mai 2000

Hans Lindenbaum

Der Obus rollt ins Out

Das Angebot in Salzburg hält Vergleichen nicht mehr stand

»Die Verkehrsbetriebe der Salzburger Stadtwerke sind nicht so negativ, wie sie oft dargestellt werden«, texten die Stadtwerke im Dezember 1999. »Selbstverständlich sind da und dort Verbesserungen notwendig, doch das Gesamt-Image der Verkehrsbetriebe ist insgesamt positiv.« Das sei das Ergebnis einer »brandaktuellen Umfrage«, die die Stadtwerke in Auftrag gegeben hätten. »Die Diskrepanz zwischen Negativem und Positivem, zwischen Gesamt-Image und Einzelwerten ist nicht unerfreulich«, wird der Direktor der Verkehrsbetriebe, Willibald Klapf, mit einer starken Aussage zitiert.

Wer über die Salzburger Stadtmauer schaut, kommt dennoch zur Ansicht: Der Obus hat längst den Anschluss verpasst. Das äußert sich auch in den Fahrgastzahlen - wenngleich die Stadtwerke im März 1999 beteuern: »Dass seitens der Verkehrsbetriebe bzw. des Stadtwerke-Managements zu wenige Aktivitäten gesetzt würden, ist freilich eine Unterstellung, die leicht widerlegt werden kann. Tatsache ist, dass im Busbetrieb seit 1997 keine weitere Abnahme der Fahrgäste, sondern eine Stagnation eintrat.« Inzwischen ist man kleinlaut geworden: Für 1998 bilanzierten die Stadtwerke 44 Millionen, für 1999 rund eine Million weniger »Beförderungsfälle«.

In Linz begann's längst

Das Linzer Verkehrsunternehmen ESG plakatiert auf neuerdings weißen Fahrzeugen »Zukunft. Einsteigen bitte.« Die Innsbrucker Kollegen setzen ebenso auf weiß, nennen sich »die neue IVB« und verpassen sich ein Logo mit Flügel. Der Grazer Tramway- und Busbetrieb GVB weist (mit steirisch-grünem Hintergrund) auf der Homepage gleich auf die individuell nutzbaren Fahrpläne im Internet hin. Die »Wiener Verkehrsbetriebe«, seit der Ersten Republik Inkarnation des »Roten Wien« mit allen guten Begleitumständen für das Personal und mitunter weniger guten für die Benutzer, werden zu flotten »Wiener Linien« umgemodelt.

Rundherum legen die Unternehmen des Stadtverkehrs Dynamik an den Tag. Tun alles, um ein wenig peppig zu erscheinen. Um den Ruf lahmer Enten mit matten Dienstleistungen bei hohen Betriebsabgängen und das Arme-Leute-Image loszuwerden. Und in Salzburg? Beklagen Initiativen oder Fahrgäste Untätigkeit oder Unzulänglichkeiten, haben sie eine gute Chance, von den Stadtwerken verbal geschurigelt zu werden.

Die Fahrt ins Out drückt sich nicht nur in weniger Fahrgästen, sondern auch in den Investitionen aus: 1997 gab's für Bus und Obus 88 Millionen Schilling, 1998 nur mehr die Hälfte. Ob Sparkurs, mangelnder Service und seltsame Optik - das Salzburger Angebot hält Vergleichen nicht stand.

Beispiel eins. Die unendliche Geschichte der Haltestellenhäuschen. Nahm man in anderen Städten längst das Angebot von Werbefirmen an, die um den Preis von beleuchteten Plakaten (»City Lights«) gläserne Unterstände samt Beleuchtung und Reinigung aufstellen, wollen die Salzburger Stadtwerke alles selbst machen. Nun sind zwar Pfründe gewahrt, an den meisten Haltestellen lässt man die Fahrgäste aber im Regen stehen. Angekündigte Häuschen an der Griesgasse und beim Rathaus lassen Monate auf sich warten.

Models statt Minuten

Bei jenen wenigen neuen Häuschen, die es schon gibt, sind zwar abends die Unterwäsche-Models in Licht getaucht - die Frage nach dem nächsten Bus ist aber nur mit Hilfe von Taschenlampe oder Feuerzeug zu beantworten. Brandspuren an den Fahrplantafeln bezeugen das.

Beispiel zwei. Neue Haltestellentafeln als Ersatz für die Relikte der »Reichskraftverkehrsordnung« wurden versprochen und sind im Stadtbild vereinzelt tatsächlich anzutreffen. Im Vergleich zu den alten löffelförmigen Schildern schneiden sie zwar besser ab, was die Optik angeht - der Gebrauchswert bleibt hingegen gleich.

Beispiel drei. Die Regel: »Wagen hält an jeder Haltestelle«. Anderswo sparen Bus und Straßenbahn während der Verkehrsspitzen wertvolle Zeit, wenn zwischendurch niemand aus- oder einsteigen will. Am Abend und am Wochenende braucht man weniger Energie und macht weniger Lärm, lässt man die Fahrzeuge ruhig durch die Stadt gleiten.

Projekte ohne Perspektive

Beispiel vier. Die Liniennummern. Als der Windrose folgendes Schema angepriesen, sind die (nach Millionenstadt anmutenden) 95er, 77er und 49er seit rund 15 Jahren Stückwerk. Wie ehedem poltern auch Einser, Zweier, Fünfer, Sechser, R- und U-Wagen über Kanaldeckel und Rinnsale.

Beispiel fünf. Gelenk-Obusse mit 16,5 Metern Länge statt der international üblichen »Standardlänge von 18 Meter« (Verkehrsbetriebe im Originalton). Neben buckeligen Straßen einer der Gründe, warum sich die »Nachläufer« in dieser Stadt gar so unbändig aufbäumen. Dieses Sondermaß hat Geschichte: Dimensionen von Garage und Werkstätte gaben bis jetzt vor, dass wertvolle Bus-Kapazität vergeudet wurde - der Karton bestimmte sozusagen die Schuhgröße und nicht der Fuß. Nun wird trotz der rund 60 vorhandenen »kurzen« Fahrzeuge das Dogma doch gebrochen.

Beispiel sechs. Obus-Stillstand und Auto-Stau herrschen im Stadtgebiet, wenn Lastwagenkräne auf Oberleitungsjagd gehen oder die Spannung im Fahrdraht auf Null sinkt. Fachleute schütteln darüber den Kopf, denn ObusBetriebe in der Schweiz und in Skandinavien kennen seit Jahrzehnten wirksame Abhilfe: Pkw-Motoren aus der Fließbandfertigung werden als Notaggregate in die Obusse eingebaut. Sie sind kein Kostenfaktor, machen aber Fahrzeugbewegungen im Fußgänger-Tempo (auch im Betriebshof) möglich.

Wohin der Blick sich wendet - die mit Salzburger Gegebenheiten annähernd vergleichbaren Stadtlinien in Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Linz, Biel, Luzern, Augsburg, Passau, Regensburg oder Würzburg sind den hiesigen Bussen längst davongefahren. Selbst in Städten wie Landshut, Straubing und Rosenheim puscht man den Stadtverkehr mehr als in der selbstgefälligen »Mozartstadt«.

Online ohne Obus

Stichwort Internet. Die Fahrpläne aller Linien so ins Netz zu stellen, dass man sich daraus einen individuellen Ausdruck für die Fahrt zur Arbeit oder andere häufige Wege anfertigen kann, ist vielerorts eine Selbstverständlichkeit. Die Linzer ESG setzt zudem auf den Spieltrieb und bietet ihre optischen Duftnoten als Bildschirmschoner an. Die Innsbrucker Verkehrsbetriebe verlosen Fahrten (»click and win«) mit den ÖBB und im eigenen Netz und rufen über's Web zum Mitdenken beim Verbessern des Liniennetzes auf.

Mit Links verweisen die einzelnen Unternehmen aufeinander: Wer will, kann die Reise bis zum Aussteigen an der Tramway- oder Bus-Haltestelle in der anderen Stadt (»door to door«) minutengenau austüfteln. Damit das möglichst einfach geht, haben sich Innsbruck, Klagenfurt, Villach und Traun bei der Fahrplanabfrage mit dem Web-Auftritt der ÖBB zusammengetan.

Salzburg fehlt im Ensemble. Wer in die Suchmaschine der Stadtwerke das Wort »Fahrpläne« tippt, bekommt als Antwort, »leider nichts gefunden«. Die Präsenz der Salzburger Busse und Obusse im Netz beschränkt sich Ende März 2000 auf einen gescannten Stadtplan mit dem Linienverlauf der Busse und streitbare Pressetexte. Der interaktive Part gipfelt in der Möglichkeit, Fahrpläne und Prospekte aus Papier zu ordern, die dann der Briefträger bringt.

Die Linzer Bim ist in

Bim und Bus in der Nachbar-Landeshauptstadt Linz erscheinen nach Salzburger Maßstäben luxuriös. Die Leute warten selbst an der Peripherie in gläsernen Häuschen, in denen nicht nur die Werbetafeln, sondern auch der Innenraum und die Informationen der ESG beleuchtet sind. »Linz hat LIBE« steht assoziativ für das »Linzer Beschleunigungsprogramm«. 1996 begonnen, sorgt es inzwischen vielerorts für »grüne Welle« und lässt unter anderem die Fahrzeuge kalkulierbar an einer elektronischen Leine durch die Stadt pendeln. Schnellbuslinien und Stadtteilbusse ergänzen das Netz.

Weltweite Spitze ist die Ausstattung mit dynamischen Anzeigetafeln, die an 311 Linzer Haltestellen in Leuchtschrift nicht nur die nächsten Abfahrten in Minuten nennen, sondern auch auf Besonderheiten beim Betrieb hinweisen. Auch in Innsbruck setzt man auf diese »Smart-Info«. Seit kurzem bieten die Linzer Tramway-Fahrerinnen und -Fahrer ein »Handy-Service« zum Rufen von (Sammel-)Taxis. Wo »Software« nicht mehr weiterhilft, ist »Hardware« angesagt: Eine neue Tramway-Strecke in Ebelsberg bindet in ein paar Monaten die Satellitensiedlungen (wieder) direkt an das Zentrum an.

Die Entscheidung, in Linz nach Schweizer Muster die Fahrscheine über Automaten an den Haltestellen zu verkaufen, bewirkte mehrerlei: Wer im Fahrzeug ist, muss eine gültige Karte haben; die Automaten entwerten vielerlei mit Magnetstreifen versehene Vorverkaufskarten; Automaten an wichtigen Haltepunkten wechseln Banknoten und bieten Fahrscheine selbst bis zur Salzburger Landesgrenze bei Straßwalchen an.

Stillstand in Salzburg. Da warten gut hundert Busgäste und folgende Wagen, bis Lenker und Fahrgast das Herumbandeln mit Banknoten und Münzen erfolgreich beendet haben und sich der Fahrer damit ein kleines Zubrot verdient hat.

»Gilt nicht als Fahrausweis«

Dicke Päckchen mit roten, grünen oder grauen Salzburger Obus-Fahrscheinen (statt andernorts üblicher Streifenkarten) geben Trafikanten die Chance auf Zusatzleistungen: »Des brauchen'S eh net«, sagen diese wohlmeinend und werfen das eingefügte weiße Kärtchen mit der ein wenig tollpatschig um Rechtssicherheit bemühten Aufschrift »Gilt nicht als Fahrausweis« in den Papierkorb.

In Salzburger Bussen würden gefälschte Obuskarten auftauchen, beklagen die Stadtwerke. Hängt das etwa mit ihrer primitiven Gestaltung zusammen? Auch hier ging man beispielsweise in Linz den umgekehrten Weg: Grafisch ansprechend gestaltete Vorverkaufskarten mit den plausiblen Namen Mini, Midi, Maxi und Mega sind nicht nur fälschungssicher, sondern auch Faktor der Selbstdarstellung.

Obus im O-Ton

»Die Verkehrsbetriebe werden seit Jahren bedauerlicherweise unter ihrem Wert geschlagen«, trösten sich die Stadtwerke im vergangenen Jänner. Damit konnte nur der Busbetrieb gemeint sein. Denn unter dem Dach der Stadtwerke fährt auch die Lokalbahn. Sie gilt europaweit als Vorzeigemodell für einen erfolgreichen Nahverkehrsbetrieb. In ihrer Liga ist die ehemalige Bimmelbahn Richtung Norden nach der »Badner Bahn« im Wiener Einzugsgebiet zur Nummer zwei aufgestiegen. Jahr für Jahr kletterte die Zahl der Fahrgäste nach oben - von 1997 auf 1998 um rund vier Prozent. Weil während der kritischen Tageszeiten die Züge mehr als ausgebucht sind, stagnierte 1999 die Passagierzahl. Nach langem Hin und Her bei den Entscheidungsträgern wird nächstes Jahr aufgestockt. »Dann legen wir wieder zu«, sagt Betriebsleiter Gunter Mackinger. «Wir planen beschleunigte Züge.«

Als Charme-Offensive versuchen die Lokalbahner, mit einem Frühstücks-Service Freunde zu gewinnen. Aber es reicht ohnehin die Ankündigung, man wolle eventuell auf die Schaffner verzichten, um einen veritablen Volksaufstand von Stammkunden, Pendlern und Lobbyisten auszulösen.