mai 1995

Thomas Neuhold

Die Salzburger »KZler-Küche«

Zwei »Buchenwälder« organisierten die Versorgung politischer Häftlinge und rassisch Verfolgter nach 1945. Ein kleines Stück Heimatgeschichte. Teil III der kf-Serie 45 - 95

»Wie alle Menschen, die in Unfreiheit leben, haben auch die Häftlinge immer von der Freiheit und vom Leben geträumt, doch haben sie nie an die Probleme gedacht, die heute vor ihnen stehen. Die Freiheit war immer so etwas Fernes, so etwas Unerreichbares, daß man sich sie schön und unbeschwert vorstellte und nie daran dachte, daß es in der Freiheit auch noch Probleme geben wird.«

Diese Zeilen finden sich in einer Salzburger Tageszeitung von 1945 unter dem Titel »Zu neuem Leben«. Gezeichnet war der Artikel mit »Zwei ehem. Buchenwälder Nr. 8448 und 21999«.

Die Schwierigkeiten, die die politischen Häftlinge und rassisch Verfolgten nach der Befreiung 1945 erwarten sollten, waren weit größer, als die eingangs zitierten Sätze vermuten lassen. Nachdem die »Gauhauptstadt« Salzburg am 4. Mai 1945 von Kampfkommandant Oberst Hans Leperdinger in Absprache mit NSDAP-Funktionären und Wehrmachtstellen als »offene Stadt« kampflos an das XV. US-Armeekorps übergeben wurde, kamen nach und nach hunderte »KZler« in die mit Flüchtlingen aus dem Osten, versprengten Soldaten, Verwundeten und eingesessenen Bewohnern völlig überfüllte Stadt. Unter ihnen auch die »Buchenwälder 8448 und 21999«.

Die zwei - der heutige Leiter der Israelitischen Kultusgemeinde Max Feingold mit der Häftlingsnummer »8448« und der Vorsitz-ende der sozialistischen Freiheitskämpfer Edi Goldmann mit Nummer »21999« - waren es auch, die noch in der ersten Maihälfte 45 - unmittelbar nach ihrer Ankunft - begannen die Versorgung der »KZler« zu organisieren.

Im Peterskeller wurde eine Küche eingerichtet, in der die aus den Konzentrationslagern Zurückgekehrten gegen ihre Lebensmittelkarte eine Mittags- und Abendmahlzeit erhielten. Allein in den ersten fünf Monaten wanderten über 80.000 von der Stadtverwaltung finanzierte Verpflegungsportionen durch die Durchreiche. Wie viele Personen bis zum Ende der Küche 1947 versorgt werden konnten, weiß niemand: »Beinahe täglich verließen Menschen Österreich, täglich kamen neue hinzu«, erzählt Goldmann.

Wiedergutmachung an Nazis?

Aus Platzmangel übersiedelte die »KZler-Küche« Mitte August in das ehemalige Restaurant »Bratwurstglöckerl« in der Schwarzstraße 41 gegenüber dem Cafe Bazar. Das Beisl - im Eigentum der Brauerei Zipf - war 1941 vom Ehepaar Schwaighofer gepachtet worden. SS-Hauptsturmführer Schwaighofer wurde von den US-Behörden im Lager Glasenbach inhaftiert und die Stadt enteignete das Lokal gegen eine Entschädigung von monatlich 200 Schilling, die sowohl an die oberösterreichische Brauerei als auch an Schwaighofer ausgezahlt wurde, um Platz für die »KZler« zu schaffen.

Die nachfolgenden Ereignisse gaben vielen »Politischen« einen Vorgeschmack auf Hohn und Ignoranz, die sie die ganze Zweite Republik begleiten sollten: Maria Schwaighofer berief bei der Landesregierung gegen die »verfassungswidrige« Enteignung und bekam Recht. Die Auflösung des Pachtvertrages durch die Stadt sei rechtswidrig, stellten die Landesbeamten fest. Der SS-Offiziersfamilie müsse das »Bratwurstglöckerl« übergeben werden. »Wiedergutmachung an Nazis?«, empörten sich daraufhin Anfang 1946 zahlreiche Tageszeitungen.

Es war wohl vor allem der politischen Routine Goldmanns zu verdanken - im Lager Buchenwald Mitglied des sozialdemokratischen Lagerkomitees und nach der Befreiung Mitbegründer der SPD -, daß trotz entsprechendem Bescheid der Landesregierung die ehemaligen Häftlinge das »Bratwurstglöckerl« vorerst nicht räumten.

Und so kam es, daß sich Naziopfer und SS-Offiziersgattin knapp zwei Jahre nach der Befreiung vor dem Kadi gegenüberstanden. Thema der Verhandlung: Die Versorgungseinrichtung für vom NS-Regime Verfolgte sollte zugunsten von NS-Nutznießern geräumt werden.

Maria Schwaighofer hatte die gerichtliche Auseinandersetzung letztlich doch noch verloren: Nicht jedoch weil das Gericht die Interessen der NS-Opfer höher bewertet hatte als die von Stützen des Nazi-Terrors, sondern aufgrund eines Formalfehlers der klagenden Partei.