mai 1995

Didi Neidhart
im gespräch

»Wenn der Antifaschismus zu kompliziert wird, will ihn keiner mehr haben.«

Ein Gespräch mit Georg Seeßlen über dessen neues Buch »Tanz den Adolf Hitler. Faschismus und Populärkultur«

Im Wintersemester 1994/95 hielt der Autor am hiesigen Institut für Publizistik eine Vorlesung über populäre Kultur ab, die nicht nur als Verstärkung für das spärliche Häufchen jener, die nun endlich auch bei uns die anglo-amerikanischen cultural studies-Diskurs-Felder auf universitärem Boden bepflanzen, beschrieben werden kann, sondern uns auch die Gelegenheit zu einem Gespräch gab.

Wer nun glaubt, der Buchtitel (ein Song der Deutsch-Amerikanischen-Freundschaft, kurz DAF genannt) sei nur ironisch gemeint und es gibt etwas Futter für beliebte Vorurteile (von Punk bis Techno - alles nur faschistoide Entartungen des Mythos »Jugendkultur«), der hat sich gehörig geschnitten. Angefangen von autobiographischen Notizen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit (die imaginären Westernlandschaften als Fluchtlinien aus dem realen Deutschland) über den »Mythos der Entschuldigung« und die »verbotenen und unschuldigen« Bildern der Ufa-Filme (inklusive deren Rehabilitierungsversuche unter der Regierung Kohl) bis hin zu Comics, Fortsetzungsromanen und der jüngeren Popgeschichte zeigt Seeßlen, gleichermaßen als Fan wie als Diskurs-Analytiker (zwei Pole, die im deutschsprachigen Raum immer noch viel zu selten ein Produktionsteam bilden), welches Potential in der populären Kultur (auch bezüglich dieses Themas) steckt, hat man sie erst einmal als »komplexe Sprache« und Feld von Möglichkeiten kapiert. Die Pop-Kultur ist zwiespältig, disparat und ambivalent, kann aber gerade deshalb auch immer wieder Gegenentwürfe aus sich heraus liefern.

• Beim Musikteil geht es um zwei Sachen: Was passierte in einem DAF-Konzert und wie schrieb darüber die Mainstream-Kultur? Was beim Konzert an Ambivalenzen und auch selbst-analytischer Inszenierung da war, war in der Mainstream-Presse etwas ganz Eindeutiges: Fascho-Musik. D.h., dieses Gefühl, mit den Zeichen und den Ritualen, mit den Ideologien und den Worten ganz frei umgehen zu können, um zu schauen, was löst das denn bei mir und bei anderen aus, funktioniert nur innerhalb der Subkulturen selber, aber nicht mehr, wenn es in die Mainstreamkultur gelangt.

Die Skins sind für Sie eine Subkultur, die diese Gefahr der Transformation nicht zu fürchen braucht.

• Ja. Das sieht man sehr genau bei ihrer Körperinszenierung. Da ist einfach nichts mehr ambivalent. Und genau da richten sie sich auch gegen etwas, das in der Popkultur immer massiv vertreten war und nicht zuletzt das Wesen einer Jugendbewegung definiert: das Vertauschen von Geschlechterrollen, das Wechseln von Identitäten, um gerade nicht vom Mainstream identifiziert zu werden. Solche Ambivalenzen sind ungefähr das Schlimmste, was sich ein Skin vorstellen kann.

Der Begriff der »Faschisierung der Wahrnehmung« spielt bei Ihnen, quer durch das Buch, eine große Rolle. Besonders in Hinblick auf das Versagen traditioneller Muster und Strukturen der klassischen Aufklärung und des Anti-Faschismus.

• Im Grunde sitzen wir da in einer Beziehungsfalle. Wir haben eine Mainstream-Kultur, die es geschafft hat, den Faschismus in sich aufzunehmen und die dabei nicht gleichzeitig völlig faschistisch geworden ist und auf der zweite Ebene diese wahnsinnig komplizierte und genialische Entschuldigungskultur, die sich ihr Leben mit dem Faschismus durch Abbildungsverbote - der Faschismus ist so schrecklich, daß man sich das gar nicht vorstellen kann - , Sprechverbote und Misch-Masch-Mythen gut eingerichtet hat. Dabei wird davon ausgegangen, daß der Faschismus etwas war, das man greifen kann. Aber das war er nicht. Der Faschismus war 1000 verschiedene, widersprüchliche Sachen.

Sozusagen die erste postmoderne Bewegung. Zwischen Revolte und Reaktion, Modernismus und Barbarei.

• Das könnte man, etwas zynisch überspitzt, so sagen. Nur diesen Aspekt der Revolte dingfest zu machen, ist eines der schwierigsten Unterehmen überhaupt, weil da auch alle Vorstellungen von moralischen Eindeutigkeiten über den Haufen geworfen werden. Aber ich erlebe immer wieder bei Diskussionen, wenn ich bezüglich der Übernahme faschisierter Wahrnehmungen von »Wir« spreche, daß dann jemand aufsteht und sagt, ja ich übernehme die doch nicht, ich mach doch hier meine antifaschistische Arbeit. Dabei wird vergessen, daß man in einer Kultur wie ein Fisch im Wasser lebt. Man muß fähig sein, sich auf Widersprüche einzulassen.

Danke für das Gespräch.

Georg Seeßlen: Tanz den Adolf Hitler. Faschismus in der populären Kultur. Tiamat 1994, 189 S., ca. 225 öS

Georg Seeßlen, geb. 1948, Mitherausgeber und Autor der zehn Bände »Grundlagen des populären Films« (Rowohlt). Buchveröffentlichungen u.a. »Volkstümlichkeit. Über die gnadenlose Gemütlichkeit im neuen Deutschland« (Greiz 1993), »David Lynch und seine Filme« (Schüren 1994). Schreibt für konkret, epd film, Die Zeit u.a.

Der zweite Band von »Tanz den Adolf Hitler« (u.a. über den Holocaust als Soap Opera, Spielbergs »Schindlers Liste«, Art Spiegelmanns »Maus«, das Feuilleton der neuen Rechten) erscheint voraussichtlich Anfang 1996