april 1995

Didi Neidhart

Catholic Sex in der Via Lacrimosa

Ohne Schmerzen keine Liebe

»Den Gottlosen fangen seine Missetaten, und er wird gebunden mit den Stricken seiner Sünden.« (Sprüche Salomons 5.22)

»She needs/The body of Christ« (Type O Negative)

Grüß Gott zu einem Exkurs ins Reich der heiligen Lüste und seligen Schmerzen, wo Jungfrauen in »Verzückungen« (und den Himmel) und Junggesellen in Stromkreise (und die Hölle) geraten. Bekanntlich führen viele Wege zu Gott (manche auch »über die Berge«, wie es uns eine mahnende Inschrift zum Gedenken an einen Verunglückten am Untersberg mitteilt) und die Erfolgversprechendesten sind nicht immer jene, die saubere Laken hinterlassen. Das lehren uns nicht zuletzt jene Heiligen, die durch eifrige Selbstgeißelung ihre Fleischeslust zu unterdrücken versuchten und dabei in ekstatische »Verzückungen« fielen, welche ganz erstaunliche Visionen zur Folge hatten. Besonders bei den »Bräuten Christi« (Nonnen und fromme Jungfrauen) fällt auf, daß die Fleischeslust weniger unterdrückt als transzendiert wurde. So behauptet die Hl. Katharina von Siena, Christus habe ihr seine Vorhaut als Vermählungsring gegeben, was aber noch gar nichts ist gegen die Gottesfleisch-

»Verzückungen«, von denen die Hl. Mechthild berichtet: »Er küßte meine Hand, drückte mich an sich und flüsterte mir zu, ihm meine Liebe zu geben. Und ich gab mich ihm hin und kostete als Gegengabe von seinem göttlichen Wesen.«

Aber auch wenn nicht selber Hand an sich gelegt wurde, wie bei den Märtyrerinnen, war die »Verzückung« groß. »O mein Jesus, auch du bist gegeißelt worden. Dank dir, daß du mich derselben Marter würdigst.«, frohlockt die Hl. Julia von Korsika unter der Folter, und die Hl. Agnes, die Schutzpatronin der (irdischen) Keuschheit, schrieb es ihren Peinigern und uns genau ins Stammbuch: »Jesus ist um die Makellosigkeit seiner Bräute sehr besorgt. Schlag zu, töte endlich den Leib, der so vielen Augen gefällt, denen ich nicht gefallen will.«

Der Tod der Braut als Liebes-Opfer für den Bräutigam und Grundbedingung für die himmlische Vermählung. Ohne Schmerzen keine Liebe, sagt Gott. Ohne Braut kein Bräutigam, sagt der Volksmund. Was aber ist mit jenen Männern, die wir in Fritz Ostermayers Buch »Gott ist ein Tod aus der Steckdose« auf gerichtsmedizinischen Fotos sehen, die »tödliche Unglücksfälle bei autoerotischer Betätigung« dokumentieren? Wieso kommt hier Gott und nicht einfach nur Strom aus der Steckdose? Vielleicht weil uns der Autor gleich am Anfang seines Vortrags in einen Jungscharsaal versetzt. An einem Ort, an dem »Sünde« für jeden Pubertierenden gleichbedeutend mit »Onanie« ist. Die Onanie als »Revolte gegen die Zweckmäßgkeit der Liebe« (Peter Gorsen) richtet sich so gesehen ja direkt gegen Gott (wie übrigens laut Vatikan die Homosexualität auch). Und dieser straft hier u.a. als 220 Volt-Stoß. Ostermayer, Besitzer einer der größten Schallplattensammlungen mit Trauermärschen, weiß um den Wahnsinn des Katholizismus (s.o.) und um den Reiz, den dieses System aus Schuld, Sühne, Vergebung und biblischem Zorn besonders für Künstler (von Baudelaire über jeden Western bis hin zu Martin Scorsese, Abel Ferrara, Glenn Danzig) hat. Die Masturbationsmaschinen, die wir hier sehen (vom »Elektrobaukasten-Experiment« eines Elektrolehrlings bis hin zu komplizierten Flaschenzügen, die die Variante »Gott als Tod in der Scheune/am Lastenkran« ins Spiel bringen), kennt die Kunstwelt als »Junggesellenmaschinen«, Maschinen, deren Funktion nach Michel Carrouges in der Umwandlung von Liebe in Todesmechanismen besteht (weshalb auch Marcel Duchamp, Alfred Jarry und Rudolf Schwarzkogler vorkommen). Nur wird hier nicht symbolisch, sondern ganz real der kleine mit dem großen Tod vereint. Diese Männer sind ihre eigenen Liebes-Opfer, auch wenn sie nicht mit der Banalität eines depperten »Unglücksfalls« gerechnet haben. Aber das ist die eigentliche Tragik, von der die Fotos erzählen.

Fritz OSTERMAYER:

Gott ist ein Tod aus der Steckdose. edition selene 1994. 85 S., öS 248.-

Zur weiteren Vertiefung empfohlen:

JOSEF WINKLER:

Friedhof der bitteren Orangen.

suhrkamp 1990

ALBERT CHRISTIAN SELLNER:

Immerwährender Heiligenkalender. Eichborn 1993

»Der Masturbationsmaschinist verachtet die üblicherweise kürzeste Verbindung zwischen Reiz und Reaktion und ersinnt anstatt dessen eine bewegungsmechanische Verkomplizierungstrategie.

Diese kann (...) höchst

einfacher Natur sein, eine

primitive Verkomplizierung sozusagen.«

Fritz Ostermayer