april 1995

Thomas Neuhold

Von der »Gauhauptstadt« Salzburg

in die Landeshauptstadt Von der »Straße der SA« zum Ginzkey-Platz Teil II der »kunstfehler«-Serie zur Befreiung 1945

Namen von Straßen und Plätzen, kleinen Gäßchen und sogar versteckten Hinterhöfen sind in jeder Epoche Symbol der Herrschaft, der Unvergänglichkeit, der versuchten Unsterblichkeit. Straßenbenennungen sind auch, »soweit sie Personen des öffentlichen Lebens betreffen, immer als eine Form säkularisierter Heiligsprechung zu verstehen«, heißt es in einem Aufsatz zu »grundsätzlichen Überlegungen zum Problem von Straßenbenennungen« von Hildemar Holl, Gert Kerschbaumer, Karl Müller und Klaus Heydemann.

Wie ernst es die jeweils Herrschenden mit Machtzeichen an öffentlichen Verkehrswegen nehmen, ist anhand eines Vergleiches von Ostberliner Stadtkarten vor 1989 und heute deutlich zu sehen. Da wurde gelöscht und gestrichen, getauft und aberkannt, daß sich die Pfeile grün ärgerten und auf daß sich der rote Teil in Mega-Deutschland wenigstens nicht auf Adress-Schildchen wiederfinden könne.

Daß die Taufe von gepflasterten oder betonierten Flächen auch in der Stadt Salzburg Herrschaftssache war und ist, versteht sich von selbst, zumal die fürsterzbischöfliche Residenz Machtzentrum war und als Landeshauptstadt zumindest Verwaltungszentrum geblieben ist. Wer mit offenen Augen durch die Stadt wandert, mag dies an der Franziskanergasse, der Firmian- oder der Paris-Lodron-Straße oder auch am Residenzplatz erkennen.

HITLERPLATZ UND JUDENGASSE

Für den Salzburger Historiker Gert Kerschbaumer war aber nicht zuletzt diese »Dominanz des konservativen und katholischen Salzburg« der Grund, daß sich die »Umtaufe-Aktionen« der Nazi in Salzburg ziemlich in Grenzen hielten. Immerhin stammten ja viele der NS-Funktionäre genau aus jenem katholisch-reaktionären Milieu. Zwar wurden einige Straßen, die Namen von Austrofaschisten oder von Juden trugen, umbenannt, letztlich waren jedoch nur wenige Straßen und Plätze in der »Gauhauptstadt« eindeutig auf die Nationalsozialisten bezogen: darunter der »Hans-Schemm-Platz« nach dem Gründer des NS-Lehrerbundes (ursprünglich Realschulplatz, heute Hanuschplatz) und die »Straße der SA« (heute Auerspergstraße).

Die NS-Behörden verhinderten sogar einzelne Umtaufaktionen. Als Jugendliche im Rahmen der antiklerikalen Kampagne 1938 die Schilder der Priesterhausgasse, Dreifaltigkeitsgasse und der Kirchenstraße demontierten und durch Namen von NS-Führern oder Militärs ersetzen wollten, wurde dies behördlich unterbunden.

Eine historische Kuriosität ist, daß die »Gauhauptstadt« - abgesehen von einem kurzen Intermezzo am »Dollfuß-Platz«, der jedoch den Namen Makart, einem von Hitlers bevorzugten Maler erhielt - keinen nach dem »Führer« benannten Platz vorweisen konnte. Dafür behielt die »judenfreie« Stadt ihre Judengasse. Die NS-Stadtverwaltung versuchte zwar den Residenz-Platz als Hitler-Platz durchzusetzen, die »Gauleitung« verhinderte dies jedoch unter Berufung auf den vorgesehenen Namenspatron Adolf Hitler: Dieser wollte alteingebürgerte historische Bezeichnungen nicht verändern. So wurde im Mustergau eben Hallein die »Ehre« zuteil.

Unter die Pinsel der Schildermaler kamen hingegen der Kapuzinerberg, er wurde zum »Imberg«; oder das Franziskanerkloster, das als Gestapo-Hauptquartier in Salzburg den alten Namen »Frauenhof« erhielt; schließlich auch noch der »Franz-Josef-Park«, der zum heute bekannten, streng republikanischen Volksgarten mutierte.

KONTINUITÄT NACH 1945 -

SCHATTEN DER NS-KARRIERISTEN

Zwar war der direkte NS-Bezug gering - Schemm, die Schilder von SA aber auch Bismarck oder die der Sudetendeutschen wurden nach 1945 abmontiert - aber immerhin »zieren« die geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen Kerschbaumers eine lange Liste von Neubezeichnungen, die von der demokratischen Stadtverwaltung nach 45 übernommen wurden: »Egger-Lienz-Gasse (als völkischer Maler vereinnahmt - Kriegsbilder in Postkartenform), Dr.- Julius-Sylvester-Straße (deutschnationaler Reichsratspräsident, Antisemitenbund), Unpildstraße, Geißmayerstraße, Fadingerstraße, Sezenweinstraße, Stöcklstraße und Bundschuhstraße (alle zur Erinnerung an den Bauernkrieg), Buchenländerstraße, Banaterstraße, Bessarabierstraße und Gottscheerstraße (nach Umsiedlern benannt).«

Die seit 1945 überwiegend von der Sozialdemokratie gestellten Stadtväter dachten jedoch nicht nur nicht über die »Sylvester-Straße« nach, sie dekorierten Verkehrsflächen sogar selbst mit Nazis und deren Günstlingen, Karrieristen und mit von den Nationalsozialisten vereinnahmten Aushängeschildern unterschiedlichster künstlerischer Qualität. Da wären beispielsweise: Wilhelm Furtwängler, Clemens Krauss, Augustin Ableitner, Hans Pfitzner, Franz Karl Ginzkey, Josef Thorak, Joseph Mess-ner, Friedrich Gehmacher, Ernst Sompek, Eugen Müller, Franz Sauer, Karl Reisenbichler, Alois Lidauer, Kuno Brandauer, Waggerl, Karl Adrian, Franz Martin, Georg Rendl, Pert Peternell und Tobias Reiser.

»Dieser Phalanx von Namen stehen acht gegenüber, deren Träger Widerstand leisteten und ermordet wurden«, so Kerschbaumers bittere Bilanz. Geehrt wurden Kommunisten, Revolutionäre Sozialisten und Sozialdemokraten: August Gruber, Valentin Aglassinger, Engelbert Weiß, Franz Ofner, Hans Prodinger, Rosa Hofmann, Karl Böttinger und Karl Emminger.

1988: AUGUSTIN ABLEITNER UND ANDERE

Solche historische Wertungen störten kaum jemanden. Außerdem: Wer weiß schon, wenn er im Norden der Elisabeth-Vorstadt durch die Franz-Ofner-Straße fährt, daß diese dem im Juli 1943 hingerichteten Friseur und KPÖ-Funktionär Ofner gewidmet ist?

Es ist dem Historiker Kerschbaumer zu verdanken, daß im Vorfeld des Gedenkjahres 1988 erstmals wieder öffentlich über Straßen und Wege debattiert wurde. Kerschbaumer wollte in einer Anfrage an die Magistratsdirektion schlicht wissen, »wer (Partei, Verein, Person etc.) die betreffenden Benennungen vorschlug«. Die Erkenntnisse waren zwar wenig aufregend - die Vorschläge kamen aus allen Fraktionen, viele auch ohne inhaltliche Begründung - aber als sich dann die Salzburger Autorengruppe - mit dem Schriftsteller und »kunstfehler«-Mitarbeiter Ludwig Laher an der Spitze - der identitätsstiftenden Bezeichnungen annahm, entstand mit medialer Unterstützung eine Debatte über diverse Namensgebungen. SP-Bürgermeister Josef Reschen stimmte einer Gutachtenserie über 23 »angeblich NS-belastete Personen« zu.

Der solcherart in der Ära Waldheim losgetretene Disput ließ tief in das österreichische, in das Salzburger Selbstverständnis blicken. Das Institut für Musikwissenschaft teilte per Schreiben vom 10. November 1987 mit, keine Gutachten zu erstellen, da dies »insbesonders gegenüber den ausländischen Besuchern Salzburgs« (!) problematisch wäre. Im Gegenzug vertrat Bernhard Hütter im »Volksblatt« unter dem Titel »Die Grabesruhe gestört« die Auffassung: »Die Salzburger Universität - immer in Geldnöten - hat wohlfeil ihre Dienste zu dieser Aktion angeboten«. Die »Presse« polemisierte gegen die Hexenjagd und den »kollektiven Irrsinn«, der in Salzburg sonderbare Blüten treibe. Laher weiß von Abgeordneten zu berichten, die die »Schilderstürmerei« von »perspektivearmen Historikern« und »ideologisch getrimmten Germanisten« mit der »chinesischen Kulturrevolution« verglichen.

Die Linie gaben aber - wie immer - die »Salzburger Nachrichten« vor. Moderat im Ton, aber unerbitterlich in der Haltung schrieb Karl Heinz Ritschel, man könne Personen wie Waggerl und andere »natürlich in Diskussion« stellen. Manchen würde man heute sogar die Ehrung verweigern, aber es »ist ein Unterschied, Straßen zu benennen oder umzutaufen«. Schließlich müßte man dann auch über den Protestantenvertreiber von 1731, Erzbischof Firmian reden.

Kerschbaumer verweist in diesem Zusammenhang nicht zu Unrecht darauf, daß sich Österreich eben nie die Frage gestellt hat, »warum nach 1945 so bekannte Reichsgrößen wie Clemens Krauss, Wilhelm Furtwängler, Karl Böhm, Herbert von Karajan, Hans Pfitzner, Karl Heinrich Waggerl, Franz Karl Ginzkey und Josef Thorak am kulturellen Wiederaufbau mitwirkten, nicht aber Vertriebene wie Arnold Schönberg oder Erich Kleiber«.

Einer war freilich nicht mehr haltbar: Augustin »Blasi« Ableitner. Textproben des »Heimat«dichters wie:

»Dachau ist eine zünftige Gegend

und sehr gesund, appetitanregend.

Die schöne Aussicht kommt denen zustatten, die früher mal keine Einsicht hatten. (...) Dachau, das an der Amper gelegen - Unsern Glückwunsch und unsern Segen.«,

überzeugten die Anrainer der heutigen St. Vitalisstraße in Maxglan ebenso wie den Leiter des Salzburger Bildungswerkes, Walter Sulzberger, der die 1975 erfolgte Benennung initiierte. Der historisch offensichtlich unbe-leckte Sulzberger war über die Texte Blasis entsetzt und sprach sich für die Umbenennung aus.

Andere wie der antisemitische Funktionär Sylvester oder der Opportunist Ginzkey - er hatte die erstaunliche Karriere vom Großdeutschen zum Funktionär des Austrofaschismus und weiter über die NSDAP bis zum österreichischen Staatspreisträger 1958 hinter sich - behielten ihre Ehren.

Wie heißt es in den eingangs zitierten grundsätzlichen Überlegungen von Kerschbaumer, Holl, Müller und Heydemann: »Deswegen ist eine solche Ehrung nicht nur der Ausdruck für eine wirkliche oder vermeintliche Leistung des Geehrten, sondern vor allem Ausdruck der kulturell-politischen Mentalität der Antragsteller bzw. der politischen Entscheidungsträger, die dadurch ihre eigene Identität signalisieren und diese historisch absichern.« Noch deutlicher formulierte dies der Gutachter Ernst Hanisch. Zum Thema Julius Sylvester hält ein Magistrats-Amtsbericht vom April 1988 seine Stellungnahme fest: »Einerseits sei Dr. Sylvester zweifelsfrei einer der prononciertesten frühen Antisemiten in Salzburg gewesen, andererseits sei er später von dieser Militanz abgerückt und habe sich ebenso zweifelsfrei große Verdienste um Salzburg erworben. Ob nun sein Antisemitismus oder seine Verdienste als gewichtiger bewertet werden, sei keine wissenschaftliche, sondern eine politische Frage, die auch nur von den politischen Verantwortlichen entschieden werden kann.«

Ein »kunstfehler« Spaziergang nach Arbeiten des

Salzburger Historikers

Gert Kerschbaumer sowie Unterlagen des

Stadtarchives und

des Kulturamtes der

Landeshauptstadt.