juni 1995

Birgit Feusthuber

Erbetene Aufmerksamkeit:

Teilmechanisierte Frauen, Medienfluten und die Künstler am Macht-Pol. Über Klaus Theweleit.

Sie hatte »Rosenfinger«, mit denen sie in unglaublicher Geschwindigkeit Gedichte in die Maschine tippen konnte. Das machte sie unabkömmlich für ihn, den »König«. Als »teilmechanisierte Frau« war sie involviert in seinen Werkprozeß, wurde mit Liebe und zweifelhafter Achtung belohnt, starb einsam, ohne ihn. Sie war Herta Benn, Ehefrau vom Dichter und Arzt, der mit den Nazis sympathisierte und sich als Orpheus bezeichnete.

Nach den 1977 erschienenen »Männerphantasien« legte Klaus Theweleit 1988 den ersten Band des »Buch(s) der Könige« mit dem Untertitel »Orpheus und Eurydike« vor. Eurydike, die Liebende, die stirbt, und von Orpheus' Gesang gerettet werden könnte, wenn er sich nicht umdrehen würde im Hades - dieses mythische Grundmuster bildet die Folie, die Theweleit über die Biographien von Künstler»königen« legt und Erstaunliches zutage fördert. Aufgrund der neuen Aufzeichnungstechniken wie Schreibmaschinen und Sprechapparate, die um 1900 produziert wurden, übten »Schreibmaschinistinnen« eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf Dichter aus. Franz Kafka verliebte sich in Felice Bauer in jenem Moment, als er vernahm, daß sie es liebe, Manuskripte in Typoskripte zu verwandeln. Nietzsche ließ von Lou Andreas Salome tippen, Brecht neben anderen von Margarethe Steffin. Erotische Anziehungskraft ging nahtlos über in Produktionsbeziehungen. Daß die künstlerische Produktion nach dem Tod der Frauen oftmals einen neuen Aufschwung nimmt, belegt Klaus Theweleit faktenreich. Der Hades, in den die Frauen versinken, gerät zur Quelle künstlerischer Kreativität - von Dante über Novalis, Storm, Rilke, Hamsun bis zu den schon Genannten - die Liste der Poeten, die sich vom Tod/Verschwinden des Weiblichen herleiten, ist lang und läßt sich bis heute mühelos fortsetzen. Frauen als Musen und Impulsgeberinnen für das künstlerische Werk - ein altes Thema, neu und irritierend aufbereitet. Das vernetzte, assoziative Denken, das sich hier auf über tausend Seiten ausbreitet, fasziniert: die Verwobenheit von Literatur- und Musik(geschichte), Psychoanalyse, Bild- und Comicmaterial, das auf kongeniale Art und Weise den Text kommentiert und interpretiert, die Einbeziehung aktueller und historischer politischer Ereignisse, die Selbst-Reflexion des Autors im Schreibprozeß, dies alles liest sich wie ein spannender Krimi, den man nicht mehr aus der Hand legen kann - und ist doch so viel mehr. Denn Theweleits assoziatives Strömen treibt spiralförmig durch die jeweiligen

(Un-)Bewußtseins-Schichten und hebt den Schmerz des »Ungeborenseins« ins Buchstabenlicht. Das ist nicht mehr nur eine aufregende Auseinandersetzung mit Kunst und Politik, da werden unser aller Lebens(un)möglichkeiten verhandelt.

Nun liegen die nächsten zwei Bände des Theweleitschen Werkes vor - wieder steht Gottfried Benn am Beginn der Auseinandersetzung, diesmal mit der bohrenden Ausgangsfrage: wie wird einer Faschist, wie schließt sich einer dem Macht-Pol an, wie konnte der, dessen Wörter anarchische, subversive »Entzündungsträger« waren, sich dem Dumpfen, Geistlosen anbiedern? »Will man beschreiben, wie einer Nazi wird, muß man ermessen, wer er vorher war«. Natürlich. Auch hier versucht ein »Nicht-zu-Ende-Geborener« über sich hinauszuwachsen, über Liebes-, Kunst- oder Machtbeziehungen zu gebären, sein Ich auszudehnen. Der »Underdoc« Benn, schlecht bezahlt in Brot-(Arzt-) und Drang- (Dichter-)Beruf gerät ab 1929 in den Kampf der Linken um die literarisch adäquate Schreibweise gegen den Faschismus. Mit journalistischen Methoden setzt er sich zur Wehr und schlittert unaufhaltsam ins tiefbraune Eck. Benn, der »Orpheus am Machtpol«, verwandelt sich am 27.Februar 1933, dem Tag des Reichtagsbrandes, endgültig in einen Faschisten: »Die Revolution ist da, und die Geschichte spricht. Wer das nicht sieht, ist schwachsinnig. Dies ist die neue Epoche des geschichtlichen Seins, über ihren Wert oder Unwert zu reden, ist läppisch, sie ist da«. Theweleit, der Benn-Verehrer, versucht, dem Phänomen dieser Verwandlung nachzuspüren, obsessiv, hunderte Seiten lang und tief. Privates Leiden und die sich zunehmend verengende, an Extremen sich zusammenballende Außenwelt treiben den dichtenden Underdoc in die tödlichen Gefilde. Wäre Rettung möglich gewesen? Wenn Freunde zur richtigen Zeit da gewesen wären, hätte das ausgereicht? Theweleit leuchtet akribisch die Dunkelheit jener Jahre aus, in denen Benn wie ein angeschossenes Tier herumtappte und zurückschlug, mit seinen Mitteln, der Sprache. Nicht ideologische Überzeugung, sondern der gnadenlose Existenzkampf der Linken, die Kränkung der Nicht-Anerkennung von Größen wie Thomas und Heinrich Mann, entwirft seiner Meinung nach diesen Nazi, er entsteht »aus Isolation und Einengung bzw. Wegnehmen des Spielraums der äußeren Welt (..) und aus der Wiederbelebung eigener abgelebter Figuren«. Der Traum, Kunst und Staat könnten sich verbinden zu einem belebenden Ganzen - er ist bald ausgeträumt. Benn, der die »Züchtung des neuen deutschen Menschen« in Radioreden propagierte, tritt 1934 von der faschistischen Bühne ab, nimmt das frühere, nur in der Spaltung zwischen Dichter und Arzt funktionierende Leben wieder auf. Die Kälte des Macht-Pols wird ersetzt durch die Wärme von Frauen-Liebe und die gewohnte Einsamkeit des Schreibens. Die Auseinandersetzung mit Ernst Jünger im Anschluß gerät weniger heftig und emotionsgeladen - er und seine Literatur interessieren Theweleit auch weniger (was ihm nicht zu verdenken ist). In die Untiefen von Kunst und Macht schrauben sich die Gedankenspiralen auch im zweiten Teil des zweiten Bandes »Recording Angel's Mysteries«. Die Aufzeichnungs-Engel Elvis Presley und Andy Warhol, deren Karrieren ja symbolhaft für Aufbruch und Befreiung stehen - auch sie sind undenkbar ohne die Anbindung an den Macht-Pol. An ihnen wird laut Theweleit kenntlich, daß der Künstler des 20.Jahrhunderts mit den Mitteln der traditionellen Psychoanalyse nicht mehr faßbar ist; in ihm offenbart sich mehr »ein Produktionsverhältnis, ein Medien/Mensch-Kombinat, als ein fest umrissenes `Individuum`«. Und die Künstlerin? (Ja, Gertrude Stein...) Das wäre insgesamt noch ein weites Feld. Die Männer Presley und Warhol jedenfall spielten perfekt auf der Klaviatur der (Medien-) Macht. Der Rock`n Roll-König, Drogenverschlinger, bietet 1970 Nixon an, als verdeckter Ermittler gegen Drogenmißbrauch zu arbeiten - samt CIA-Ausweis und besten Wünschen für seine Tätigkeit. Und Andy Warhol plaudert mit dem Schah von Persien, es ist alles so nett. Daß Warhols Kunst jedoch von Beginn an nicht auf die Verteidigung künstlerischer Autonomie gerichtet war, vielmehr die Machtnähe intendierte, somit nichts verraten, sondern konsequent erfüllt wurde, darauf haben einige Rezensenten hingewiesen. Wie auch immer: Die Frage, wieso produktive, subversive Energie tendenziell gefährdet ist, in zerstörerische Zonen zu kippen - dies treibt Theweleit um, dem will er auf die Spur zu kommen, tausende Seiten hindurch, unermüdlich.

Band 3 und 4 werden Freud und Céline ins Zentrum der Auseinandersetzung stellen, weitere unerbetene Biographien werden folgen. Wir harren dieser Kriminalromane und Fallberichte mit hellwacher Aufmerksamkeit.