april 2000

Petra Nagenkögel
gelesen

SLAVENKA DRAKULIC: ALS GÄBE ES MICH NICHT

Aufbau - Verlag 1999

März 1993. In einem Krankenhaus im schwedischen Exil bringt die bosnische Lehrerin S. ein Kind zur Welt. Ein Kind der Gewalt und des Kriegs, seine Väter eine Vielzahl serbischer Soldaten, namenlos und ohne Gesicht. Mai 1992. Serbische Milizen räumen ein bosnisches Dorf, die Männer werden erschossen, Kinder und Frauen in ein Lager gebracht, einige von ihnen in den »Frauenraum«, wo sie Nacht für Nacht den Soldaten verfügbar sind, Folter und Vergewaltigungen als Teil eines Plans zur 'ethnischen Säuberung' ausgesetzt. Der Vertreibung aus der Heimat folgt jene aus dem eigenen Körper, folgt die Zerstörung der Identität.

Die Erfahrung des Lagers ist für S. eine der »Logik des Krieges«, eine von Erniedrigung, Ohnmacht und Entwürdigung, vom Verlust des Gefühls, Mensch zu sein. »Auf ein Mindestmaß zurückgeführt, auf das bloße Dasein«, ist Überleben für S. nur möglich durch Abspaltung und Aufgabe ihrer Geschichte und Persönlichkeit, »als gäbe es mich nicht.«

Der Roman der Journalistin und Autorin Slavenka Draculic setzt dort an, wo für die vergewaltigten Frauen die Grenze des Sagbaren ist. Bei Gesprächen mit betroffenen Frauen ist Drakulic immer wieder auf Aussparungen, Lücken und Schweigen gestoßen, darauf, dass die Erfahrung der Gewalt nicht mitteilbar ist. So ist dieses Buch, auf der Grundlage von Recherchen und Dokumenten geschrieben, der verstörende Versuch, eine Sprache zu finden für das Unsagbare. »Vielleicht ist es im Krieg so, dass Worte überflüssig werden, da sie die Wirklichkeit nicht mehr auszudrücken vermögen. Die Wirklichkeit entzieht sich den bekannten Ausdrücken und neue Worte, in die sich diese Erfahrung bringen ließe, gibt es nicht.«

Auf Einladung des Literaturvereins prolit liest Slavenka Drakulic am 7. April im Salzburger Literaturhaus.