april 2000

Doc Holliday
titel

Digital Resistance

Widerstand im Netz - das Netz im Widerstand

Spätestens seit dem Antreten der FPÖVP-Regierung müssen Begriffe wie »Handyoten« oder »Computer-Nerds« neudefiniert, wenn nicht überhaupt über Bord geworfen werden. Wird doch ein Großteil des politischen Widerstands genau mit diesen technischen Errungenschaften geleistet, vorbereitet, organisiert und koordiniert. Termine, Treffpunkte und Routen von Demonstrationen können so relativ »blitzschnell« via E-Mail-Verteilerlisten, Webseiten und SMS-Botschaften (das »Short Message Service« für schriftliche Handy-Kurzbotschaften, etwa über aktuell geänderte Demonstrationsrouten) verschickt werden.

Bestes Beispiel dafür: Die sogenannten Wiener »Wanderdemos«, bei denen selbst versierte Auslandskorrespondenten über die immer wieder massenhaft nachvollzogenen Routenänderungen gleichzeitig verwirrt wie voll unverhohlener Bewunderung ob dieser voll funktionierenden Zick-Zack-Taktik waren. Aber auch als am 6. Februar die ORF-Talkrunde »Zur Sache« kurzfristig vom traditionellen Haas-Haus beim Stephansplatz auf den ungefähr Gehminuten weiter entfernten Küniglberg verlegt wurde, waren es E-Mails und SMS-Botschaften, die den neuen Sendeort bekannt gaben. Schließlich wanderten 7.000 auf den Küniglberg und demonstrierten vor dem ORF-Hauptgebäude. Moderne elektronische Kommunikationsmedien und konkreter politischer Widerstand fanden nun auch in Österreich zusammen.

ELEKTRONISCHE PFLASTERSTEINE

»Email statt Steine gegen die PopFaschisten und ihre Kollaborateure« - so hieß es gleich nach der Angelobung der FPÖVP-Regierung. Dabei sollten durch möglichst große Datenmengen an die Adressen der betreffenden PolitikerInnen die E-Mail-Server der Regierung zum Kollaps gebracht werden.

Ähnlich, wenn auch diffiziler, wird auf http://www.popo.at agiert. Unter dem Motto »EntSchüsseln« werden hier nach dem bewährten Muster der in Zusammenhang mit der Causa Omofuma schon erfolgreich erprobten Aktion »Schloegln« vorgefertigte, jedoch persönlich um- bzw. neugestaltbare Briefe plus an die 190 E-Mail-Adressen von ÖVP-PolitikerInnen angeboten. An die 100 Mails landen allein so täglich bei der ÖVP.

Jedenfalls wurde der E-Mail-Server der ÖVP wirklich kurzfristig vom Netz genommen. Ob wegen Mail-Bombs oder einer erhöhten Frequenz von E-Mails besorgter ÖsterreicherInnen lässt sich jedoch nicht sagen. Wie überhaupt Mail-Bombs oder das sogenannte »Spamming« (eine Art elektronischen Zuscheissen mit riesigen Mengen an Datenmüll) auch für die Salzburger NetzaktivistInnen von Subnet eher Problembereiche darstellen. Zum einen hätten konkrete Spamming-Aktionen (von rechten Kreisen aus Deutschland und Österreich) bisher nur die Aktionsplattform »get to attack« betroffen, zum anderen ist Spamming dem Gesetz nach verboten und würde daher, ähnlich gewisser Mail-Bombings, nur jenen Kräften Vorschub leisten, die für eine stärkere Regulierung und Kontrolle der Datennetze sind.

UNDERGROUND RESISTANCE

Den bisher größten Coup durch das Netz landete jedoch die Gruppe »Under- ground Resistance ( http://www.underground-resistance.org, übrigens be-nannt nach einem politisch auch nicht gerade unaktiven, afro-amerikanischen Techno-Label aus Detroit). Ihr nur über das Netz verbreiteter Spendenaufruf für ein ganzseitiges Inserat in der »International Herald Tribune» als Reaktion auf ein von der FPÖVP-Regierung geschaltetes Image-Inserat brachte es binnen drei Tagen auf Zusagen, die benötigte Summe um mehr als das Vierfache überstiegen - und das bei einem Limit von maximal 1000 Schilling pro Spende (auch um sich nicht von finanzkräftigen Interessengruppen vereinnahmen lassen zu können). Auch wenn einige AktivistInnen der bewusst anonym auftretenden Gruppe aus der Wiener Techno/DJ/Club-Szene kommen, so zeigen gerade diese Aktion - ihre Abwicklung, die Kürze, in der die benötigte Summe zusammengekommen ist, sowie gewisse Andeutungen seitens »Underground Resistance«- , dass in dieser Form auch Widerstand von Wirtschaftskreisen und sogenannten »Bürgerlichen« geleistet wurde. Zudem sind angesichts weiterer FPÖVP-Image-Kampagnen im Ausland ähnliche Resistance-Aktionen auch schon wieder in Planung.

WOLF 2000 & www.fpo.at

Es gibt aber auch Grenzfälle und Geschmacksverwirrungen. Etwa Fotomontagen, bei denen sich ein lächelnder Haider zum Slogan »Die Freiheit, die wir meinen« von einem Mann oral befriedigen lässt (was zudem eher schwulenfeindlich denn haiderkritisch interpretiert werden kann) oder »Wolf 2000« ein modifiziertes Computerspiel bei dem es gilt, so oft auf das Konterfei des FP-Chefs zu schießen, bis die Flucht von der Burg Wolfenstein glückt.

Subversiver ist da schon die der orginalen FPÖ-Webpage (www.fpoe.at) täuschend ähnlich nachgestellte Homepage www.fpo.at. Trotz - oder gerade wegen - Links zu ultra-rechten Netzwerken (Ku Klux Klan, Thule Gesellschaft, NPD, Front-National etc.), jeder Menge »aufrechter« Sager diverser FP-Granden sowie Ankündigungen von »Puffschecks« für alle, brauchte selbst die FPÖ knapp ein Jahr (!), um den Fake zu erkennen. Was sowohl für die Gestaltung der Homepage spricht wie auch tiefe Einblicke in das Selbstbild der FPÖ zulässt.

STOP-LIST SALZBURG

Widerstand im Netz passiert aber auch in Salzburg. Hier wurde von den NetzaktivistInnen subnet die »stop-list« ins Netz gestellt, die nicht nur lokale Initiativen und Einzelpersonen elektronisch verknüpfen soll. Rein technisch sei die Installation einer Webpage wie »stop-list« kein allzu grosses Problem, so Peter Riegersperger von subnet. Da es nicht um Konkurrenz mit anderen Webpages, sondern um den Aufbau von schnell funktionierenden Netzwerken geht, muss auch nicht lange an einem superausgeklügelten Design herumgebastelt werden. Je simpler gestaltet, desto einfacher und effizienter die Zugriffsmöglichkeiten.

Wird von kleineren Diskussionen im Vorfeld von Demonstrationen, über die »Putzaktion« am 25. Februar bei der Staatsbrücke (»Ab heute wird zurückregiert«) oder die vom Salzburger Künstler Dieter Huber initiierte »LAIDER«-Plakataktion abgesehen, tut sich auf diskursiver Ebene - zumindest jener in und aus Salzburg geführten - im Netz nicht wirklich viel.

Ein Umstand, der jedoch nur wenig Rückschlüsse auf das zulässt, was sich diesbezüglich außerhalb von »stop-list« in der sogenannten Realität abspielt.

Dazu Riegersperger: »Webpages von politischen Aktionsgruppen fungieren fast immer eher als Informationsverteiler denn als Diskussionslisten. Wir sind uns alle über den Widerstand gegen Haider und die FPÖVP-Regierung unisono im Klaren. Darüber muss nicht diskutiert werden. Es hat sich bei fast allen Widerstandsgeschichten im Netz gezeigt, dass relativ wenig diskutiert wird. Das Netz wird in erster Linie zur Information und zur Koordination benutzt. Widerstand heißt immer Informationen über gewisse Dinge zu haben.«

Gerade diese Qualitäten sollten nicht unterschätzt werden. Sehen sich doch auch die meisten österreichischen Aktionsgruppen im Netz als Anbieter von Informationen (u.a. Presseaussendungen, Demo-Berichte, Haider/FP-Zitat-Sammlungen, Artikel aus internationalen Medien), die in den öffentlichen wie privaten Medien nur verkürzt - wenn überhaupt - vorkommen. Wenn schon nicht im Netz, können so jedenfalls Diskussionen durch das Netz in Gang gebracht und geführt werden.

Wobei es auch um emotionalen Rückhalt gehe. Riegersperger: »Wenn ich konkret sehe, dass ich mit meinem Protest nicht alleine bin, bin ich auch höher motiviert selber etwas zu tun. Dieser Aspekt hat sicher auch viel zum Erfolg der Inseraten-Aktion von »Underground-Resistance« beigetragen. Die von Schüssel so verteufelte «Internet-Generation« ist nicht unbedingt politisiert. Aber sehr leicht politisierbar. Auch weil sie durch das Netz viel mitkriegt und einen sehr globalen Umgang hat. Wenn du im Netz bist, bist du in Amerika, in Deutschland, in Australien. Du bist sicher nicht nur in Österreich. Dementsprechend reagieren die Leute auch sehr sensibel auf eine politische Strömung, die diese Formen des globalen Denkens nicht aktiv unterstützt.«

Daher gebe es auch eine Kontinuität des Widerstands, die über das Netz hinaus auch dafür verantwortlich sei, dass etwa die »Wanderdemos« in Wien nach einer ersten Hochphase nicht wieder verebben oder bei der »Operballdemo« 15.000 Leute mitgemacht haben.

SEATTLE & B92

Wie wichtig das Netz für globale Formen des politischen Widerstands konkret sein kann, zeigte sich nicht zuletzt 1999 bei den Protesten in Seattle gegen die WTO sowie bei Regierungskritischen Belgrader Radiosender B92, der auch nach seiner Schließung Audio-Daten über das Netz nach Österreich und Holland schicken konnte, die von dort aus weiter verteilt wurden und sowohl im Netz wie auch mittels Radio weiter empfangen werden konnten. Auch mittels E-Mails haben demokratische Oppositionsgruppen - etwa in Ex-Jugoslawien oder China - immer wieder komplette Nachrichtensperren durchbrochen.

Für Medienaktivisten wie Riegersperger zeige sich gerade bei diesen Beispielen, dass es »durch das Netz auch andere Formen des Widerstands gibt.« Die sind relativ konkret und greifbar, schwirren nicht einzig und allein im virtuellen Cyberspace herum und münden schluss-endlich auch in »physische Manifestationen.«

Wobei die Aktionen in Seattle, die schließlich auch zum Abbruch der geplanten WTO-Konferenz führten, als absoluter Quantensprung betrachtet werden müssen.

»In Seattle«, so Riegersperger, » wurde das Netz zum ersten Mal dazu benützt, eine lokale Demonstration global zu organisieren. Es waren ja Organisationen aus der ganzen Welt in Seattle. Sowas ist nur über das Netz als Kommunikationsmedium machbar und koordinierbar.«

... UND DIE IM ELEKTRONISCHEN

DUNKEL ...?

Es stellt sich jedoch die Frage, was mit jenen 85 bis 90 Prozent der heimischen Bevölkerung ist, die keinen E-Mail-Anschluss haben. Gut, auf einer Demo brauchen nicht alle ein SMS-taugliches Handy. Informationen über neue Routen und Treffpunkte lassen sich auch durch herkömmliche zwischenmenschliche Kommunikationsformen weiterleiten. Größere Bevölkerungsschichten dürften durch politische Widerstandsaktionen, die nur im Netz ablaufen, jedoch nicht erreicht werden. Dass dies nicht passiert, dafür sorgt auch ein diesbezügliches Informationsdefizit in einem Großteil der herkömmlichen Print- und Funkmedien. Vielleicht konnte Schüssel auch deshalb so gelassen die »Internetgeneration« abfertigen.

Soll er nur. Beispiele wie Seattle, B92 und die Demonstrationen in Wien haben gezeigt, dass es auch ohne herkömmliche Massenmedien geht bzw. Widerstand manchmal gar nicht mehr anders möglich ist und damit auch Leute erreicht werden können, die (noch) nicht über Netzzugänge verfügen.