jänner-februar 1999

Doc Holliday
zu gast

Adrian Sherwood & Friends: We Are Family

»Das ist meine erste richtige Tour«, meint Adrian Sherwood fast entschuldigend. Man glaubt es kaum. Schließlich ist der bescheidene Engländer seit über 20 Jahren im Musikgeschäft. »Natürlich hatte ich schon früher immer wieder mal Auftritte als Live-Mixer. Aber da war ich nicht wochenlang in einem Kleinbus quer durch ganz Europa unterwegs.« Beim ersten Besuch in der Mozartstadt trifft der Mixmaster zwei alte Musikerkumpel: den Schlagzeuger Will Calhoun und den Bassisten Doug Wimbish. Die gastierten am Vorabend als Jungle Funk im Rockhouse. Beim Besuch des dortigen Häusls sprang ihnen das »House Of Dub«-Plakat ins Gesicht und da waren sie gleich zweimal erleichtert. Good Old Adrian hatten sie schon länger nicht mehr gesehen, also wurde die Gunst der Stunde in Form des auftrittsfreien nächsten Tages genutzt und der Salzburg-Aufenthalt verlängert. Man kennt und schätzt sich schon lange. Zusammen mit Skip McDonald und Keith LeBlanc arbeiten Wimbish und Calhoun seit gut 13 Jahren immer wieder mit Sherwood und dessen On-U Sound-Label zusammen. Den Status als Legenden der Popgeschichte haben sich die vier New Yorker schon in den 70ern erworben: sie spielten in den Hausbands der ersten Rap-Crews, Sugarhill Gang und Grandmaster Flash. Sherwood ist ein ausgesprochener Familienmensch. Dazu gehören seine geliebten Kids und sein Label, das er wie einen großen Familienbetrieb führt. Also beherbergt er im Nord-Londoner Haus bisweilen 30 Musiker. Sherwood ist mit fast allen gut befreundet, legt aber gleichzeitig großen Wert auf korrekte Arbeitsbeziehungen. »Ich will ja, daß sie für mich arbeiten, also muß ich auch alle ordentlich bezahlen.«

Vor dem ARGE-Auftritt stärkt sich ein Teil der Truppe, darunter der Londoner MC und DJ Navigator, der ein Freund des berühmten Drum & Bass-Stars Goldie ist, Sherwood, die New York-Connection und meine Wenigkeit beim SAK-Chinesen. Das paßt gleich in mehrfacher Hinsicht. Eröffnet es doch die Möglichkeit über Geschäft, Kunst und Privates zu quatschen. Calhoun hat McDonald zuletzt am Flughafen in L.A. getroffen. In einigen Wochen bekommt man Kohle für eine Studio-Arbeit. Fucking Goldie casht für eine Stunde Plattenauflegen in London 10.000 Pfund ab usw. Neben Musik und Familie hat Sherwood nur noch eine Passion: kommt das Gespräch auf Fußball, beginnen seine Augen zu glänzen. Der bekennende West Ham United-Fan besucht mit Kids und Walkman (»zum Aufnehmen der Gesänge«) noch immer gern die Matches. »Obwohl es so teuer geworden ist, daß man es sich fast nicht mehr leisten kann.« Nirgendwo auf der Welt ist die Kommerzialisierung des Fußballs so weit fortgeschritten wie in England. Die Amis hat er auch schon mit dem Ballfieber infiziert. Wimbish: »Am Anfang war das ein richtiger Kulturschock, aber die Atmosphäre war überwältigend. Auch wenn ich zuerst nur auf den gegnerischen Fanblock starren konnte, die zwei Stunden lang »You`ll Never Make It To The Station« sangen. Aber bereits 1990 war ich mit Adrian bei der WM in Italien.« Dagegen ist ein Ausflug in der südlichen Bronx ein Kuraufenthalt.