april 2000

Ulrike Ramsauer
gelesen

Europa erlesen: Kärnten

Wieser Verlag

Am Kärntner Ulrichsberg wird jährlich den »Opfern des Krieges« gedacht, die im »Dienst der Heimat« gestorben sind. »Europa« trägt diese Gedenkstätte beschönigend im Namen. Europa jedoch reagiert mit Unverständnis auf die schwarz-blaue Regierung in Österreich und auf Kundgebungen dieser Art, bei denen Ewiggestrige durchmischt von Vertretern der Parteien der Mitte Abwehrkämpfer ebenso wie Gefallene der beiden Weltkriege und »Opfer der bürgerkriegsähnlichen Unruhen aus dem Jahr 1934« honorieren.

In einen wesentlich anderen Kontext stellt der Verleger Lojze Wieser den Begriff Europa in seinem mittlerweile weidlich bekannten Projekt »Europa erlesen«. Der kleine Verlag in Klagenfurt/Celovec hat sich der Herausgabe von Texten südosteuropäischer und ostmitteleuropäischer AutorInnen verschrieben, darunter etwa Dragan Velikic und István Eörsi. Wieser startete vor zwei Jahren seine erfolgreiche Reihe mit der Erschließung der literarischen Landschaften Istrien und Karst, Galizien und Mähren. Mittlerweile sind über zwanzig Folgen dieser respektablen Anthologien erhältlich, fein ausgestattete Bücher in Jackentaschengröße, gebunden und versehen mit Leseband. Das titelgebende Europa meint hier nicht das Land innerhalb der Schengen-Grenzen sondern Städte und Regionen des historischen Mitteleuropa, Europa an seinen Rändern und vor allem über die Sprachgrenzen hinweg: Ingeborg Bachmann erkennt in Kärnten, dem kleinen Grenzland, das Land »der Ängste und des Stolzes«. Sabine Grubers Klagenfurt ist nichtssagend und leergefegt, Maja Haderlaps »prihodi/ankünfte« sind geprägt vom Schweigen. Josef Winkler und Florjan Lipus vermessen die Dörfer ihrer Kindheit. »Europa erlesen. Kärnten« veranschaulicht in der einmaligen Auswahl slowenischer und deutschsprachiger Texte - Lyrik wie Prosa - die Anatomie eines Landes, das sich, keineswesgs österreichische Provinz, sondern Durchzugsregion und profitierend von seiner Mehrsprachigkeit, unvermutet im Focus Europas wiederfindet. Darüber hinaus empfehlenswert: Sachbücher und Belletristik aus Südosteuropa in der »Bibliothek der Ränder« bei Wieser!