donnerstag im Monat treffen sich Frauen zu einem spezifisch gestalteten Auftakt bei der Skulptur »Die Wächterin«, die von der Bildhauerin Truger im Zentrum der Macht und in unmittelbarer Verbindung zur Kultur vorm Burgtheater aufgestellt wurde. Bis auf weiteres wird es Lesungen bei der Botschaft der BürgerInnen am Ballhausplatz geben, den samstag-nachmittäglichen Volxtanz am Ring bzw. bei schönem Wetter Picknick auf der HeldInnenplatzwiese, hier und da werden der sonntäglichen Krone Flugblätter beigelegt und auch im Sommer können Torten gebacken werden, vorzugsweise in kühlen Räumen - bis die Regierung fällt! Aber reicht dieser Minimalkonsens? Die Regierung denkt vorläufig nicht daran zurückzutreten und die Unterschriftensammlung der Demokratischen Offensive für Neuwahlen zielt - wie allerdings zu erwarten war - ins Leere.

Vorwärts - diese Regierung nicht zur Normalität werden lassen, diese Regierung hat abzutreten, weiter - vorwärts - auch im Sommer ...

... und nicht vergessen ...

Es reicht nicht, nur die am lautest schreienden RassistInnen anzuprangern. Wenn die Bewegung eine Perspektive haben soll, dann müssen wir uns auch über das Wofür verständigen. Rassismus, Sexismus und soziale Ausgrenzung haben einen gemeinsamen Boden, sie verstärken einander und sie waren auch vor dem 4. Februar schon herrschende Politik. Rassismus, Sexismus und soziale Ausgrenzung schaffen Ungleichheiten und Hierarchien, die die bestehenden Machtverhältnisse sichern und verstärken sollen. Hierarchien und Ungleichheiten dienen den Bestrebungen, alle arbeitsrechtlichen Erfolge zunichte zu machen, Deregulierung durchzusetzen, Löhne massiv zu drücken, Sozialleistungen zu demontieren, Frauen mit reaktionärster Familienpolitik zu verdrängen. Repressive Ausländergesetze wurden von Haider gefordert, eingeführt wurden sie von der rot-schwarzen Parlamentsmehrheit, in rigorosester Weise vollzogen wurden sie von einem sozialdemokratischen Innenminister. Seit Inkrafttreten des Schengener Abkommens sind an die Tausend Menschen an den Außengrenzen der EU ums Leben gekommen.

... und die Frage konkret gestellt ...

In Berufung auf gemeinsame europäische Werte wurden die Sanktionen gegen Österreich beschlossen. Über mögliche nationale Beweggründe der einzelnen Mitgliedsländer bezüglich der Sanktionen soll hier nicht spekuliert werden. Fakt ist, dass sie hilfreich sind, die Normalität dieser Regierung immer wieder auf’s Neue infrage zu stellen. Aber um welche Werte geht es? Liegt nicht im neoliberalen Konsens aller EU-Regierungen, mit einer besonderen Verantwortung der Sozialdemokratie, die Verantwortung, dass sich die Brutalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse, soziale Kälte, sexistische und rassistische Ausgrenzung durchsetzen? Gibt es keine Alternative zur Festung, zum Herrenhaus, zum Europa der Konzerne, darüber würde ich gerne streiten!

... wessen Morgen ist der Morgen ...

Frauen- und Lesbenbewegung, MigrantInnenorganisationen oder das Netzwerk gegen die Armut haben in den vergangenen Jahren für einen grund- legenden Richtungswechsel immer wieder Vorschläge unterbreitet. Schritte zur Vollbeschäftigung, Mindestsicherung, für gleiche soziale und politische Rechte der AusländerInnen und auch, wie das zu finanzieren ist, durch die Besteuerung großer Vermögen und Einführung einer Wertschöpfungsabgabe, all das von der Sozialdemokratie an der Macht ignoriert. Statt Neoliberalismus zu verherrlichen oder ihn schlicht als gegeben hinzunehmen, wollen wir in der Gesellschaftspolitik eine neue Option für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung öffnen, hieß es im Frauen-Aufruf zur Demonstration »Keine Koalition mit dem Rassismus« am 12. November. Ein Wofür, eine Alternative zu Blau-schwarz muss sich in mehr als einem Farbenspiel auf parlamentarischer Bühne ausdrücken. Und wenn schon Farbe, dann bitte Lila für feministisch, Orange für die garantierte Um-setzung des Frauenvolksbegehrens, Dunkelrot für soziale Gerechtigkeit und Umverteilung.

... wessen Welt ist die Welt?

Die Zukunft ist weiblich oder es gibt sie nicht!

Heidi Ambrosch, 1958, Alleinerzieherin von Sohn Iason, 7 Jahre. Studium der Psychologie an der Uni Wien. Seit 1980 in verschiedenen frauenpolitischen Zusammenhängen aktiv, 1994 Frauensprecherin, 1997 stellvertretende Vorsitzende der KPÖ. Derzeit aktiv in den Bemühungen um eine Vernetzung möglichst vieler Projekte in der Frauenoffensive. Vorstandsmitglied im Kunst- und Kulturprojekt Kosmos.Frauenraum.