mai 1995

Didi Neidhart
gelesen

Klaus Theweleit: Das Land, das Ausland heißt

Essays, Reden, Interwiews zu Politik und Kunst

Ich weiß nicht, ob man es nur Zufall (oder noch schlimmer »Schicksal«) nennen kann, daß 1977, in dem Jahr, in dem sich »Deutschland im Herbst« befand, nicht nur Theweleits bahnbrechende Analyse über den Faschimus und die von ihm produzierten bzw. ihn produzierenden Körper- und Geschlechterbilder »Männerphantasien« erschien, sondern auch Punk so richtig zum Passieren anfing und der Merve Verlag ein kleines Büchlein (mit jedoch hochexplosivem Inhalt) von Deleuze/ Guattari namens »Rhizom« veröffentlichte. Drei tektonische Beben, die nicht nur in einem Gebiet massivste Veränderungen hinterlassen haben (neue Brüche, Aufschichtungen, Faltungen, das Offenlegen verborgener Schichten, das Schaffen einer Situation permanenter Bebentätigkeit). Es sind Theorien/Subkulturen, die nicht nur das Gehirnschmalz etwas ölen und zu anderen Fließrichtungen veranlassen. Es geht nicht, sich dabei geistig zu »entkörperlichen«, weil der Körper (der eigene/fremde) hier das Feld ideologischer Beschreibungen/Schlachten/Konstruktionen/Machtverhältnisse ist. Und eine Qualität von Klaus Theweleit ist es, einem dabei im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut zu gehen. Nicht nur die Gehirnzellen, alle Zellen des Körpers sollen sich angesprochen fühlen.

Der gerade jetzt veröffentlichte Sammelband mit Arbeiten aus den Jahren 1988 bis 1993 erscheint aber auch zu einem markanten Zeitpunkt. Und das ist gut so. Betrachtet man nur all die staatlichen und institutionellen »Peinlichkeiten« (der »Herr Karl« als real existierender Zustand von Politik) bezüglich 1945, wird schnell klar, daß man dazu nicht einfach »potschert« sagen kann.

»Ich habe vergessen. Wenn Sie nicht vergessen haben, ist das Ihre Sache. Ich jedenfalls habe vergessen«, sagt Klaus Barbie zu Marcel Ophuls in dessen Film »Hotel Terminus«. Dieser Satz ist der Angelpunkt eines der zentralen Teile des Bandes, in dem Theweleit der »deutschen (und wohl auch österreichischen) Art, (k)ein Gedächtnis zu haben«, nachgeht und die Frage stellt, ob Nazi-Verbrecher bewußt Lügen erzählen oder ob sie dort, wo eigentlich das Gedächtnis sein müßte, »Amputationsstellen« haben. Nicht die Verdrängung von Geschichte ist das Problem, sondern deren Löschung. Und die funktioniert durchaus selektiv. »Es hat doch tatsächlich niemand vergessen, welches Stück Land und welches Haus ihm mal gehört hat im Osten.«

Dagegen wird Erinnerungsarbeit in den Werken von Ophuls, Lanzmann (»Shoah«), Duras gestellt und deren »Schaffung eines Raumes für Re-Inszenierung«, eines Raumes aus »Damals« und »Jetzt«, der die Möglichkeiten dafür schafft, über die Beziehungen zu sprechen, »die ein Körper mit einer Geschichte (...) zu unseren Körpern und unserer Geschichte haben kann.«

So entwirft Theweleit auch anhand des Mauerfalls eine Psycho-Kartographie Deutschlands, die zeigt, wie dieser einst »durch die Mauer von der Geschichte abgetrennte Körper« versucht, wieder heil zu werden, ohne dabei allzuviel Unangenemes der eigenen Geschichte aus den Wunden fließen zu lassen, und er zeigt den Zusammenhang zwischen der »institutionellen Herstellung des Männerkörpers« und der »Selbstbenennung männlicher Gewalt-Tätigkeiten als Geburten«.

Was hier verkürzt etwas naseweis klingen mag, liest sich jedoch auf einer regelrecht sinnlichen Ebene (die nicht mit gefühlsduseliger Betroffenheit verwechselt werden darf). Der Autor nimmt weder sich noch seine Leser aus dem Netz heraus, das die Texte und ihre Sprache bilden. Man lese sich nur die wunderschöne Hommage »Rock For Grown-Ups. Jimi Hendrix zum Fünfzigsten« durch.

Kurz: Dieser »kleine« Theweleit ist die ideale Zwischenlektüre für die zwei gerade erschienenen Bände »Buch der Könige«. Er sei aber auch mit Nachdruck empfohlen.

KLAUS THEWELEIT

Das Land, das Ausland heißt

Essays, Reden, Interviews zu

Politik und Kunst

dtv 1995, 202 S., öS 155.-

Übrigens wird Klaus Theweleit am 22. Juni im Kulturgelände Nonntal zu Gast sein. Näheres dazu im Juni-kunstfehler.