april 1995

Gudrun Seidenauer

Schweigen Schreiben Unbehagen

Frauenschreibwerkstätten am Land

Texte von Frauen, denen Sprache zunächst selbstverständliches Werkzeug, Fahrzeug weiblichen Alltags ist: Organisieren, vermitteln, erklären, erziehen. Gleitmittel für reibungsloses Funktionieren, meist so wenig beachtet wie die eigenen Hände.

Ein erstes Thema zu Beginn der Gruppe: Meine Hände. Wenn nach Christa Wolf »zu schreiben erst beginnen kann, wem die Realität nicht mehr selbstverständlich ist«, greifen die Teilnehmerinnen mit diesem ersten Schreibversuch im Rahmen der Gruppe auch schon den Leitfaden des Ganzen auf: Schreiben als die Sprache wieder-einholende Bewegung, die sich im Zweckbestimmten verloren hat. Sprachlosigkeit? Wünsche, Erinnerungen, Kindheiten, das ganze Spektrum sozialer Erfahrung. Vergangenheit, die die Gegenwart ereilt.

Das Lebenstempo (nicht nur) der Frauen hat sich auch in ländlichen Gegenden ernorm erhöht, sein Rhytmus ist wie eh und je fremd- und nun auch »fremden«-bestimmt; - (das Wort hält sich im Gesprochenen beharrlich gegenüber dem Euphemismus vom »Gast«, der wie nebenhin eine klare Unterscheidung zwischen urlaubenden und schuftenden AusländerInnen trifft). Weibliche Arbeitskraft, weibliche Tugend, die den Familienanschluß erst so richtig familiär zu gestalten wissen, sind längst vergesellschaftet, das »Private« somit ökonomisiert und politisiert, allerdings anders, als wir uns das gedacht hatten.

Wir? Als Leiterin der Schreibwerkstätten, besser: Impulsgeberin, stelle ich mir die Frage nach dem Anspruch, dem Ziel, der eigenen sozialen Erfahrung mit Feminismus und Emanzipationsbestrebungen als Hintergrund meines Bemühens, Frauen »mittels eigenem Schreiben ein bißchen aus dem Alltag heraustreten zu lassen«, wie ein Werbefolder bescheiden ankündigt. Emanzipation? Auf der Suche nach der verlorenenen Au-thentitizät, die irgendwo doch schlummern müßte unter den Bildern des »imaginiert Weiblichen«? Analyse des eigenen gesellschaftlichen Ortes oder Nicht-Ortes, um dann die eigene Existenz irgendwo einpassen zu können in die von anderen, diesmal Intellektuellen, »Feministinnen« flugs angelegten Kategorien? Mit vorgefertigten Rezepten oder Absichten läßt sich - glücklicherweise - beim Zielpublikum sogenannter basiskultureller Aktivitäten nichts in Bewegung bringen. Zum einen gewiß, weil Begriffe wie »Feminismus« etc. wort- und bildgewaltig desavouiert worden sind, zum anderen weil sich die Teilnehmerinnen Abstraktem, Zu-Ordnendem verweigern und gerade in einer Tätigkeit, zu der keine Pflicht drängt, auf dem Erfüllen von Bedürfnissen beharren. Die da wären? Zunächst vage. Kaum eine kommt anfangs vor allem wegen des Schreibens. Eher aus Neugierde, dem Wunsch, zu probieren, was allein schwer gelingt, sich in Formlosigkeit verliert, weil - solange »alles läuft«- niemand, auch man selbst nicht, danach fragt. Die eigene(n) Geschichte(n) (er)finden, einen »zweckfreien« Raum in der Sprache schaffen, die Wahrnehmung schärfen, wo sie nicht gefragt ist. Ähnlichkeiten und Ähnliche finden. Bei der Bearbeitung gemeinsamer Themen begeistern sich die Teilnehmerinnen dennoch regelmäßig am Auffinden von Unterschieden, entwickeln Vertrauen, daß sich aus zunächst unzusammenhängend erscheinenden Ideenfragmenten und »wilden« Assoziationen Texte und Lebensthemen herausschälen. Vorsichtiges Rühren an Tabus, Ohnmachtserfahrungen, wieder Abstand nehmen. Erfahren, daß Kritik am Text nicht Kritik an der Person bedeutet. Erkennen, wo Klischée, wo Erfahrung im eigenen Schreiben sich umsetzen. Fragen nach dem Zusammenhang von Inhalt und Form, Formen erproben: Gedichte, Märchen, Minidramen, Kurzprosa... Literatur lesen, erstes Unverständnis abtragen, durch gemeinsames Fragenstellen ungewohnte Zusammenhänge auffinden.

Das Ritual des Vorlesens, Diskutierens in den vierzehntätigen Treffen hält diese Prozesse in Bewegung. Wohin sie für die einzelne führen, was die Lebenspraxis berührt, ist nicht auf den Punkt zu bringen. Keine Rechnung, kein Strich drunter, kein Ergebnis. Nach Kursende ein Abschlußheft mit Gruppenfoto und selbstausgewählten Lieblingstexten. Für die beinah allem »Kulturellen« nunmehr einverleibte Vermarktbarkeit eignen weder Veranstaltung noch Texte. Zur Unzahl ist zwischen Buchdeckeln zu finden - was von findigen VerlegerInnen mit dem Etikett »Authentizität« versehen - Bekanntes variiert und bestätigt.

Trotz Absenz von Prestige und Spektakel wird das Werkstättenprojekt erfreulicherweise von Land (Kulturabteilung, Büro für Frauenfragen als Ideenstifterin) und fallweise von Gemeinden und Büchereien mit ca. 10.000,- pro Kurs subventioniert.

Die im Rahmen einer Werkstatt selbst geschriebenen Texte sind - obwohl Zentrum der Abende - lediglich jeweils Startrampe für das beginnende Außer-Kraft-Setzen des Selbstverständlichen, egal ob sie nun irgendeine Form des »Unbehagens« oder Wünschens nur vage antasten, sich an verinnerlichten (Sprach)Ordnungen entlangfädeln, oder ob schon zugespitzt und experimentierfreudig formuliert werden kann, was unter die Haut, die übliche, zugenähte, zweckangepaßte Sprachhaut geht. Bruchlinien in stillschweigenden Übereinkünften tun sich manchmal ziemlich überraschend auf und geben den Blick auf Unvereinbares frei: Bei einer Lesung dreier Pongauer Schreib-Gruppen bringt eine über siebzigjährige Teilnehmerin einen Text über ihre erste Dienstzeit als Vierzehnjährige in einer heute noch bestehenden Gastwirtschaft. Die über sechzigjährige Tochter der ehemaligen Dienstgeber reagiert hoch-gradig empört über diese posthume Entthronung der Eltern als rechtschaffene Christen. Der Text selbst hält sich mit Wertungen sparsam, Über Dienstzeiten, Kost, Tagesablauf, Unterbringung und Arbeit wird im Stil eines Erinnerungsaufsatzes, wenn auch mit sanftem Sarkasmus, erzählt. Eine Art »Innerhofer-Effekt« (dessen »Schöne Tage« bei Erscheinen 1974 vom Bauernbund wüst in Abrede gestellt worden waren) im kleinen reinszeniert sich. Immer noch kann nicht (gesagt) sein, was nicht sein darf. Diskussion. Wortgefechte. Anstand versus Wahrheit, oder Totenruhe. Nur ein Text. Der trifft.