mai 1995

Mario Jandrokovic

Erste Salzburger Kulturhäuslwanderung

Mit Sicherheit sind Toilettanlagen die Visitenkarten von Kulturstätten. Mit aller Wahrscheinlichkeit sind sie auch deutliche kulturpolitische Statements.

Es gehe bei der kommunalen Kulturarbeit letzendlich darum, gemeinsame Begriffe zu finden, hat ein bedeutender städtischer Kulturpolitiker der Gegenwart einmal gesagt. Da steht uns aber ein ganz schöner Haufen Drecksarbeit bevor, denkt sich der Hausverstand, denn schließlich beweist ein Panoramablick auf die Salzburger Kulturstätten, daß die gestreute Vielfalt des Angebots es unheimlich schwer macht, diese ominösen gemeinsamen Begriffe in Reih und Glied zu bringen. Bleiben also die Lippenbekenntnisse der Solidarität all jener, die sagen, »wir Kulturschaffenden« sitzen alle im selben Boot, das einzige verbindende Element? Wer weiß, vielleicht sitzen »wir alle« ja ganz woanders...

Wohlan, herzlich willkommen bei einer kleinen Reise, die möglicherweise etwas Klarheit darüber bringt, woher der Wind weht im kunterbunten kulturellen Szenario unserer Stadt, das bis dato offensichtlich für so manchen undurchschaubar geblieben ist. Unser kleiner Ausflug soll helfen, verbindliche Berührungspunkte zu umreißen und allgemeingültige Bilder und Visionen zu skizzieren, die eine bewegte, offenbar weit gestreute Szene anleiten. Die Spurensuche nach den gemeinsamen Nennern, die für das große wie das kleine Geschäft mit der Kultur ausschlaggebend sind, hat die Route bestimmt für unsere Bildungsreise - die »Erste Salzburger Kulturhäuslwanderung«.

Mag sein, daß der Ausgangspunkt unserer Exkursion noch ein wenig aus dem Rahmen fällt. Die sanitären Anlagen der ARGE bestechen durch unaufdringliche Gediegenheit, doch muß betont werden, daß das Kulturgelände in diesem Bereich einem ausdrücklichen Kulturauftrag noch nicht in angemessener Weise nachgekommen ist. Während andere Details - von der

Beisl-Speisekarte bis hin zum Foyer des Veranstaltungssaales - bereits deutlich zeigen, wie kraft ästhetisierender Überformung bei Kulturbetrieben Schwellenängste zu überwinden sind, wurde bei den Toilettenanlagen die Aufgabe, sich eine unverwechselbare Identität zu designen, noch nicht gänzlich bewältigt.

Viel besser ist es dabei um Das Kino bestellt. Peinliche Unkenntnis beweisen all jene, die noch immer behaupten, das Filmkulturzentrum am Giselakai sei ein »Punkerkino«. Schon ein kleiner Blick in besagte Räumlichkeiten genügt, und es offenbart sich ein Ambiente, das in seiner zarten Durchmischung hochwertiger Materialien - wie Stein, Keramik, blitzend poliertes Metall - in unaufdringlichen Farben dermaßen versöhnlich stimmt, daß sich mit Gewißheit keiner daran stoßen könnte. Alle würden daran Gefallen finden und sich hier gerne niederlassen, selbst die übermächtige Konkurrenz im harten österreichischen Kinogeschäft.

Vom Hauch an dezenter Erlesenheit, die sich im Kinokeller breit macht, hebt sich die nächste Station unserer Reise deutlich ab. Wie schon alleinig der Name vermuten läßt, gibt sich das Rockhouse im Toilettenbereich »rockiger und expressiver«; so jedenfalls beschreibt Architekt Hansi Schmidt seine delikate wie spannungsreiche Kombination. Kunterbunte Fliesensplitter an den Wänden im Dialog mit glänzendem Edelstahl-Pissoir machen die höhlenartigen sanitären Räumlichkeiten zu einer schillernden, bunten Erlebniswelt. Gegenüber diesem repräsentativen Rock-Denkmal erscheinen die Latrinen an einem anderen Ort der Rockmusik, dem Schnaitl-Pub, regelrecht mickrig. Im Musiklokal in der Bergstraße dienen die Toilettanlagen zwar als ein kommunikativer Ort, den die Benützerinnen und Benützer mit Filzstift und Kugelschreiber für sich besetzen können, den sie gleichsam zur Postadresse für ihre eigene Symbolsprache umfunktionieren; doch Architekt Schmidt wußte solcherlei Eingriffe von vornherein elegant zu verhindern, indem er sich den Farben ergab und im Rockhäusl ein unmißverständliches, ästhetisch geschlossenes Zeichen setzte: ein Zeichen verfaßt »in der Sprache des Rock’n’Roll«, wie er betont. Nein, ein solches Stück Architektur, das »fast archaisch und brutal« anmutet, könnte sich ja wirklich niemand bei einer Autobahnraststätte vorstellen, und so signalisieren Häusl wie Haus mit dekorativem Nachdruck, daß sie »Bastion einer Kultur« sind, wie uns der Architekt wissen läßt.

Blaß und profillos erscheinen dagegen auch die Anlagen in der

Elisabethbühne. Vielleicht ist es jedoch Absicht, daß gerade die besagten Räume den gutbürgerlichen, sich avantgardistisch gebärdenden Ästhetisierungsversuchen einen Riegel vorschieben. Womöglich leitet die E-Bühne von diesem Punkt aus den Aufbruch zu neuer Sachlichkeit und Bescheidenheit ein - einer Bescheidenheit, wie sie auch die Klosetts des nahen Landestheaters ausstrahlen.

Zuletzt sei der gewagteste Vorstoß in neue sanitäre Erlebniswelten erwähnt, der für die gesamte Kultur-szene nur als Vorbild dienen kann. Wer nach dem Besuch der Toiletten im ehemaligen Stadtkino noch zu behaupten wagt, die Festspiele seien inzwischen avantgardistischer als die Szene, den kann man getrost Lügen strafen! Die gelungene Kombination aus blitzendem Nirosta und Holzvertäfelungen, welche in moderaten Pa-stelltönen das Auge entspannen, zeichnet einen Weg voraus, den andere Kulturstätten zwar ebenfalls einschlagen, dabei jedoch stets etwas zögernd wirken und niemals die Treffsicherheit der Szene beweisen: Man gibt sich geschmackvoll kultiviert und stimmt so trotz des Anstrichs von avantgardistischer Ausgefallenheit versöhnlich. Mag die Szenerie auch herrschaftlich-repräsentativ wirken, so vermittelt sie doch stets einen Touch an Individualität. Gerade der abschließende Höhepunkt unserer Reise macht ganz deutlich, daß die Häusl der Kulturstätten mehr sind als nur deren Visitenkarten. Auf der Suche nach den großen Nennern von Kulturarbeit bietet sich die Naßzelle tatsächlich als eine grundlegende Basis, als ein Punkt der Begegnung an.