jänner-februar 1999

Doc Holliday
geschaut

Glam Rock

Stardust Memories 1970-74

Die unglaubliche Rückkehr der Glitter- und Zwitterwesen und die Geburt der Schwulenbewegung aus Ekstase und Extravaganz.

Die kannibalistische, permanent sich-selbst-verschlingende Maschine »Popkultur« hat wieder einmal etwas ausgeschieden: den GLAM-Rock. Glam bedeutete mehr als extravagante, ausgeflippte Gewandungen, halsbrecherische Plateauschuhe und eine angeblich minderwertige, weil simple Teenybopper-Musik - wie uns in den 70ern die Hohenpriester der Hippie-Ideologie oder Ö3 weismachen wollten. Der Film »VELVET GOLDMINE« ist nun der Versuch einer Aufarbeitung und Wiederentdeckung dieser verlorenen Episode mit ihrem maßlosen Stilwillen und den revolutionären Begierden.

Aus den Transistorradios, die auf Radio Luxemburg getunt und unter der Bettdecke versteckt waren, kam Anfang 1971 ein frischer Sound: es begann mit dem Klang einer Sirene. Was danach folgte war im Prinzip ein 12-taktiger Blues. Aber ein Ohrwurm der Extraklasse, wie er nur alle heiligen Zeiten geschrieben wird: »Hot Love« von T. REX. Marc Bolan, der Sänger, Gitarrist und Mastermind, hatte zwar schon im Herbst 1970 mit »Ride A White Swan«, einer zweieinhalbminütigen Mischung aus Kinderlied und Neo-Rockabilly, einen großen Hit, aber der wirkliche Durchbruch gelang ihm damals noch nicht. Den besorgte ein BBC-TV-Auftritt in der Hitparadenshow »Top Of The Pops« 1971, bzw. im ARD-»Beat Club« und in Ilja Richters (damals noch nicht so peinlicher) »disco«-Sendung. Bolans Provokation bestand im Aussehen: ein androgy-nes Fabelwesen im Glitzerkostüm mit Make-Up, Satinhosen und Federboa, von dem man nicht genau sagen konnte, ob es männlich oder weiblich war. Etwa zeitgleich nahm einer seiner Freunde eine ähnliche Entwicklung: DAVID BOWIE. Beide hatten ihre Karriere in den 60ern mit ungehobelten Coverversionen von Rhythm & Blues- und Soul-Songs in der britischen Mod-Szene begonnen, waren dann in der zweiten Hälfte der Dekade mit einem ruhigen, sanften Hippie-Folk ins Fantasy-Land, wo Elfen, Gnome und andere Trolls sich stunden- lang am Duft der Räucherstäbchen ergötzen können, entschwebt. Bereits 1970 kokettierte Bowie mit der Homo-/Bisexualität: auf dem Cover seiner LP »The Man Who Sold The World« posierte er in Frauenkleidern. 1971 veröffentlichte er die LP »Hunky Dory«. Noch vorwiegend unverstärkt aufgenommen, weisen Titel und Themen, beeinflußt von Andy Warhol und Velvet Under- ground, bereits in eine andere Epoche. Das folgende Meisterwerk »The Rise And Fall Of Ziggy Stardust« (72) etablierte den Sound und das Image des Glam-Rock endgültig. Musiker und Texte waren »verkleidet« und künstlich. Bowie erfand sich als Ziggy Stardust neu: ein Außerirdischer, der auf die Erde kommt, um den Rock zu retten. Science Fiction als Methode, um konkrete gesellschaftliche Realität zu ironisieren und zu kritisieren. Wie in Stanley Kubricks Film »Clockwork Orange« (71), dessen visueller Stil vom Glam-Rock begeistert aufgenommen wurde. Die meisten von Bowies Liveauftritten begannen 1972 mit Walter Carlos elektronischer Version von Beethovens »Ode an die Freude«, der Musik aus »Clockwork Orange«! Höhepunkt der Show (im wahrsten Sinn des Wortes) bildete Ziggys Kniefall vor Mick Ronson und der Versuch dessen Gitarre in ein Blasinstrument umzufunktionieren. Freud schau oba! Aufgemerkt hatte Ende der 70er/Anfang der 80er auch die geniale Linzer Punk-Combo WILLI WARMA, die diese Eindeutigkeit gern zur Version des STOOGES-Hits »I Wanna Be Your Dog« überkam. Bowie über Ziggy: »Man muß den Star erst spielen, bevor man einer wird.« Am Ende der Ziggy-LP (und knappe zwei Jahre später auf der Bühne) inszenierte Bowie den Tod seines Protagonisten.

Geistiger Ahnherr des Glam ist der 1854 in Dublin geborene Oscar Wilde. Auf den Sozialcharakter des Dandy gründet sich das Spiel mit Masken und Moden, die Lust an der Pose, der Wechsel von Identitäten. Mit diesem Kult um seine Person schockierte Wilde die Zeitgenossen. Seine romantische Dekadenz richtete sich gegen alles »Natürliche«, so wie Glam sich wider den Authentizitätswahn der 60er Jahre-Rockmusik auflehnte. Damit wurde Glam der erste eigenständige Popstil der 70er. Auch in der Musik spiegelt sich eine Veränderung wieder. Der Sound ist melodisch, manchmal ziemlich verschnörkelt, aber weniger glatt und geschniegelt. Eine urbritische Tradition des Variete verbindet sich mit einer Rückbesinnung auf die Wurzeln des Rock`n`Roll. Kurze, direkte Songs, wie sie etwa von MOTT THE HOOPLE perfektioniert wurden. Anfänglich waren sie eine Hard-Rock-Band, ehe Bowie die Glam-Hymne »All The Young Dudes« für sie komponierte. Ihr »ladism«, das spezielle Zusammengehörigkeitsgefühl, speiste sich aus der proletarischen Herkunft, und auch ihre Fans stammten vorwiegend aus der Arbeiterklasse. Damit besorgte Mott, gemeinsam mit den Fußstampfern von SLADE, und den Ex-Bubblegum-Automaten-Poppern SWEET, den Soundtrack für die Fußball-Hooligans jener Zeit! ROXY MUSIC war eine Art-Rock-Band, zu deren vielfältigen Einflüssen Jacques Brel, 50er Rock`n`Roll, Hollywood und Krautrock zählten. Aus den USA kam der »Schock-Rock« eines ALICE COOPER, der Transvestismus der NEW YORK DOLLS, LOU REED (der tatsächlich mit Bowie ein Gspusi hatte, und dem auch RONSON die Gitarren-Handarbeit erledigte) und IGGY POP, der Apostel der Exzesse. Ihm kommt im mit Thrillerelementen angereicherten Rockmusical »Velvet Goldmine« eine tragende Rolle zu.

Die Essenz von Glam bilden Sex, Drogen, Hedonismus, Identitätsexperimente, Egozentrik und Rock`n`Roll. Die Botschaft lautet: nichts ist eindeutig. Alles soll ausprobiert werden. Darin liegt ein emanzipatorisches Element, das das Coming Out der selbstbewußten Schwulenbewegung in den 70ern forcierte, das aber auch Heteros in der Gegenwart gut stehen würde.