april 1995

Mario Jandrokovic
zu gast

Chris & Carla

Der zarte, heimelige Klang der Akustikklampfe feiert ja in den letzten Jahren nicht nur bei MTV wieder fröhliche Urständ. Auch bei unseren Gästen hieß es wieder einmal: Ausg’stöpselt is’. Chris & Carla öffneten mit ihren Country-Balladen sperrangelweit die Türen zu musikalischen Welten, die scheinbar schon seit Ewigkeiten da sind. Mit dem süßen, blumigen Duft der Nostalgie, den das Neo-Folkie-Klischee samt seinen sanft besaiteten Hippie-Interieurs verströmt, hatten die beiden Masterminds der Folkrock-Erneuerer Walkabouts (die schon zweimal bei uns zu Gast waren) allerdings nichts am Hut.

Und doch scheinen zahlreiche Klischees in Griffweite zu sein, wenn

das Duo prägnante, einschneidende Gefühlsmomente in die alten, ständig wiederkehrenden Mythen von einsamen Desperados und weiten Landstraßen verpackt: Da hört man aus den Songs schon den staubigen Wind der Prärie, der Strohballen durch die Gegend weht, dabei leben Chris Eckman und Carla Torgerson im großstädtischen Seattle. Der Nabel der Grunge-Welt als Heimatadresse war für den Durchbruch der Walkabouts gewiß kein Nachteil, aber auch hier verbirgt sich höchstens ein weiteres Klischee; Seattle ist schließlich keine Theke, an der Chris, Carla, Mudhoney und Nirvana tagein-tagaus gemeinsam Musik gehört hätten. »Es ist einfach nur der Ort, wo wir leben«, meinen die beiden angenehm ausgelassenen Leute, die so herrlich bedrückende Songs schreiben, daß sie ofmals schon - so versichern sie - »für Sadisten oder zumindest die depressivsten Leute der Welt« gehalten wurden.

Auch auf Platte wollten Chris & Carla den kargen Klang herumziehender Bänkelsänger verewigt wissen, doch es kam anders, als sie die Tindersticks, Meister des opulent orchestrierten, britisch unterkühlten Pathos und langjährige Walkabouts-Bewunderer, bei einem Bier trafen und sie partout für Teile ihrer CD »Life full of Holes« (Glitterhouse) engagierten. Um die Straightness einer Country-Platte war es geschehen: »Stuart von den Tindersticks sagte: Unser Drummer kann keinen geraden Beat spielen. Also änderten wir die Nummern um in Rumba-Rhythmus.«

Nichtsdestotrotz fingen Chris & Carla ein Stück des mythischen Amerika ein, das vielleicht nur irrtümlich für ein Stereotyp gehalten wird. »Wir dachten, es sei ein Klischee, daß all die Country-Typen nur über Züge und Hotels, Hotels und Züge singen.«, so kündigt Chris Eckman einen Song an: »Als wir das erste Mal auf Tournee waren, kamen wir drauf, daß man schlichtweg nichts anderes sieht.«