april 2000

Doc Holliday

Was darf Satire wirklich?

Die ganze Wahrheit zur Causa Grissemann/Stermann

Der Stand der Dinge: Der allgegenwärtige Biedersinn schlägt zurück. Kritische AutorenInnen, KünstlerInnen und Medien werden durch Schadenersatzforderungen, Beschlagnahmen und Kündigungen in ihrer Arbeit behindert und an den Rand des Ruins getrieben. Unliebsame politische und ideologische Gegner sollen zum Schweigen gebracht werden.

Ein aktueller österreichischer Fall zeigt eindrucksvoll die vielfältigen Missverständnisse, denen Humoristen bzw. satirische Texte und Aussagen ausgesetzt sind. Und die Versuche »gewagte«, in einem künstlerischen Kontext stehende Statements zu kriminalisieren und letztlich für die jeweils eigenen Zwecke im tobenden Kulturkampf zu instrumentalisieren.

»Was darf die Satire?« Diese Zeile aus einem Artikel des großen Kurt Tucholsky, niedergeschrieben 1919 in der Weltbühne, sollte inzwischen zu einem allgemeinen Bildungsgut geworden sein. Samt der dazugehörigen Antwort: »Alles«. Natürlich stimmt dies selten mit der Realität überein. So hatte es Tucholsky eben auch nicht gemeint. Vielmehr liegt die ambivalente Bedeutung des »Kraftworts« (Eckhard Henscheid) irgendwo zwischen ironischem Zustandsbefund, übermütiger Utopie und belustigtem Appell im Sinne eines gattungstheoretischen Postulats.

Am 28. Oktober 1999 gaben die Schock-Kabarettisten Christoph Grissemann und Dirk Stermann nach einem Auftritt in dem Steyrer Kulturhaus Röd@ der hauseigenen Zeitschrift Rödr@nner ein Interview. Genauer gesagt: Die beiden Komiker äußerten als »Kunstfiguren« - und nicht als Privatpersonen - im Gespräch folgendes zur politischen Lage nach der Wahl: »Ich glaube man müsste Haider erschießen. Irgendjemand, der nur noch zwei Monate zu leben hat. Wenn Haider weg ist, ist es auch mit der Partei aus. Haider ist einer, aber 28 Prozent der Österreicher sind über eine Million, und das sind die Arsch-löcher. Der Österreicher an sich, da unterscheidet er sich auch nicht vom Deutschen oder Franzosen oder Schweizer, ist ein irrsinniges Arsch-loch. Was wird im Fernsehen ge-schaut? ðMusikantenstadlÐ, ðVeraÐ, entsetzliche faschistische Gehirnwäsche, das wird geliebt und gewählt. Wer sind denn die Leute, die »F« wählen? Das sind vor allem Jugendliche, zum Beispiel Männer bis 30, die musst du natürlich an die Wand stellen oder ausweisen.« So weit, so gut. Oder auch schlecht. Das ist Ge-schmacksfrage. Aber Stermann/Grissemann, die ja immerhin seit zehn Jahren im Radio (FM 4 - »Salon Helga«), TV und auf der Bühne ihre Brachial-Komik erfolgreich verbreiten, sind noch nie durch subtilen Humor aufgefallen. Ihre Welt ist die »verbale Raserei« (Grissemann): Schmähungen, Beschimpfungen und Beleidigungen sind die Stilmittel, mit denen bislang vor allem Prominente wie Vera Russwurm oder Rossacher/Dolezal verbal paniert wurden und an denen ein Nestbeschmutzer vom Kaliber eines Thomas Bernhard, immerhin ein anerkannter und praktischerweise derzeit toter Schriftsteller, seine Freude gehabt hätte. Auch einem TV-Entertainer vom Schlage eines Harald Schmidt und erst recht einer Satire-Zeitschrift wie Titanic sind ähnliche Holzhammer-Sprüche zuzutrauen. Freilich hat sich das Duo Infernale bei allen, die ihre Schmähs nicht kennen, inzwischen für die Aussagen entschuldigt. Vergeblich. Die FPÖ, allen voran der ORF-Kurator Peter Westenthaler, schossen sich in den letzten Wochen auf die Entertainer ein: Inzwischen ermittelt ein Staatsanwalt; die FPÖ behält sich zusätzlich Privatklagen vor; der ORF suspendierte die beiden. Dass der (Aus)Fall immer wieder hochgespielt wird, erhärtet den Verdacht der politischen Instrumentalisierung. So soll wohl von Sagern aus den Reihen der FPÖ-Politiker abgelenkt und missliebige Kulturvereine erpresst oder zugesperrt werden. Jörg Haider benutzte die Invektiven zudem als Keule gegen den ORF, indem er in der ZIB 2 vom 22. 2. wahrheitswidrig behauptete, die Aussagen seien in einem Programm des öffentlich-rechtlichen Senders gefallen. Eigenartig muten auch die Umstände der (späten) »Enthüllung« des Gesprächinhalts an. Ursprünglich im Januar-Heft des Rödr@nner - unglücklicherweise kein Massenblatt - erschienen, druckte die oberösterreichische ÖVP-Zeitung Neues Volksblatt erst am 9. 2., wie es der Zufall will genau vier Tage nach einer Anti-Regierungsdemo in Steyr, das Interview auszugsweise ab - versehen mit einer Einleitung, die offenbar frühere Haider-Sprüche relativieren sollte: »FPÖ-Chef Jörg Haider hat in den letzten Jahren viel gesagt, was Empörung, berechtigte Empörung hervorgerufen hat. Es blieb aber den Haider-Kritikern vorbehalten, zum Mord aufzurufen.« Den Tipp für die Sensationsstory erhielten die Partei-Schreiber übrigens von der steyrischen Jungen ÖVP. Deren Chef legte am nächsten Tag noch nach: Er forderte die Subventionsstreichung für das Röd@. Wenig später ermahnte ein schwarzer Bezirkssekretär den Kulturverein, sich jeglicher »klassenkämpferischer und ideologischer Aussagen« zu enthalten. Ganz im Sinne des neuen Koalitionspartners orten die VP-Parteiblatt-Analytiker den bösen, menschenverachtenden Feind bei diesen ewigen KritikernInnen, KünstlerInnen und Linken. Dazu nur eine kurze historische Richtigstellung: Politisch motivierter Mord blieb bisher in der Zweiten Republik Rechtsextremisten vorbehalten: 1965 wurde Ernst Kirchweger vom Burschenschafter Günther Kümel bei einer Demo gegen den Altnazi Taras Borodajkewycz erschlagen und 1995 zerfetzte eine von Franz Fuchs gebastelte Rohrbombe vier Roma in Oberwart.

Kommen wir auf die theoretische Ebene und damit zur allgemeinen Frage, was Satire denn nun eigentlich darf, zurück. Mitunter eben gar nichts. Die meisten Menschen neigen dazu, wenn sie etwas gedruckt sehen, es für bare Münze zu nehmen. Dementsprechend sind für die Bevölkerungsmehrheit Ironie und Satire ein Buch mit sieben Siegeln. Allen Beteiligten wäre geholfen, sich mit einigen Gestaltungsprinzipien dieser Gattung vertraut zu machen, um Texte auslegen und verstehen zu können. Rhetorische Kunstmittel, etwa Übertreibungen, Verzerrungen und Beschönigungen, gehören ebenso zum Repertoire wie Tabuverletzungen, riskante Formulierungen und Schärfe. Dieses »uneigentliche Sprechen», also die Notwendigkeit zwischen vorgeblich Gesagtem und eigentlich Gemeintem unterscheiden zu müssen, ist ein wesentliches Charakteristikum der Satire. War das jetzt »Klartext« genug?!

Am 14., 15. 4. nehmen Grissemann/Stermann, gemeinsam mit Franzobel, Elfriede Jelinek, Sophie Rois, Christoph Schlingensief (der vor einigen Jahren den Wahlslogan »Tötet Helmut Kohl« benutzte - und damit kaum jemanden erregen konnte) u. a. bei den »Austrian Psycho Nights« in der Volksbühne Berlin teil. Das skandalisierte Interview soll dort als Theaterstück mit Schauspielern aufgeführt werden.