april 2000

Eva Rossmann

Widerstand ist viel zu wenig

Plädoyer für eine aktive politische Gegenhaltung

Irgendwie war es rührend. Da stand Johanna Dohnal im beigen Staubmantel unter einem Schirm und sie blieb stehen und wartete, obwohl es ihr trotz Schirm ins Genick regnete. Da stand ein Grüppchen SPÖ-Funktionärinnen und hielt rote Blumen umklammert, es wurde wenigstens nicht nass, es war in das gemeindeeigene Straßenbahnwartehäuschen geflüchtet. Da sieht man wieder den praktischen Segen einer (noch) vorhandenen öffentlichen Infrastruktur. Da standen ein paar Kommunistinnen und reckten ihre Hälse. Grüne Frauen habe ich keine gesehen, aber sie waren sicher da. Und dann gab es noch so zwanzig, dreißig andere Frauen. Und da stand auch ich, mit einer schwarzen Schirmkappe am Kopf, weil mir ein Schirm bei einer Demo irgendwie nicht kämpferisch genug erschienen war. Und natürlich gab es auch eine Menge an Polizistinnen und Polizisten. Ebenfalls ohne Schirm, ebenfalls sehr nass. Und wir alle warteten darauf, dass die Autonomen Frauen nun endlich kommen würden.

Ohne sie hätte die Frauentagsdemo in Wien nämlich nicht viel hergemacht. Und sie kamen dann doch. Mit Getrommel und Parolen, bei denen es so mancher biederen SPÖ-Gemeinderätin wohl den Kragen aufgestellt hätte, wäre er nicht schon längst aufgestellt gewesen. Und immer wieder der Ruf: »Heute ist Mädchen-Lesben-Frauen-Kampftag!«.

Johanna Dohnal hat geredet und die Kämpferinnen waren ruhig, und dann sind wir gemeinsam weitergezogen. Zumindest ein Stück des Weges sind wir gemeinsam gegangen, wie das seit Bruno Kreisky heißt. Dann haben sich unsere Wege wieder getrennt. Die Autonomen Frauen wollten noch beim Landesgericht vorbeischauen, um die sofortige Freilassung der während der Opernballdemo Verhafteten zu fordern. Wir offenbar weniger autonomen Frauen waren irritiert und erinnerten uns, dass laut Plan jetzt eigentlich vor dem Parlament Station gemacht werden sollte. Also bog unsere kleine Herde ab und beendete die Demonstration wie ausgemacht vor dem Parlament. Medien waren keine mehr da, und gemeinsam, eine halbe Stunde früher, sind wir wirklich viele gewesen.

Nein, jetzt kein Gejammer über die Unzuverlässigkeit der Autonomen oder über die Unflexibilität der anderen. Die Autonomen nehmen sich eben die Freiheit, alles über den Haufen zu werfen, wenn es ihnen passt. Die Frauen aus großen Institutionen und die eher pragmatischen unabhängigen Fraueneinrichtungen haben es nicht geschafft, genug Frauen zu mobilisieren, auf dass sie nicht am Anfang und am Ende der Demonstration als dieses von den Autonomen verlassene Grüppchen gewirkt hätten.

Was ist also mit dem Frauenwiderstand?

Natürlich sind wir dagegen. Gegen diese Regierung und gegen ihre sogenannte Frauenpolitik, aber auch gegen das, was sie mit diesem Land sozialpolitisch und wirtschaftspolitisch noch alles anzustellen gedenken. Da sind wir alle dagegen. Die Frauen-Mädchen-Lesben-Kämpferinnen genauso wie die Kassierin des UnabhängigenFrauenForums und die Chefin des Vereins Österreichischer Juristinnen. Und Johanna Dohnal auch.

Dagegen zu sein lässt sich - unter anderem - durch demonstrieren herzeigen. Aber schon da erweist sich, dass viele Frauen das Bravsein allzu gut gelernt haben. Und das ist nicht erst in den letzten beiden Monaten passiert. Sie nehmen sich nicht das Recht, die Zeit, den Mut, demonstrieren zu gehen. Feministischer Widerstand ist Sache einer kleinen Gruppe und dort hat er, das ist leicht nachweisbar, eine lange Tradition. Widerstand gegen das Patriarchat, Widerstand durch das Benennen der männerzentrierten wunderschönen Wirtschaftswelt, Widerstand auch dagegen, uns als Rollenabziehbilder an die Wand picken zu lassen.

Aber die Sache mit dem »Kampftag« hat mich beschäftigt. Was soll es für ein Kampf sein, demonstrieren zu gehen? Ja, in diesem speziellen Fall einer gegen den Regen und gegen den Wind, aber sonst? Niemand hat uns daran gehindert, mit Fahnen die Zweierlinie entlangzugehen. Andererseits ist das, was sonst allgemeinhin als Kampf verstanden wird, ohnehin nicht meine Sache. Ich will mich nicht schlagen, und das nicht nur nicht, weil ich nicht geprügelt werden möchte.

Also geht es vielleicht um einen Kampf mit Worten? Um einen Kampf der Worte? Aber wie will man gegen jemanden kämpfen, der gar nicht da ist? Und, noch komplizierter: Ich gehöre zu denjenigen, die finden, dass man diese Regierung schrittweise normalisiert, wenn man mit ihr oder ihren offiziellen VertreterInnen redet oder gar verhandelt.

Der eigentliche Kampf, so scheint es mir, kann nur einer um die Aufmerksamkeit und das Verständnis der vielen, in den letzten Jahrzehnten unpolitisch gemachten Menschen sein. (Um die überzeugten RassistInnen, die es auch gibt und die alles andere als unpolitisch sind, möchte ich mich nicht kümmern, ich möchte bloß, dass sie erkennbar zu einer Minderheit werden.)

Gegen diese Regierung Widerstand zu leisten, das auch auf der Straße zu zeigen, ist eigentlich selbstverständlich. Sich einfach ein anderes Österreich zu basteln, dort lauter nette Menschen zu treffen und sich drinnen wohlzufühlen, schiene mir aber viel zu einfach. - Wobei zweiteres etwas ist, daß ohnehin Männern besser gelingen dürfte als Frauen. Denn einmal mehr stellt sich heraus, dass auch die netten Widerstandsmänner Wichtiges lieber in Männerhand wissen. Jedenfalls: Diese Art von Widerstand ist zu wenig. Widerstand ist zu wenig. Es geht um eine aktive politische Gegenhaltung.

Diese Grundhaltung beginnt mit dem Grundlegenden: Die Regierung hat - auch im Interesse der Frauen - sofort zurückzutreten. Diese Grundhaltung muss sich dann auch mit den demokratiepolitischen Wurzeln beschäftigen. Da aber bitte nicht bloß mit den hehren abstrakten Werten, sondern auch mit weniger geliebten »Details« der Demokratie: Wie zum Beispiel dem Umstand, dass Demokratie ohne die gleiche Beteiligung, Verantwortung und Macht von Frauen und Männern keine Demokratie ist. Wie zum Beispiel, dass es ohne das Wahlrecht für alle Menschen, die in diesem Land ihren Lebensmittelpunkt haben, keine Demokratie geben kann.

Und diese aktive politische Gegenhaltung muss auch ins Detail gehen. Aus frauenpolitischer Sicht heißt das: Es geht darum, den Frauen in Österreich ganz konkret klar zu machen, was diese mittelalterliche Machopolitik für sie persönlich bedeutet: Noch weniger Chancen auf einen Job, von dem frau eigenständig leben kann. Krasse Bevorzugung der Reicheren durch einen Rückbau der staatlichen Infrastruktur. Noch mehr Druck, sich einzig und allein um die Kinderaufzucht zu kümmern. Ständige Unsicherheit und nicht einmal den Schutz der Menschenrechte für sogenannte »Ausländerinnen«. Eine Politik, in der »Frau« nicht einmal hin und wieder auch einfach als sie selbst mit ihren Bedürfnissen dastehen darf, sondern in der von der »Frau und Mutter« gedröhnt wird. Bevölkerungspolitik statt Frauenpolitik.

Und wir müssen bessere politische Perspektiven aufzeigen: Wie die unter anderem aussehen könnten, steht im FrauenVolksBegehren und sie lassen sich (auch für Männer) so zusammenfassen: Selbstbestimmtes Leben. Dafür braucht es staatliche Rahmenbedingungen, die die unterschiedlichen Startvoraussetzungen (Männer-Frauen, Stadt-Land, Arm-Reich) ausgleichen.

Unsere BündnispartnerInnen dafür? Wenn wir heikel sind, werden wir wenige haben. Dann geht es uns nämlich zu sehr auf die Nerven, dass VertreterInnen der römisch-katholischen Kirche in der Armutskonferenz wichtige Forderungen erheben und trotzdem in dieser Kirche bleiben, die nicht bloß in der Vergangenheit politisch alles dazu getan hat, männliche Machthierarchien zu stützen. Dann finden wir es unerträglich, dass sich SPÖ-PolitikerInnen nun als VerfechterInnen einer fairen Sozialpolitik, einer feministisch orientierten Frauenpolitik und einer offenen Kulturpolitik deklarieren, wo sie vor zwei Monaten noch einen ÖVP-SPÖ-Pakt mitverhandelt oder zumindest geduldet haben, durch den das Karenzgeld abgeschafft und durch ein zusätzliches Kindergeld ersetzt worden wäre, durch den es zu massiven Pensionsverschlechterungen und zu radikalen Subventionskürzungen gekommen wäre. Da nerven uns die männlichen Gockel, die sich jetzt teilweise ganz persönlich als Zivilgesellschaft feiern lassen. Und natürlich wären unter den unabhängigen Frauengruppen welche, die den anderen vorwerfen könnten zu pragmatisch oder zu radikal zu sein. Je nach Blickwinkel eben.

Also doch bloß die Beschränkung auf das allgemein Gute, Wahre und Schöne? Oder gar bloß auf den Widerstand? Vielleicht bin ich noch immer eine Polit-Romantikerin. Ich glaube nämlich, dass es in einer Situation wie dieser möglich ist, zumindest einige der menschenfeindlichen Koalitionsvorhaben zu benennen und daran Gegenkonzepte zu knüpfen. Mit einem so breiten Zweckbündnis, dass auch die Medien daran nicht vorbei gehen können. So konkret, dass es auch die unpolitisch gehaltenen verstehen werden. Ja.

Aber: Bin ich damit nicht in diesen neuen (aber zumindest angeblich ganz anderen) Österreich-Patriotismus gekippt? Warum soll ich eigentlich »etwas tun« für ein Land, auch für Frauen eines Landes, wo ich doch weiß, dass viele die jetzige Koalition für gar nicht so arg halten? Wo es so aussieht, als ob eine Menge junger Frauen Haider plus Kinderscheck für viel witziger halten als selbstbestimmtes Leben plus der dazugehörigen Solidarität?

Letztlich ist es Eigennutz: Ich kann es mir nicht leisten, auszuwandern. Und ich möchte möglichst angenehm leben. Dabei hilft es mir, wenn es auch die anderen halbwegs gut haben.

Eva Rossmann wurde 1962 in Graz geboren; sie lebt im niederösterreichischen Weinviertel; zuerst Verfassungsjuristin im Bundeskanzleramt, dann Mitarbeiterin im ORF-Hörfunk und bei der Neuen Zürcher Zeitung; von 1989 - 1994 Leiterin der Wiener Redaktion der Oberösterreichischen Nachrichten; seither freie Journalistin und Autorin; Mitinitiatorin des österreichischen Frauenvolksbegehrens 1997; zahlreiche Veröffentlichungen.