mai 1995

Thomas Neuhold

Serbische Kollektivschuld

Vor einem Salzburger Gericht findet Europas erster Kriegsverbrecherprozeß seit Nürnberg statt.

Daß es sich bei Politik und Krieg oft um die Fortsetzung des jeweils anderen mit verschiedenen Mitteln handelt, hat die Weltgeschichte blutig bewiesen. Daß die Justiz zur Fortsetzung eines Krieges herhält, ist seltener, aber ebenfalls nicht ganz neu. Ziemlich einmalig ist freilich, wenn die Frau Justitia aus einem unbeteiligten Drittland stammt und von dort aus ihr Schwert schwingt. Der Salzburger Kriegsverbrecherprozeß, bei dem sich der 27jährige bosnische Serbe Dusko Cvjetkovic seit Oktober 1994 wegen Völkermord, Mord und Brandstiftung, begangen 1992 im Ort Kucice, vor einem Geschworenengericht verantworten muß, ist so ein Fall.

Es soll hier nicht erörtert werden, warum angebliche oder tatsächliche serbische Kriegsverbrechen ausgerechnet in Österreich verhandelt werden oder warum Österreich zwar internationale Abkommen ratifiziert, aber keinerlei Auslieferungsbestimmungen an das »Internationale Kriegsverbrecher-Tribunal für Jugo-slawien« in Den Haag erlassen hat.

Es sollen hier auch nicht die Salzburger Berufsrichter, denen das auf 29. Mai vertagte Verfahren per OGH-Beschluß aufgedrängt wurde, kritisiert werden. Im Gegenteil, die Richter haben sich im Verfahren überaus fair verhalten.

Die Causa des Serben, der nunmehr seit knapp einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt, kann aber sehr wohl als Beispiel dafür genommen werden, wie weit die Vorstellung einer serbischen Kollektivschuld hierzulande bereits verankert ist, wie wirkungsvoll die von Regierung wie Medien betriebene Serbenhatz ist.

Da sind einmal die tendenziösen Erhebungen: »Und übrig blieb das Bild von Ermittlungsbehörden wie aus einer Bananenrepublik. Da fällt es einem Beamten der Sicherheitsdirektion erst bei der zweiten Vernehmung des Kronzeugen auf, daß dieser kaum Deutsch versteht. Da fertigt ein Kriminalist ein Protokoll an, in dem der Kronzeuge behauptet, er selbst habe die Festnahme seines Bruders gesehen. Ein paar Zeilen weiter erzählt er, er habe dies von einem Nachbarn erfahren.«

Nachzulesen sind diese Zeilen nicht etwa in einer regierungsnahen Belgrader Zeitung, sondern in der ÖVP-Parteizeitung SVZ vom 21. Oktober 1994. Der SVZ-Prozeßberichterstatter hat recht. Aufgrund einer (in sich widersprüchlichen) Anzeige eines einzigen (!) moslemischen Bosniers wurde ein bosnischer Serbe verhaftet und in U-Haft genommen. Unwillkürlich drängt sich die Frage auf, was wäre umgekehrt, würde ein Serbe einen Moslem anzeigen?

Dann die beschämende Anklage - lesen wir erneut in der SVZ nach: »Es soll hier weder für noch gegen den Serben gesprochen werden. Aber eine Anklage, die sich an einen einzigen wackligen Strohhalm klammert, dürfte es schon gegen einen kleinen Taschendieb nicht geben - erst recht nicht gegen einen angeblichen Völkermörder.«

So haben die Behörden wiederholt mit einer »Kriegsverbrecherliste« argumentiert. Diese Aufstellung von 60 Namen entpuppte sich nach umfassender Recherche der Verteidigung und peinlicher Befragung als von moslemischen Bosniern angefertigter Auszug des Melderegisters, in dem alle männlichen Serben (!) im Alter von 16 bis 60 Jahren aus dem Dorf Kucice angeführt wurden.

Schließlich das groteske Fehlurteil: In der ersten Hauptverhandlung 1994 sprachen die Geschworenen den Angeklagten Cvjetkovic in den Hauptanklagepunkten Mord und Brandschatzung frei. Auch könne der Angeklagte kein »Völkermörder« sein, da ethnische Säuberungen im Dorf Kucice nicht nachweisbar wären, so die Laienrichter vergangenes Jahr. So weit so gut, nur war den Repräsentanten des österreichischen Volkes die Vorstellung eines unschuldigen Serben dann doch nicht geheuer. Der in Österreich staatstragende antiserbische Reflex war wieder da: Obwohl sie einstimmig festgestellt hatten, daß keine ethnischen Säuberungen feststellbar wären, befanden sie Cvjetkovic an eben diesen der Beitragstäterschaft für schuldig. Richter Eckehard Ziesel hob dieses Kollektivschuld-Urteil mit der Begründung »offensichtlicher Irrtum« auf. Das Verfahren mußte im April mit einem anderen Berufsrichter und neuen Geschworenen von vorne beginnen.

Übrig bleibt das flaue Gefühl, daß in einem österreichischen Gerichtssaal ein Bürgerkrieg zwischen zwei Volksgruppen fortgesetzt wird. Österreich hat in diesem Krieg in Form seiner Außenpolitik und der Berichterstattung in den wichtigsten Medien seit Jahren Partei ergriffen. Jetzt wird der Kreuzzug gegen Belgrad auch in den Gerichtssaal getragen.