juni 1995

Didi Neidhart

»Das Land der Mitternacht«

Über rechte Verschwörungstheorien, Templeroffenbarungen, Baron Rothschild und UFOs

So kann es einem ergehen. Da will man seinen heimlichen Interessen für obskure Weltverschwörungstheorien nachgehen, die einst durch die intensive Lektüre von Robert A. Wilsons und Robert Sheas abenteuerliche Kult-Trilogie »Illuminatus!« geweckt wurden und landet mitten in der geballtesten Ansammlung kryptofaschistischer Verschwörungstheorien, die es wohl derzeit auf dem Buchsektor gibt.

Statt intelligent durchgeknallter Pop-Fiction bekommt der Leser in »Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert« (Ewert) ein krudes Sammelsurium von Lügen, Halbwahrheiten und schlecht recherchierten Geheimbund-Historien (»Illuminatus!«-Leser dreht es dabei den Magen um).

Man könnte noch über einige Spinnereien des Autors (der sich selbst ganz witzig das Vampir-Jäger-Pseudonym Jan Van Helsing aneignet und in einem Stil schreibt, der an eine etwas unterbelichtete Ausgabe des Kreml-Fliegers Matthias Rust mit Hang zu Perry Rhodan-Fantasien erinnert) gequält die Stirn runzeln. (Etwa wenn die »deutsche Ingenieurskunst« in bezug auf von Nazis entwickelten UFOs gelobt wird und der Autor allen Ernstes die Überlegung anstellt, ob nicht Hitler mit so einem Gerät nach Südamerika geflohen sein könnte). Nur liegen vorher schon über hundert Seiten, auf denen die geheimbündlerischen Bedrohungen (Freimaurer, Zionisten, Kommunisten, oder die obskuren Illuminaten mit ihrer »gefährlichen« Losung »Liberté, Egalité, Fraternité«) für das weiße, christliche Abendland als angeblich reale Fakten dargestellt werden. Fakten, die, laut Autor, von den Allierten seit dem Krieg unter Verschluß gehalten und von der »zionistisch-anglo-amerikanischen« Medien-Lobby unterdrückt werden.

Rassistische Phantasmen wäre der treffendere Begriff für jene »Theorien«, die nicht zuletzt zum Holocaust führten. Allen ist dabei das psychopathologische Grundmuster einer paranoiden, angsterfüllten Mehrheit, die sich vor einer übermächtigen, fremden und geheimen Minderheit, nahezu bis in die kleinste Zelle des Körpers bedroht fühlt, gemein. Denn da das christliche Abendland und der Kapitalismus die am besten funktionierenden und glückbringendsten Systeme dieser Welt sind, können sie gar nicht von selber in eine Krise schlittern. Krisen in diesen Systemen können nur von außen initiiert und gesteuert werden. Kracht es an der Börse, ist dies kein Symptom des Kapitalismus, sondern ein bewußt herbeigeführter Schlag jüdischer Bankiers.

Wie sehr solche Vorstellungen immer noch Anhänger finden und realitätsbestimmend bzw. -bildend sind, läßt sich an der Tatsache ablesen, daß das Buch mittlerweile ein »absoluter Renner« (so meine Buchhändlerin) geworden ist, sich aber auch in den Bekennerschreiben der »Bajuwarischen Befreiungsarmee« bzw. der »Salzburger Eidgenossenschaft«, zu den Bombenattentaten von Oberwart und Stignatz Stellen finden, die den Kanon rechter Verschwörungstheorien (Freimaurer, Juden) behinhalten. Unlängst hat ja auch F-Chef Jörg Haider seine Antwort auf Ebergassing, die F-intern recherchierte Verschwörung »Linke Netze« präsentiert, die fast alle öffentlichen und privaten Institutionen in Österreich auflistet, die nicht im selben politischen Spektrum agieren wie die F-Bewegung und ihr nahestehende rechte Kirchenkreise.

Die Angelpunkte rechter Verschwörungstheorien sind Anti-Semitismus und der Glaube daran, zu einem auserwählten Volk zu gehören. Besonders in deutsch-nationalen Kreisen ist man sich seiner Auserwähltheit sicher und greift dabei auf kryptische Quellen aus dem Mittelalter zurück, die auch Van Helsing als »Beweis« anführt. Demnach sind wichtige Passagen aus der Bibel (die »wahre« Offenbarung Jesu betreffend) von jüdischen Spionen entfernt worden.

Warum nun diese Hypothese und nicht die Tatsache, daß die Kirche selber die Bibel nach ihren politischen Vorstellungen zusammenstellte, von immanenter Relevanz ist, leitet sich von den Schlüssen ab, welche die Tempelritter im 11. Jhdt. nach dem Fund angeblich uralter hebräischer Texte gezogen haben. Danach ist der Gott des alten Testaments (der Gott der Juden) der Satan und Jesus (der Gott des neuen Testaments) sein Widersacher. D.h.: »Eliminierung der jüdisch-christlichen Kirche und stattdessen den Aufbau einer urchristlichen Glaubensgemeinschaft unter Ausschaltung aller alttestamentarischen Komponenten.« Ein »judenfreies« Christentum mit anderen Worten. Der Autor weiß auch noch von einer »Templeroffenbarung« zu berichten, die besagt, daß das »Reich des Lichtes« (die Wiederkunft des Messias) im »Land der Mitternacht« (Deutschland) entstehen wird. Dazu wird auf den »vollständigen Urtext« (natürlich geheimgehalten) des Matthäus-Evangeliums verwiesen, in dem Jesus Germanen, die in der römischen Legion Dienst tun, mit der Schaffung des Lichtreichs auf Erden beauftragt (der Ort der letzten Schlacht zwischen den Lichtmenschen und den Anti-Christen ist das Walserfeld am Fuße des Unterbergs).

Dieser »Auftrag« wurde zu einem Grundpfeiler der Nazi-Ideologie (der quasi-religiösen Charakter mit dem Führer als »Erlöser« an der Spitze, der Ostfeldzug als »göttliche« Mission). Hitler stieß darauf in Wien durch die Lektüre von »Ostara, Briefbücherei der Blonden und Mannesrechtler«, herausgegeben von Jörg Lanz von Liebesfeld. Dieser hatte 1900 den »Orden des Neuen Tempels« gegründet und trieb die »Ausschaltung aller alttestamentarischen Komponenten« in Richtung Arierwahn/Herrenmenschentum. Jesus wurde »Frauja« genannt (nach der Bibelübersetzung des Gotenbischofs Ulfilas) bzw. »Asing« und der Kampf zwischen den hellen und den dunklen Rassen (die »Niederrassigen, »Affigen«) propagiert. (Näheres dazu in: Wilfried Daim: Der Mann, der Hitler die Ideen gab. Böhlau 1985)

Für die weltweite Verbreitung der »jüdischen Gefahr« sorgten weiße, angelsächsische Protestanten aus den USA. 1920 veröffentlichte Leo P. Ribuffo die anti-semitische Hetzschrift »The International Jew«, die in der deutschen Übersetzung zu einer Basisquelle für Hitlers »Mein Kampf« wurde. Geschildert wird eine internationale jüdische Konspiration, die sich u.a. in der populären Musik (»Jazz is a Jewish creation«) und im Sport (»Baseball was curiously notable for its Jewish caracter«) manifestiert. Finanziert wurde das Ganze von Henry Ford, der nicht nur das Fließband erfunden hat, sondern auch die »Die Protokolle der Weisen von Zion« in den USA massiv publizierte. Für diese anti-semitische »Pionier«-Tat wurde er in »Mein Kampf« lobend erwähnt und erhielt 1983 das große Kreuz des deutschen Adlers verliehen. Die »Protokolle« (auf die Van Helsing sein ganzes Verschwörungsgebäude aufbaut und deren Verbot in Deutschland er als Einschränkung der Meinungsfreiheit bezeichnet - in den USA sind sie nach wie vor erhältlich) sind ein nachdrücklicher Beweis, wie rassistische Fiktion zu blutiger Realität wird. Inhalt der »Protokolle« ist ein geheimes Treffen jüdischer Familienoberhäupter Ende des 18. Jhdt. im Hause der Rothschilds und die dabei ausgehandelten Weltverschwörungs-

pläne. Was hier als »authentische« Quelle ausgegeben wird, ist ein Patchwork aller, seit dem frühen Mittelalter in Europa kursierenden Mythen über den »dämonischen Juden«. In »The Warrant For Genocide« stellt Norman Cohn die Entstehungsgeschichte der »Protokolle« im 19. Jhdt. nach und stößt dabei auf ein »Im jüdischen Friedhof zu Prag« betiteltes Kapitel einer Novelle (!), welches später unter dem Titel »Die Rede des Rabbis« in Europa verbreitet wurde und dessen fiktionaler (wie auch rassisitischer) Charakter sich immer mehr zu einem akzeptierten Faktum transformierte und somit die Grundlage der »Authentizität« der »Protokolle« lieferte. Die »Wirksamkeit« der »Protokolle« zeigte sich erstmals zu Beginn unseres Jhdts., als sie auf Betreiben des Zaren in Umlauf gebracht wurden und die anti-semitischen Tendenzen des Landes in Progromen gipfelte.

Die »Protokolle« sind die Basis aller rechten Verschwörungstheorien und ihrer realen Auswirkungen (das aktuellste Beispiel dafür ist der Bombenanschlag von Oklahoma City als Rache für die Erstürmung der Davidianer Sekte). Mit ihnen wird die Verschwörung des »internationalen Finanzjudentums« und die »jüdisch-bolschewistische Weltrevolution« (Van Helsing wird dabei nicht müde, die große Anzahl jüdischer Revolutionäre aufzuzählen und leitet dabei auch den Namen »Rote Armee« von Rothschild = »Rotes Schild« ab) erklärt.

Daß man sich das jetzt wieder in der Buchhandlung besorgen kann, ist wohl kein Zufall.

Literaturtip: James Ridgeway: Blood In The Face. The Ku Klux Klan, Aryan Nations, Nazi Skinheads, and the Rise of a New White Culture. Thunder’s Mouth Press 1990. Ausführliche Darstellung des »braunen Netzwerks« in den USA und seiner geistesgeschichtlichen

Grundlagen.