mai 1995

GastautorIn
im gespräch

»Ich bin ein Musiker, der dirigiert«

Sándor Végh über das Dirigieren, Béla Bartók und den »Kulturbolschewismus«

Es mag ja manchmal etwas seltsam, ja anrüchig mystifizierend klingen, wenn der alte Meister sein Verständnis von Musik darlegt. Bisweilen bringt er dabei einen mystischen Aspekt, einen Urgrund der Musik in Spiel, oder den Zentralgeist, der das Genie leitet. Es ist ein ausgemachter Anti-Intellektualismus, den Sándor Végh als mit entscheidend für das musikalische Erlebnis anführt, und der kann auf den ersten Blick für manche aufgeklärten Geister und solche, die es noch werden wollen, wie eine Verschleierung des Blicks wirken, die einer kritischen, hinterfragenden Auseinandersetzung mit der Musik im Weg steht. Es ist wohl viel eher das Gegenteil der Fall: Die Auftritte des Dirigenten mit der Camerata Academica, die unter anderem auch beim »Fest für Sándor Végh« ab 12. Mai im Mozarteum zu erleben sein werden, zeigen viel eher einen unablässigen Reibungsprozeß zwischen Orchester und dessen Leiter, bei dem der altbekannte Stoff, der die Tempel der klassischen Musik drapiert, ständig von neuem zu entdecken ist, bei dem jenen Partituren, die zur public domain der holden, hohen Kunst gehören, stets neu auf den Grund gegangen wird.

»Es lohnt sich zu streiten«, beschreibt der Meisterviolinist und ehemalige Leiter des berühmten Végh Quartett, der aufgrund einer arthritischen Erkrankung den Bogen gegen den Taktstock eingetauscht hat, seine Arbeitsweise: »Ich sage immer dem Orchester: Ich bin einer von Ihnen, aber ich verlange denselben Enthusiasmus und dieselbe Konzentration, die ich aufbringe. Es ist nicht das Wichtigste, daß alle Geiger ihre Bögen im Gleichschritt bewegen wie die Hollywood-Girls ihre Füße, das ist nicht mein Ziel - wir müssen auf einer viel höheren Ebene eine Einheit bilden.

Ich fühle mich nicht als Dirigent. Ich bin ein Musiker, der dirigiert. Schließlich ist ein Quartett zu führen auch eine Art zu dirigieren; vielleicht nicht mit den Händen, aber mit den Augen, der Mimik, der Suggestion. Ich habe nie Schwierigkeiten gehabt, daß die Musiker mich nicht verstehen, obwohl ich sogar oft Fehler mache; ich will nicht nur auf die Takte hindirigieren, weil mich das nicht interessiert.«

Schon darin unterscheidet sich Sándor Végh nicht unwesentlich von abgesegneten Größen (Keine Namen, bitte!), die sich mit einer straffen Verwaltung über Partitur und diensthabende Orchestermitglieder, aufgelockert durch ein paar effektvoll- geistreiche Kapriölchen, einen gesicherten Platz in den Herzen der Zuhörerschaft und am Dirigentenpult erwerben. Mag seine betonte Ablehnung der Segnungen des massen-medialen Zeitalters hie und da auch ein wenig antiquiert anmuten: Die Mechanik, nach der die gängige, unreflektierte mediale Aufarbeitung der Publikumslieblinge im Zeichen des Marktes funktioniert, wirkt dagegen richtiggehend atavistisch. Und daß gerade diese Mechanik allzu leicht zu skurril überproportionierten Spektakeln für den kleinen Mann mit der großen Brieftasche führt (und so gewiß kein Werkzeug zur Demokratisierung von Kultur darstellt), dürfte gerade in der Mozartstadt keine gänzlich unbekannte Tatsache sein.

Spannend wirkt die Person Sándor Végh auch schon deshalb, weil hier eine lange Biographie künstlerische Auseinandersetzung zeigt, die auch in der Gegenwart kulturell wie politisch gewichtige Fragen aufwirft. Es geht nicht darum, wie sich Geschichte und die sie umgebenden Geschichterln von der Zwischenkriegszeit bis heute wiederholen, sondern wie die entscheidenden Kontroversen in ihrer Quintessenz dieselben bleiben. Als junger Musikstundent am Konservatorium wurde er in den Bann gezogen von den Werken Béla Bartóks: »Ich war total gefangen durch diese Richtung, und das war total gegen meinen eigenen Lehrer, der noch im Paris am Ende des letzten Jahrhunderts lebte. Einmal wurde Hubay (der Professor, Anm.) ins Büro gerufen und ging weg. Jemand hatte die Partitur von Bartóks eben erschienener Tanzsuite mit, und wir haben uns ans Klavier gesetzt und versuchten, die Partitur zu dechiffrieren. Wir haben gar nicht bemerkt, daß unser Professor inzwischen zurückgekommen war. Es dauerte einige Zeit, bis das Klavier stumm geworden ist. Wir waren uns natürlich sehr bewußt, daß wir etwas getan haben, was gegen die guten Sitten war, und Hubay sagte: ‘Sie sind auch beeinflußt von diesem Kulturbolschewismus?’ - Damit hat er nichts Gu-tes getan, denn wir waren noch entschlossener, diese Musik weiterzubringen.«

Sándor Végh hat - speziell mit der Uraufführung von Bartóks 5. Streichquartett in Barcelona 1936 - ein entscheidendes Scherflein im »Kulturkampf« um die Werke Béla Bartóks beigetragen. Er wurde damit in das auch heute noch hochbeliebte Strafeck des »Kulturbolschewismus« verwiesen - denn die Trennlinien zwischen dem bahnbrechenden Neuen und den heimeligen Ausstattungsstücken, die zum gemütlichen geistigen Interieur des kunstbeflissenen Bürgers zählen, sind nur formell andere geworden. An den Werken von Komponisten wie Mozart, Bartok, Beethoven hat Sándor Végh stets »das Humane, Nicht-Nationalistische« angezogen. Seine Kindheit im multinationalen siebenbürgischen Koloszvár (oder Klausenburg, oder Cluj) wo er 1912 geboren wurde, bezeichnet er in diesem Zusammenhang als prägend. Der »Kulturbolschewismus« Véghs ist letztlich nicht mehr und nicht weniger als der Drang nach geistigen Feiräumen bei einem musischen Menschen: »Bartók war kein Kommunist, er war linksstehend. Aber was wollen Sie!? Vergessen wir nicht, daß Rechtsstehen damals Nazismus bedeutete, und ich wäre demnach auch Kommunist, weil ich auch gegen die ganze Hitlerei war.

Bei einer Kundgebung zum zehnten Todestag Bartóks (also 1955, Anm.) in Budapest wurde verbreitet, würde Bartok noch leben, wäre er Mitglied der KP gewesen. Sein Freund Kodály stand auf, sagte lange nichts und schließlich: ‘Wenn Bartok noch am Leben wäre, wäre er kein Mitglied der KP, weil auch keiner anderen Partei.’ Und es ist schön, was er noch gesagt hat: ‘Den Meteor kann man nicht in den Industrie-strom schalten’.«

Sándor Végh hatte zu dieser Zeit Ungarn schon lange verlassen, und er ist hat auch heute nicht vor, zurückzukehren: »Beide Materialismen, der damalige linke und der heutige rechte, sind mir unsympathisch.«

Er lebt heute in Salzburg, wo er seit 1978 die Camerata Academica leitet. Daß das international ge-feierte Kammerorchester bis heute ein Stiefkind der österreichischen Subventionspolitik geblieben ist, mag nicht zuletzt daran liegen, daß es in Freiräumen operiert, die sich dem Horizont des kulturellen Verwaltungsapparates entziehen.

Mit Sándor Végh sprach Hermann Peseckas, der im Sommer dieses Jahres eine filmische Dokumentation über den Musiker präsentiert.

Text: Mario Jandrokovic