mai 1995

Harald Friedl
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Die Macht der Trägheit

Politiker sind lästig berührt, Kulturinstitutionen in ihrer Existenz bedroht. Vom Versuch, in der Salzburger Kulturpolitik »Politik« zu entdecken.

Die Stadt hat eine Budgetkrise: Aufgrund der Steuerreform von 1993, des Entfalls der Gewerbesteuer, exorbitanter Kostensteigerungen der gesetzlichen Sozialhilfe, des Bahnhofsvorplatz-Debakels und enorm hoher Verwaltungskosten, die 66% des Budgets schlucken. Vizebürgermeister Heinz Schaden: »Das haut uns alles zusammen!«

Die Stadt hat eine Kulturkrise: Das Konzept von Ressortleiter Bürgermeister Josef Dechant ist voller Bekenntnisse zum bestehenden Angebot. »Um die kulturpolitische Diskussion zu führen«, habe er das vorliegende Konzept erarbeitet. Doch er stellt sich der Auseinandersetzung nicht. Entscheidungen werden endlos vertagt und sogar zugesagte Gelder blockiert, wohl wissend, daß Institutionen vor dem Bankrott stehen.

Haben wir einen neuen Kulturkampf? Ach, hätten wir ihn doch! Wir hätten es wenigstens mit einem erkennbaren politischen Willen zu tun, mit dem man sich auseinandersetzen kann. Aber so gibt es, mit Paul Virilio gesprochen, nur eine »senile Gewalt«, die keinen Sparringpartner abgibt und durch ihre Ideenlosigkeit und Konfliktscheue dennoch zerstörerischer wirkt als radikale Eingriffe.

Signale der Macht

Gerhard Wohlzog, Geschäftsführer des Kulturgelände Nonntal, kennzeichnet die herrschende Kulturpolitik mit einem Begriff: »Ignoranz!« Tomas Friedmann (Eizenbergerhof) skizziert die Haltung so: »Ich bin der Boß und du bist der Empfänger.« Ein anderer Kulturstättenleiter meint: Die führenden Köpfe verhalten sich derzeit eher »wie in einem Fürstentum als wie in einer Demokratie«.

Nach außen hin wird so getan, als würde rationale Budgetpolitik betrieben. Doch weiß auch die politische Seite, daß die geringen Beträge, die man vom Kultursektor, selbst im Mordfall, abzwacken könnte, nichts an der Budgetlage ändern würden. Herbert Fartacek, ehemaliger Finanz- und Kulturreferent der Stadt, nun Gemeinderat der »Demokratie 92«: »Das sind Signale der Macht. Es gibt Politiker, die ja oder nein sagen können, wo sie ideologische Grabenkämpfe führen können.« Sein ehemaliger Parteikollege, Vizebürgermeister Heinz Schaden, sieht das ähnlich: »Weil's politisch lustig ist. Weil man damit Stimmung machen kann und weil es der einzige Bereich ist, wo man tatsächlich das Messer ansetzen kann, wohl wissend, daß es nichts bringt.« Die Ansicht von Michael Stolhofer (Szene), daß die herrschende Kulturpolitik »mehr von psychologischen als von ökonomischen Faktoren getragen ist«, dürfte ins Schwarze treffen.

»Spooky!« (Dame Edna)

»Wir haben eine repräsentative Demokratie, und es sitzen im Gemeinderat genausoviele Kulturbanausen wie im Querschnitt der Bevölkerung« (Helmut Hüttinger, Bürgerliste).

Kein Problem, wenn diese Personen bereit wären, sich in ihre neue Aufgabe einzuarbeiten. Fragt man bei den KulturstättenleiterInnen nach, wird bestätigt, daß der Großteil der Mitglieder des Kulturausschusses, auch der Bürgermeister, wenig bis keine Ahnung haben von dem Feld, über das sie entscheiden, von den inneren Bedingungen und speziellen Problemstellungen der Kulturstätten und Projekte.

Da wundern sich zuständige PolitikerInnen noch nach Jahren Ausschußpraxis, warum der Betrieb eines Theaters so viel kostet, eine Kollegin fragt nach getaner Entscheidung »Was ist denn eigentlich ein Projekt?«, ein Kollege ist irritiert, weil ein Autor öS 4.000.- für eine Lesung erhält. »Der Kultursektor hat streitbare Leute und streitbare Produkte«, so Claus Tröger (Kleines Theater), »das ist der Politik suspekt. Das prägt ihr Verhalten, das ist der Grund, sich nicht wirklich mit dem Feld auseinanderzusetzen«.

Der Großteil der Kulturpolitiker müßte offenbar bei Null anfangen. Aber anstatt anzufangen, bleiben sie meist lieber dort. Und so degradieren sie sich selbst zum Stimmvieh für Stimmungsentscheidungen und zum Opfer ihrer Vorurteile. Noch einmal O-Ton Heinz Schaden: »I gib ma des net, den Kulturausschuß, des is meine Form von Psychohygiene! Ich will jetzt nicht so tun, daß wir die Braven sind und die anderen die Bösen. Ich kämpfe auch in den eigenen Reihen gegen die Vorstellung, ja, wollen das die Leute überhaupt?«

Die Braven und die Bösen

Der Kulturjournalist Karl Harb (SN) sagt im »kunstfehler«-Gespräch: »Kunst ist immer ungehorsam, und das Gegenteil von Kunst ist vorauseilender Gehorsam. Der macht alles kaputt.« Harbs Worte in aller Kulturchecker Ohren!

»Man ist vorsichtig geworden, was man sagt. Nicht in künstlerischer Hinsicht, aber etwa hinsichtlich dieses Gesprächs, das wir führen«, bekomme ich zu hören. Viele Institutionen versuchen, »sich durch Schweigen einen kleinen Vorteil zu verschaffen«, meint derselbe. Gerhard Wohlzog hat nicht geschwiegen und einen kritischen Brief geschrieben. Die Bestrafung folgte auf den Fuß. Dem Kulturgelände wurden öS 150.000.- entzogen. Für manche seiner Kollegen ein »Siehst du, jetzt hat er's!«-Erlebnis.

Nicht ohne Ironie hebt Herbert Fartacek den menschlichen Faktor hervor. Der Bürgermeister ist »sehr sensibel und verletztbar«. Er habe immer alle Protestaufrufe gesammelt und die Unterzeichner ihren jeweiligen Institutionen zuordnen lassen. »Das ist einfach die Verletzbarkeit des Politikers.«

Die Ignoranz trifft nicht nur den Sektor, der leichthin als der alternative apostrophiert wird. Der Bachgesellschaft geht es genauso. In den Fördergesprächen zwischen Bund, Land und Stadt wurden von seiten der Stadt öS 600.000.- für 1994 zugesagt. Das ist schriftlich protokolliert. Auf Basis dieser Zusage wurde ein volles Programm durchgeführt. Angewiesen wurden letztlich öS 125.000.-. Albert Hartinger (Bachgesellschaft) über das kommende Programm: »So wie in den letzten 20 Jahren können wir nicht weitermachen«.

»Bremst, was geht!«

»Es gibt immer Instrumente, die man zwischenschalten kann, damit dieses Neinsagen nicht am Politiker hängenbleibt. Das Kulturamt etwa oder Ämter generell« (Fartacek). Waren Amtsberichte früher drei Wochen zwischen Kulturausschuß und Kulturamt unterwegs, so sind sie es heute im günstigen Fall zwei Monate.

Vizebürgermeister Heinz Schaden, zuständig für Personalfragen, bringt ein Beispiel: die Finanzabteilung weist Amtsberichte mit der Begründung zurück, die zu behandelnden Förderungen seien im Budget nicht bedeckt. Was nicht stimmt. Sie bräuchten bloß im geltenden Budgetentwurf nachzusehen. Das taten sie früher auch, nur heute »schreibt die Finanzabteilung stereotyp darauf: Die Bedeckung ist nicht gegeben«, obwohl die Mittel vorgesehen sind. Diese Verzögerung geschehe »durchaus mit Deckung und Wohlwollen des Ressortchefs«, meint Schaden. »Ich kann mir vorstellen, daß es das Aviso gibt: Bremst, was geht!«

Skandal

Eine andere Methode im Umgang mit der Kulturszene ist die Skandalisierung: etwa wenn die Freiheitlichen in Inseraten Kunstprojekte denunzieren. Schaden sieht das Problem auch in der Struktur: »Ich muß den Medien einen Vorwurf machen, und zwar generell: Man verbannt die Kulturpolitik auf die Kulturseite. Sie kommt auf der Lokalseite eigentlich nur dann vor, wenn sie zum Skandalisieren ist.« Etwa wenn der Bürgermeister von »hypertrophen Strukturen« in der Kulturszene spricht. Oder wenn ohne Kenntnis der wahren Fakten demonstrativ durchgegriffen wird. So geschehen bei der stadteigenen Kultur-GmbH »Spot«, als auf Basis falscher Zahlen und eines irreführenden ORF-Berichtes der Geschäftsführer fristlos gekündigt, ein ambitioniertes Programm verhindert und, je nach Interpretation, 20 bis 30 Millionen Kulturschillinge vernichtet wurden.

Macht und Ohnmacht

Divide et impera, das seit den Römern praktizierte Machtmittel, funktioniert. »Die Macht der Künstler und Kulturschaffenden selber wäre groß, wenn sie sich solidarisieren würden. Aber das gibt's ja nicht!« (Fartacek). Auch Wohlzog glaubt, daß die »eigene Macht sehr groß wäre, wenn es jemand schafft, sie zu koordinieren.« Schließlich beträgt die Auflage der Programme aller Kulturstätten weit über 100.000 Stück. Auch Fartacek sieht es praktisch: »Ein Theater, das 30.000 Besucher hat im Jahr und vor jeder Vorstellung sagen kann, die Kulturpolitik der Stadt ist am Ende, hat eine Wirkung.«

Ähnlich Claus Tröger: »Meine Lobby ist mein Publikum!« Doch was die Entschlossenheit und Geschlossenheit des Sektors betrifft, ist er Realist. »Im Prinzip herrscht hier dasselbe Ohnmachtsgefühl wie beim kleinen Mann, der auf der Straße nörgelt und anschließend feststellt: Aber man kann eh nix machen.«

Hart urteilt auch Karl Harb: »Die Kulturszene verliert den Gesamtzusammenhang der Kultur aus dem Auge. Damit wird das eigene Grab geschaufelt.« Und er legt eine Spur zu künftiger Unterstützung durch engagierte Journalisten: »Das Medium kann bestenfalls dann vorab reagieren, wenn ich spüre, da ist was im Kommen.«

Leider wurde ein bereits vereinbarter Termin beim Bürgermeister von ihm wegen anderer Verpflichtungen wieder abgesagt. Die Bemühungen um einen neuen gingen auch nach Redaktionsschluß weiter, und wir hoffen, den Reaktionen des Bürgermeisters in der nächsten Ausgabe den gebührenden Platz einräumen zu können.

Was die Kulturszene verdienen würde, wäre eine Politik, die als Gespächspartner auftritt. Doch was einem nicht geschenkt wird, muß man sich mit angebrachtem Selbstvertrauen erkämpfen.

Für Meinungsaustausch, Informationen, mündliche und schriftliche Stellungnahmen sowie für diverse Unterlagen sei gedankt (in alphabetischer Reihenfolge): Josef Dechant (ÖVP), Herbert Fartacek (Demokratie 92), Arno Fischbacher (Elisabethbühne), Tomas Friedmann (Eizenbergerhof), Karl Harb (Salzburger Nachrichten), Albert Hartinger (Bachgesellschaft), Helmut Hüttinger (Bürgerliste), Heinz Schaden (SPÖ), Roman Stemeseder (Magistrat), Michael Stolhofer (Szene), Claus Tröger (Kleines Theater), Gerhard Wohlzog (Kulturgelände Nonntal).