april 1995

wenn und aber

Vertagte Verjährung

Seit Jahr und Tag dieselbe Diskussion: Wann wird Zeitgeschichte endlich Geschichte? Jetzt sind es fünfzig Jahre her, daß in Auschwitz die Öfen ausgingen. Alsdann, Strich drunter?

Verjähren ist ein schönes Wort: Mit der Zeit wird die frisierte Steuererklärung, ein Papier voller Sprengstoff, ein wert- und folgenloser Fetzen. Das Finanzamt ist nicht draufgekommen, ätsch.

Vertagen hingegen beunruhigt. Irgendwann steht es einem doch bevor, der nächste Gerichtstermin, die fällige Aussprache oder die Entscheidung über eine Megamüllverbrennungsanlage vor der Haustür.

Bliebe die Synthese als Problemlösung: Etwas vertagen, bis es verjährt. Theoretisch bestechend, aber die Praxis...

Wenn es in dir ist, daß die Roma und Sinti Zigeuner und die Zigeuner fremd und arbeitsscheu und Fremde und Arbeitsscheue besser woanders oder gar nicht sind, dann sitz das einmal aus, bis du ein Mensch bist, der darüber den Kopf schüttelt.

Nein, das ist nicht das Wort zum Sonntag, diese besinnlich-edle Vertagungsinstanz, die darauf vertraut, bis zum St. Nimmerleinstag fruchten die Appelle schon.

Überall das dumpfe Ressentiment und brustschwache Beteuerungen, es dürfe nicht sein, was ist. Die Verjährung der Zeitgeschichte, sie vertagt sich durch die Kraft des Faktischen von selbst. Auf welchen Termin? Haben Sie einen Vorschlag?