april 1995

Gerald Gröchenig
titel

Kulturpolitik auf der Höhe der Todesangst

Vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen...

Vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen unterliegt auch die Kulturpolitik sich

ständig wandelnden Anforderungen. Wie Österreichs Parteien darauf reagieren, soll in der Veranstaltungsreihe »Im Kreuzverhör« mit den Kultursprechern der Parlamentsparteien geklärt werden. Gerald Gröchenig liefert zur Einstimmung seinen Eindruck über den Stellenwert der Kulturpolitik in Österreich.

Josef Krainer wird jäh unterbrochen. »Herr Landeshauptmann, wie lange sollen wir uns diesen Blödsinn noch anhören?«

Graz, 17. Juni 1994, 15:00 Uhr, offizielle Eröffnung der ersten steirischen Kulturmesse. Einem Ensemblemitglied des »theatermerz« war die Geduld gerissen. Und er ließ es sich auch nicht nehmen, den Rest der Ausführungen des Landeshauptmannes und der anderen anwesenden Honoratoren - von ihm als »Krawattenträger« apostrophiert - lautstark zu kommentieren. Krainers Reaktion: Er blieb zwar sichtlich verärgert, aber gelassen. Den versammelten Vertretern von 50 steirischen Kulturorganisationen hatte er ohnehin schon zur Begrüßung mitgeteilt, was er von ihnen hält: Der Begriff Kulturmesse sei wohl etwas zu hoch gegriffen, könne aber auch nicht verboten werden; gedankt wurde einem Veranstalter, »der das alles organisiert haben soll«. Kulturpolitik in der Steiermark. Am Ende meinte sogar ein lederhosengewandeter Brauchtumsvertreter, ebenfalls mit einem Stand auf der Messe vertreten, daß »es dem Krainer so Recht gschiecht«. Auch Brauchtumsvertreter können in Graz wegen fehlender Räume und horrender Mieten kaum mehr ihre Plattlerabende abhalten.

Eines von vielen Beispielen für mangelndes Problembewußtsein bzw. für die Ignoranz eines Kulturreferenten. Die Auswirkungen spüren die Kulturschaffenden in den Vereinen und Kulturzentren. Allein eine kurze Aufzählung von Beispielen aus der Steiermark würde den Umfang dieser Zeitung sprengen.

Von der Steiermark nach Tirol: Vor seiner Wahl hat sich Innsbrucks Bürgermeister als Förderer der Kultur feiern lassen, danach rigoros bei Kulturgeldern gekürzt. Als er dem Leiter des renommierten Innsbrucker »Treibhauses«, durch eine 50% - Kürzung der Förderung vom Zusperren bedroht, ohne Umschweife mitteilt, daß Kultur ohnehin nicht mehrheitsfähig sei, publiziert dieser die Aussage. Der Bürgermeister dementiert; sein Pech: Es waren Zeugen dabei. Die Folgen: Ein überaus unterhaltsamer Austausch von Leserbriefen in diversen Zeitungen sowie die erste große gemeinsame Protestaktion von Tiroler Kulturschaffenden (Nur zum Vergleich: Auch Salzburgs Bürgermeister verkündete coram publico, daß er, insofern er Kulturzentren schließe, damit nur Wahlen gewinnen könne).

Landesfürsten, Kulturreferenten, Ignoranz und Macht.

Wo sind die politischen Kulturvertreter, die sich vorbehaltlos hinter die Kultur stellen, auf neue Bereiche eingehen, sich informieren, in Kooperation mit den Kulturschaffenden Planungen erstellen, das »Lebensmittel Kultur« als Querschnittsfaktor zwischen allen Lebensbereichen verstehen und in den Mittelpunkt des Lebens stellen? Es gibt sie kaum.

Bei einigen hat man den Eindruck, daß sie, eingebettet in für sie teilweise undurchschaubare Entwicklungen und Budgets, von der Fortschreibung des Tradierten leben, alles Neue stört. Kärntens Ex- Landeshauptmann, Ex- Kultursprecher und SPÖ-Mitglied Ambrozy erklärt 1993 die späte Förderauszahlung an freie Kulturvereine ohne Skrupel damit, daß er erst einmal bis Herbst damit zuwarte, was überhaupt an Anträgen reinkäme, damit er besser aufteilen könne. Die Frage, was er dazu sagen würde, wenn man es mit seinem Politikergehalt genauso machen würde, versteht er nicht.

1990 befragt die Kulturplattform Oberösterreich (KUPF) 153 Gemeindekulturreferenten über ihr Verständnis für zeitgenössische und innovative Kulturarbeit. Das Ergebnis werteten die Oberösterreichischen Nachrichten als »offen deklarierte Interesselosigkeit dem Ressort gegenüber«: An die 20% geben an, daß sie nicht wissen, ob sie das Ressort interessiert bzw. verneinen ihr Interesse direkt. Weiterbildung genießen 75% nicht, und die Hälfte hält dies auch gar nicht für notwendig.

1992 ergibt eine Untersuchung, die die IG Kultur Österreich, die Interessenvertretung der freien Kulturorganisationen, unter ihren Mitgliedern durchführt, folgende Einschätzung von Kulturpolitikern und -beamten: unbeweglich, unprofessionell, inkompetent und bürokratisch. Einzige positive Bewertung: freundlich. Aber davon kann man sich wenig kaufen. Die Folgen: Einzig die (ohnehin gut funktionierende) Kulturabteilung der Salzburger Landesregierung veranstaltet ein moderiertes Seminar zwischen Beamten und Kulturschaffenden, um gegenseitige Ansprüche und Vorbehalte zu problematisieren.

Die Kluft bei Motivation und Kompetenz zwischen den Kulturschaffenden auf der einen Seite und der Kulturpolitik auf der anderen wird immer größer: Während man bei der Politik Weiterbildung kaum für sinnvoll erachtet, werden derartige Angebote von Seiten der Kulturschaffenden verstärkt angenommen. Die Kurse des in der Zwischenzeit in Salzburg angesiedelten »Internationalen Zentrums für Kultur und Management ICCM« können hierfür als Beispiel dienen.

Aber was machen mit Marketing- und Finanzierungskonzepten, wenn das Gegenüber nicht versteht, worum es geht? Wie soll man über Programme und deren Umsetzung diskutieren, Prioritäten setzen, wenn eine qualitative Diskussion mit dem politischen Gegenüber nicht möglich ist? Warum wird jemand Kulturreferent, wenn’s ihn nicht interessiert? Kann es sein, daß er oder sie woanders noch größeren Schaden anrichten könnte?

Demokratisierung, Objektivierung, Transparenz

Wo sich Kulturorganisationen zu Interessenvertretungen organisieren, ähneln sich die Forderungen. Etwa bei der Kulturmesse in Graz 1994: Die Anwesenden forderten eine eigene Abteilung am Land für die freie Kultur, Förderberichte, um zu wissen, wie das Geld verteilt wird, Demokratisierung bei der Fördervergabe: Zu oft fühlten sich Kulturschaffende eher als Bittsteller denn als Partner in der kulturellen Praxis.

Die Diskussion ist nicht neu: 1970 wurden die Themen zum ersten Mal unter der Regierung Kreisky problematisiert, 1973 wurden auf Seiten des Bundes erstmals Förderbeiräte eingesetzt, um im Bereich der Fördervergabe mehr Demokratie und Objektivität zu ermöglichen. Seit 1971 legt der Bund jährlich Berichte über die Kunstförderung vor, um staatliche Maßnahmen, politische und verwaltungstechnische Prozesse durchschaubarer zu machen.

In den Ländern scheint die Durchschaubarkeit allerdings nicht besonders gewünscht zu sein. Dort, wo Kulturberichte existieren, verletzen sie oft den Grundsatz einer Budgetklarheit: Otto Hofecker vom Wiener Institut für Kulturelles Management kritisiert schon 1992, daß amtliche Kulturfinanzierungsstatistiken nicht Zahlen bringen dürften, die im Budget nicht nachvollziehbar wären. So erzürnten sich 1993 die burgenländische Kulturlandesrätin Krammer und der Tiroler Kulturlandesrat Astl unabhängig voneinander, als ihnen Zahlen ihres jeweiligen Kulturberichtes vorgelegt und bewertet wurden (u.a. wieviel Prozent der jeweiligen Landeshaushalte für neuere kulturelle Formen zur Verfügung stehen). Alles nicht wahr, lautete die Antwort, eigentlich müsse man noch das und das dazurechnen. Transparenz oder Verschleierung?

Klarer sprechen die Zahlen, die die Kulturorganisationen selbst vorlegen: Eine Studie des Niederösterreichischen Kulturnetzes aus dem Jahr 1994 ergibt, daß von 150 Kulturvereinen im Land bei der Landesregierung um 40 Mio. Schilling angesucht wurde. Ausgezahlt wurden zehn. Allein in NÖ repräsentiert die in diesen Vereinen ehrenamtlich geleistete Arbeit, berechnet man die Arbeitsstunde mit ÖS 150,-, einen Betrag von 37,5 Mio. Wo ist die Diskussion, wie man mit diesem Mißverhältnis umgeht? Die Organisationen sind ja nicht aus Jux und Tollerei entstanden, sondern weil es den konkreten Bedarf an kontinuierlicher Kulturarbeit von Seiten der Bevölkerung gibt. Daß man sich darum nicht eher gekümmert hat, ist ein Versäumnis der Politik. Daß man jetzt Konzepte entwickeln muß, wie man diese Organisationen, die anerkannt wichtige Tätigkeiten für ein Gemeinwesen anbieten, am Leben erhält, wie man sie im Rahmen einer mittelfristig ausgelegten Planung auf ein realistisches Fördermaß bringt, von dieser Aufgabe drücken sich Kulturpolitiker zwischen Rhein und Neusiedlersee.

Kulturpolitische Diskussion in Österreich

Wie geht man nun in Österreich mit kulturpolitischen Entwicklungen um? Eine intensive Diskussion bzw. einen kontinuierlichen Diskurs gibt es in Politik und Verwaltung nicht. Die Aktivisten hält man, um es mit Achternbusch zu sagen, auf der Höhe der Todesangst. Gelungenen Aktionen wie z.B. die 1991 erfolgte Installierung einer neuen Abteilung in der Kunstsektion des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst, die ausschließlich für Kulturinitiativen und regionale Kulturentwicklung zuständig ist, werden schnell durch andere Maßnahmen wie z.B. das Wegfallen von Beschäftigungsverhältnissen durch die AMV oder konzeptlose Sparmaßnahmen von Seiten inkompetenter Stadt- oder Landpolitiker kompensiert. Die angedrohte Einsparung von Jobs im Rahmen der Aktion »Lehrer in der Erwachsenenbildung« (Bundesministerium für Unterricht) wird heuer wieder einigen kulturellen Organisationen das Genick brechen.

Ermutigende Beispiele finden sich selten, etwa in Salzburg, wo Kulturlandesrat Raus zusätzliche Budgetmillionen lockermacht, um Defizite der Stadt abzufedern, oder Oberösterreich, wo Ex - Landeshauptmann Ratzenböck als Kulturreferent die Grundlagen für eine blühende Kulturinitiativenszene gelegt hat.

Im Mai 1993 veranstaltete die deutsche »Kulturpolitische Gesellschaft » in Dortmund unter dem Titel »Blick zurück nach vorn« den im deutschsprachigen Raum sicher größten Kongreß zur Zukunft der Kulturpolitik. Vier Tage wurden in Arbeitskreisen Themen wie »Kultur, Ökonomie und öffentliche Haushalte«, »Kulturpolitik und Stadtentwicklung«, »Management und Steuerung der Kulturverwaltung«, »Arbeit - Markt - Kultur«, »Modelle bürgernaher Kulturarbeit« und v.a. behandelt. Unter den 300 akkreditierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern waren drei aus Österreich zu finden, obwohl die Veranstaltung auch in unseren Breiten beworben wurde. Intensive Planungs- oder Kopfarbeit ist bei uns nicht so gefragt. Bei uns tritt man leiser. So artikuliert die Vorsitzende der österreichischen Gesellschaft für Kulturpolitik, Hilde Hawlicek, in ihrem Schlußwort beim Kulturtag ‘94: »Zum Abschluß richten wir an alle Kulturpolitiker und Kulturkritiker den Appell, mehr auf der Seite der Kulturschaffenden zu sein». In Österreich muß man sich selbst darüber freuen.