april 1995

Birgit Feusthuber
gelesen

Karin Fleischanderl: Des Kaisers neue Kleider.

Schreiben in Zeiten der Postmoderne

Der eine klärt Morde in einem mittelalterlichen Kloster auf und sucht nach dem Geheimnis des Lachens im Text. Der andere wird geruchlos geboren und betört als Mörder die Menschen mit seinen synthetischen Düften. Der dritte ist Ovid und tummelt sich im Exil am Schwarzen Meer. Der vierte kann alle Geräusche der Welt hören und findet keinen Schlaf.

Sie sind »postmoderne« Bestseller geworden: »Der Name der Rose« (Umberto Eco), »Das Parfüm« (Patrick Süskind), »Die letzte Welt« (Christoph Ransmayr) und »Schlafes Bruder« (Robert Schneider). Was ist/war das Geheimnis ihres Erfolges? Karin Fleischanderl, Publizistin in Wien, stellt in ihrem Buch gleich zu Beginn klar: »Es gibt keine postmoderne Literatur, es gibt nur ein postmodernes Reden über Literatur beziehungsweise ein Reden über sogenannt postmoderne Literatur« (S 9). Dem Theorie-Wirrwarr über die literarische Postmoderne setzt sie entgegen, daß eine gewisse Art des Schreibens, die als postmodern bezeichnet wird ausschließlich ein Phänomen der Medien sei: »Nur in diesen und durch diese existiert« (S 12) postmoderne Literatur. Unbestreitbar: die Medienpräsenz der oben angeführten Werke erwies sich als dermaßen aggressiv, daß man als literarisch interessierter Mensch nicht umhin kam, sich in Eco und Co zu vertiefen, um sozusagen auf der Höhe der Zeit zu sein. Zugegebenermaßen verlief die Lektüre in meinem Fall nicht ohne Lustgefühl, obwohl sich gerade bei Ransmayr und Schneider ein gewisses Abwehrverhalten aufgrund der sprachlichen Manieriertheit und der fehlerhaften Verwendung einzelner Metaphern einstellte. Das Unbehagen blieb nach Beenden der Lektüre auch inhaltlich bestehen: Ja, und?! Postmoderne Literatur »besticht auf den ersten Blick durch ihre Glätte und Schönheit, durch ihre vermeintliche Raffinesse und Eleganz, und langweilt schließlich durch ihre Bedeutungslosigkeit und Nichtssagendheit« (S 13), meint Karin Fleischanderl dazu lapidar. Indem die Handlungsverläufe in der Vergangenheit angesiedelt sind, angereichert mit antiquiertem Stil, der Achtung Kunst! suggeriert, wird laut Autorin die Tatsache verdeckt, daß »mangelnde sprachliche Arbeit mit aufgepapptem Bildungsgut kompensiert« (Eco, Süskind) oder mit Hilfe des Zitats eine literarische Vergangenheit inszeniert wird, »die es so nie gegeben hat, dem Leser jedoch das Gefühl vermitteln soll, die bessere, gehaltvollere Literatur zu sein, da sie ihm mit ihrer anheimelnden Art die Strapazen der modernen Befindlichkeit erspart« (S 17) (Ransmayr, Schneider) . Dies also ist das Erfolgsgeheimnis: In sprachlich konventioneller bis trivialer Form werden Mythen, Märchen und im Ruf des literarisch Wertvollen stehende Themen aufbereitet, und alle sinds zufrieden; die einen saugen sich behaglich eine mehr oder minder geschickt konstruierte Story rein, in der auch der Schrecken ästhetischen Genuß ohne Beunruhigung verspricht, die anderen, »sogenannte Spezialisten« (S 13), können sich im Zitatenschatz vergraben und an ihrer eigenen Gebildetheit ergötzen. Im Fall von »Der Name der Rose« scheint mir aber Fleischanderls Kritik zu kurz zu greifen. Dennoch:«Des Kaisers neue Kleider« ist ein vergnügliches Buch, weil es auf erfrischende Weise zum Rundumschlag gegen eine Literatur ausholt, die insgesamt die historisch subjektive Erfahrung negiert, die das Verstörende an der Kunst nivelliert und ihre Produktionsbedingungen unreflektiert läßt. Einziger Einwand: Mit Klaus Theweleits »Buch der Könige« im Hinterkopf fällt bei allen vier Beispielen das männliche Verfahren auf, sich vom Tod des Weiblichen herzuleiten - diese Komponente bleibt bei Fleischanderl ausgespart. Aber das wäre vermutlich ein neues Buch.

Karin Fleischanderl

Des Kaisers neue Kleider

Schreiben in Zeiten der Postmoderne

Wespennest 1994