mai 1995

GastautorIn

Kind eines Mörders

Ein Brief und seine Folgen

»Wenn alle untreu werden,

dann bleiben wir noch treu,

Gefährten unserer Jugend,

Bildner einer bessren Zeit,

die uns zu meiner Tugend

und Liebestod geweiht...«

...so lauten die Anfangszeilen eines Liedes, das alljährlich am Salzburger Kommunalfriedhof pünktlich zu Allerheiligen von der Kameradschaft IV abgesungen wird. Ab und an stiftet die SS den Kranz dazu mit der Aufschrift: »Den gefallenen Kameraden der Waffen-SS«.

Doch nicht das wiederkehrende Ritual vor dem Kriegerdenkmal sorgte für heftige Auseinandersetzung, die entzündete sich erst am Abschneiden der Kranzschleife durch den Künstler Wolfram Kastner und der Erhebung zum Ausstellungsgegenstand in der Galerie 5020 im November ‘94. Das Nachspiel: Strafverfolgung für den »Friedhoffrevler« und eine nicht enden wollende Serie an Leserbriefen in den Salzburger Nachrichten.

Nur ein einziger von diesen zeitigte an die dreißig Reaktionen, manche davon zustimmend und berührend, deren Großteil - und von denen soll hier die Rede sein - ablehnend bis wütend. Doch zunächst der auslösende Leserbrief selbst:

10.12.94

Opfer und Täter - wem wird hier gedacht? (...)

Dazu die Antwort des Herrn Dr. Sexlinger (Obmann der Kameradschaft IV; Anm. C.P.): ...Die Gefallenen waren Kriegsopfer.

Ja, in der Tat, das sind sie, sie haben schreckliche Opfer gebracht. Aber wem? Wer hat diese entsetzliche Sinnlosigkeit verlangt, wer hat denn den Einsatz ihres Lebens gefordert? Das war doch gerade diese Waffen-SS, der militärische Arm eines Regimes, dessen Grausamkeit kaum zu beschreiben ist. Dafür und für nichts sonst haben sie ihr Leben geopfert, haben sie sich zum Mordinstrument degradieren lassen. Freiwillig, wie Herr Dr. Sexlinger betont, blinde Eiferer in der Tat - furchtbar blind (die Waffen-SS hat ab 1.5.43 auch zwangsrekrutiert; Anm. C.P.). Und in diesem Sinne und nur in diesem Sinne sind sie Opfer. Das zu bedenken wäre mehr als angebracht und hätte einen größeren Rahmen verdient. Aber dann stünde auf der fraglichen Schleife: Wir trauern um die OPFER DER WAFFEN-SS. Denn die KAMERADEN DER WAFFEN-SS selbst haben keine Opfer zu beklagen, sie waren die, die solche verlangt haben. Es sind diese Täter und Mörder, derer hier gedacht wird - seit 40 Jahren, ohne daß es jemanden gestört hätte (...).

Mag. Christine Pramhas

Straubingerstr. 8, 5020 Salzburg

Reaktionen:

11.12.94:

»So etwas Dreckiges und Hundsgemeines wie Sie, Soldaten als Mörder hinzustellen...«

(Telefonat, anonym)

11.12.94:

»... in Ihrem Leserbrief ... glauben Sie auch noch berechtigt zu sein, zu argumentieren, daß »diese Waffen-SS der militärische Arm eines Regimes, dessen Grausamkeit kaum zu beschreiben ist«, war. Ganz abgesehen davon, daß Sie die »unbeschreiblichen Grausamkeiten« kaum erlebt haben können und Sie auch nicht den geringsten Überblick über die Menschheitsgeschichte besitzen, die wie ein Strom aus Blut durch die Jahrtausende fließt, haben die Mitglieder der Waffen SS i h r Leben gelassen, während die vielen Nutznießer dieser Demokratie als Täter für ihre Unersättlichkeit das Volk opfern und grausam belügen; die sterben nicht für ihre Ideale, nein, sie lassen ein ganzes Volk sterben!!!

Um all die regelrecht grausamen Mißstände der Jetztzeit zu verschleiern, wird dauernd in der schon ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Nazizeit herumgestochert und wie schon vor beinahe 60 Jahren nach Nazis gesucht, anstatt sinnvolle Ordnung zu schaffen.

(Fr. B., Salzburg)

12.12.94:

»... gehe ich recht in der Annahme, daß Sie eine Spätgeborene sind? (...) Ich persönlich habe höchst ungern in Hitlers Wehrmacht gedient und da mir ein demoliertes Bein und eine längere Gefrangenschaft zuteil geworden ist, liegt es mir unendlich ferne, den Braunauer und seinen Unrechtsstaat zu verteidigen. (...) Aber es gehört zu den Tugenden unserer Fortschrittlichen, allein auf die Ungeister von vorgestern zu starren und den Ungeist der Gegenwart in Demut zu ertragen...

Mit Verlaub, Frau Magister: Sind wir überhaupt noch zu retten?«

(ohne Absender, Unterschrift unleserlich, Linz)

Ein kleiner Ausschnitt aus den Reaktionen, die sich über Wochen hinzogen. Man weiß, was davon zu halten ist - oder doch nicht? Vielleicht lohnt sich ein zweiter Blick auf die Antworten vom anderen Rand des politischen Marktes, auch wenn er einem lieber fremd bliebe, sicher verpackt in ein hundertprozentiges antifaschistisches Urteil.

Es sind heftige, wütende und anscheinend nötige Antworten, die etwas zum Ziel haben, das so nicht geschrieben, gesagt, gedacht werden darf: ein paar Zeilen, die die Schuld am Morden, die Schuld an den Opfern und auch und gerade die Schuld an den eigenen Opfern an einem unmöglichen Ort festmachen:

»Das war doch gerade diese Waffen-SS...«

Die Gleichzeitigkeit von Opfer- und Täterschaft scheint undenkbar. Wer dabei war, war Opfer und nur Opfer - und zwar das des ANDEREN, aber niemals Täter, Mörder, williges Werkzeug seiner Vorgesetzten, Instrument einer tödlichen Ideologie. Eine Treue, die gehalten wird, immer noch. Wer sie nicht bricht, bleibt »Kamerad«, bleibt Täter.

»Die Waffen-SS selbst«, die unmöglichen Schuldigen an den Opfern und am Tod der eigenen Leute. Dorthin also soll der Blick sich nicht richten. Tut er es doch, wird er zunächst denunziert: als »spätgeborener«, »nicht dabeigewesener«, also »unwissender« - ein blinder Blick ohne jedes Recht, ein solches Urteil zu fällen (Nur wer lobt, darf sehen).

Oder es heißt: »...es gehört zu den Tugenden unserer Fortschrittlichen, allein auf die Ungeister von vorgestern zu starren und den Ungeist der Gegenwart in Demut zu ertragen...« oder: »um all die regelrecht grausamen Mißstände der Jetztzeit zu verschleiern, wird dauernd in der schon ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Nazizeit herumgestochert...« oder der spätgeborene Blick trifft auf eine »Menschheitsgeschichte, die wie ein Strom aus Blut durch die Jahrtausende fließt« - ein Strom aus Blut, in dem alles gleich wird und keine Spur mehr erkennbar wäre als die eigene - blutige.

Damit also soll abgelenkt , der allzu forschende Blick gebannt werden: mit anderen Bildern, ungerechten, gegenwärtigen, grausamen, damit er dorthin nicht fällt, wo alles bekannt und blutsverwandt wird, wo das eigene Leben, der eigene Mann, der eigene Vater verstrickt ist in eine Unzeit, an die lieber nicht zu denken ist. Ein Chor, der abwehrt und ruft: Anderswo, anderswo sitzen die grausamen Täter, nicht hier, nicht bei uns.

Einer spricht aus, wem dieser wütende Schutzwall gilt, wem die Treue zu halten ist und warum ein Krieg nicht zu Ende geht - über Generationen hinweg:

»Es spricht von einer großen Dummheit oder Gemeinheit, wenn man immer VÄTER als MÖRDER bezeichnet. Wenn sie im Krieg nicht umgekommen oder in russischer Gefangenschaft nicht verhungerten oder erschlagen wurden, so bauten sie das Land wieder auf. Wenn diese MÄNNER nicht gewesen wären, so wäre es heute noch nicht möglich, daß so ein hirnloses ETWAS, wie Sie, 25 Jahre in die Schule gehen könnte. Sie haben nur diesen Staat ausgenützt, haben nichts beigetragen, haben daher kein Recht ihn zu kritisieren.«

Kein Wort über Väter im Leserbrief, umso deutlicher der Hinweis in der Antwort: »...wenn man immer VÄTER als MÖRDER bezeichnet...«

Ein Mörder der eigene Vater! Wer möchte davon schon wissen. Wer glaubte da nicht lieber an die Reinheit vom eigenen Ursprung, an beschönigende Lügen. -Solang du die Füße unter meinen Tisch steckst, denkst du, was ich sage.-

Und später... Ein Schild aus väterlichen Lügen gegen jene, die daran rührt. Wer ihnen nicht glaubt, dem tut sich ein Abgrund auf:

»Das Kind eines Mörders«, wie sich der »anonym« gebliebene Schreiber im Absender selbst bezeichnet. Der Absender an ein »hirnloses ETWAS«, dem man die Wahrheit anvertrauen kann, ohne selbst daran zu glauben.

Kind eines Mörders.

Nur - wer ist das nicht in diesem Österreich - 50 Jahre »danach«.

»Hast du einen Baum in deinem Garten stehn, will ich einen Rechten an ihm hängen sehn.«... hingekritzelt an die Seitenwand eines Kaugummiautomaten an der Obergnigler Buskehre.

Einen Rechten... irgendeinen?... einen unbekannten? einen von den anderen eben.

Anderswo, anderswo, weit weg vom eigenen Leben, dorthin zeigen und endlich rechtens hassen, vielleicht sogar töten dürfen und weiter glauben können - an die Reinheit vom eigenen Ursprung, an die Unbelecktheit des eigenen Denkens, an die Unversehrtheit der eigenen Geschichte.

Dieselben Sprüche, nur der Tisch ist ein anderer.

Die »richtige« Sache diesmal. Und dennoch: ein Werkzeug geblieben.

Pramhas Christine