juni 1995

Harald Friedl

Häuser, Plätze, Songs und Sätze

Streifzug durch Salzburg 1945. Ein Passieren von Schauplätzen, ein Blättern in Zeitungsberichten, ein Stöbern in den Erinnerungen seiner BewohnerInnen. Teil IV der kf-Serie 45-95.

Kriegsende. Ein Anfang von etwas. Fremde Truppen in der Stadt: schon wieder! Oder erstmals, je nach politischem Standpunkt. Die amerikanischen Militärstrategen hatten andere Truppenteile für die Einnahme der Region vorgesehen und diese darauf vorbereitet. Doch sie wurden in Italien aufgehalten. So kommen Soldaten, die auf die hiesige Kultur überhaupt nicht vorbereitet sind. Es wird gemordet, vergewaltigt, geplündert.

Salzburg muß wie eine Geisterstadt gewesen sein, zerbombt und mit Ausgangssperre belegt. Eine angeblich besoffene Panzerbesatzung versucht, ihr Gefährt durch die Steingasse zu zwängen. Ihr Weg endet am Haus Nummer 14 und hinterläßt eine Narbe am Gebäude des heutigen “Das Kino”. Die Hotels werden für die Truppen beschlagnahmt. Dazu drei Prozent aller Salzburger Wohnungen. Es sollen nur solche von Nazis sein, doch die Requirierungspraxis ist dubios. Auch viele Nicht-Nazis müssen, oft innerhalb einer Stunde nach Aufforderung, ihre Behausungen verlassen, ohne Gewißheit, wann und ob sie wieder zurückkehren können.

Überleben

30.000 intakte Wohnräume für eine Bevölkerung von 112.000 Personen werden registriert. Die Salzburger Nachrichten schreiben am 28. September 45: Die Unterbringung von 13.500 Menschen ohne winterfestem Quartier »wird ein weiteres Zusammenpressen der ohnedies in fürchterlicher Enge lebenden Einwohner unvermeidlich machen«. Im Sommer wird das »Wohnungsanforderungsgesetz« beschlossen. Erwachsene WohnungsinhaberInnen können jeweils ein Zimmer für sich beanspruchen. Wenn ein Paar über drei Räume verfügt, wird in den dritten eine obdachlose Familie einquartiert, wenn eine alleinstehende Person drei Räume hat, bekommt sie zwei Familien zugewiesen.

Daß diese Zwangsmaßnahmen auch nach durchgestandener Kriegskatastrophe vielen nicht einsichtig sind, zeigt sich an der Mühe, die der Artikelschreiber über viele Zeilen hinweg aufwendet: »Auf persönliche Bequemlichkeit des Einzelnen« könne beim besten Willen keine Rücksicht genommen werden, denn: »Es geht eben um Menschenleben. Der Mitbürger, der nicht verstehen will, daß man in seine Wohnung fremde Personen einweisen muß, hat die volle Schwere seiner persönlichen Mitverantwortung noch nicht erfaßt.«

Wohnraum zu schaffen ist neben der Nahrungsmittelversorgung das größte Problem. Da kratzt Österreich sogar an einer seit Josef II. staatstragenden Säule, der Beamtenschaft. Vizebürgermeister Kraupner klagt, die Stadt habe viel zu viele Büromenschen, und fordert: »In den Kanzleien wird man mit den unzähligen Beamten aufräumen müssen oder sie durch Frauen, ältere Männer und Kriegsversehrte ersetzen, um die Kräfte der muskelstarken jungen Männer freizumachen«.

1400 Kalorien stehen in den ersten Nachkriegsmonaten laut offiziellen Angaben jeder Person zur Verfügung. Bis Juni 46 sinkt der Wert auf 1040. Der neugegründete ÖGB sieht den Grund dafür im »Bürokratismus unserer Ernährungsämter, dem Egoismus unserer Bauern und der Wirtschaftssabotage einiger Großschleicher«. Im Oktober 46 stehen einige Schleichhändler vor Gericht und die Salzburger Volkszeitung bedauert, »daß die großen Auftraggeber nicht auf der Anklagebank sitzen, sondern sich und ihre Schäfchen ins Trockene gebracht haben.«

Das normale Leben

Der Schwarzmarkt konzentriert sich zunächst um das Hotel Stein. Ein verdeckter Ermittler berichtet im Juni 45 von einer »organisierten Gruppe von Bulgaren, Jugoslawen und einigen Österreichern«, die hier »geschäftliche Umschläge« durchführen. Er kontaktiert einen Serben namens Milos Cvetkovic, wohnhaft Judengasse 15, der angeblich mindestens zehn Plätze weiß, wo Nahrungsmittel, Stoffe und Schmuck aus »Wehrmachtsbeständen und ähnlichen Quellen« gelagert werden. Die beiden Männer gehen auf Zimmer 32 des Hotel Stein. Dort spielen Männer Karten. Am Tisch stapeln sich »50 und 100 RM-Noten sowie US-Dollar und britische Pfund«. Ein Kilo Kaffee kostet 500 RM, ein Liter Öl oder ein Kilo Butter 300 RM, ein Kilo Mehl 120. Mehl ist in Salzburg so teuer wie nirgendwo sonst in Österreich.

Die Amis brachten nicht nur die Befreiung, sondern auch den Beginn des amerikanischen Kulturimperialismus. Im Juli 45 wird die »Rainbow Division« nach Salzburg verlegt. Die Residenz ist Sitz der Militärregierung. Der Sender Rot-Weiß-Rot nimmt am 6. Juni im Franziskanerkloster, dem ehemaligen Gestapogebäude, seinen Betrieb auf. Am 7. Juni 1945 erscheinen erstmals die Salzburger Nachrichten, auch eine Gründung des »Information Services Branch«. Im Oktober des selben Jahres gehen sie in österreichische Hände über. Am 3. Juli eröffnet am Alten Markt ein »US Information Center«, »Propaganda-shops« heißen sie im Volksmund. Am 12. August eröffnet General Clark die ersten Salzburger Nachkriegsfestspiele. Böhm und Karajan haben Auftrittsverbot. Kulturoffizier Otto de Pasetti bemüht sich um Yehudi Menuhin als künstlerischen Leiter. An der Alpenstraße wird das »A.Y.A.-Bad« gebaut. Der Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen hält eine Rede: »Die Vereinigten Staaten können solche Einrichtungen natürlich nur in begrenztem Ausmaß schaffen. Aber es gibt keine Grenze für die Ausbreitung der Idee, auf welcher diese Einrichtung beruht.« Die Idee, die Keyes meint, heißt Demokratie.

Das bessere Leben

Überall werden »Little Americas« errichtet. Die G.I.s sollen sich wohlfühlen. Clubs erblühen hinter grauen Gemäuern. Ins Hotel Pitter, das jetzige Holiday Inn, kommt ein Jazzclub, der »Sky Haven Garden«. Im Keller spielt die schlechtere, im Erdgeschoß die bessere Band. Der »Roxy Ballroom« eröffnet am 11. Dezember im Festspielhaus, im Schloß Mirabell, das seit den 30er Jahren Spielcasino und Bar ist, der »Red Cross Club«. Feiner gehts im Österreichischen Hof und im Bristol zu. Beides sind reine Offiziersclubs. Man trinkt Bier, Whisky on the Rocks, Gin mit Juice. Der Hit der langen Nächte heißt »Sentimental Journey«.

Doch die heißeste Adresse ist der Riedenburger Club »Royal Roost« in der Neutorstraße 25, und die schärfste Nummer heißt »Night Train«. Hier wird Cool Jazz gespielt, so gut, daß schon nach wenigen Auftritten der Formation um den Lieferinger Saxophonisten Joe Wagner der Club jeden Abend gerammelt voll ist. Das Publikum ist fast ausschließlich schwarz, die weißen Flecken sind die Musiker und ein paar Leute vom »Blue Danube Network«. An den meisten Abenden wird auch gejammed. Ein paar Jazzer von der 47. Army Band stoßen dazu. Sie bringen ihre Lieblingsschellacks mit. Joe Wagner nimmt sie mit nach Hause, schreibt die Stücke auf Notenblätter, und am nächsten Abend ist die Nummer im Repertoire.

»Wo Schwarze waren, sind Weiße nicht hingegangen«, erzählt Joe Wagner. Es herrscht Apartheid. Der »Royal Roost« wird schließlich von einem anderen Manager übernommen, der die Schwarzen loshaben will. Er ist, »so traurig es klingen mag, ein Jude«, ärgert sich Wagner über den Rassismus noch heute. Der neue Besitzer engagiert eine neue Band, und ein paar Tage später kommen tatsächlich keine Schwarzen mehr. Da auch die Weißen ausbleiben, muß der Club zusperren.

Wer bei den Amerikanern beschäftigt oder mit ihnen befreundet ist, hat es besser. Die Angestellten bekommen ein freies Mittagessen im Sternbräu, das »Stern« wird zur Musikerbörse. Viele Frauen lassen sich mit Amerikanern ein. Als Prostituierte, als Geliebte, als Ehefrauen. Am 4. Jänner 1946 tritt der »War Brides Act« in Kraft, der Eheschließungen und Einwanderung in die USA regelt. Schon in den ersten zwei Wochen werden 300 Anträge gestellt. Zwischen 1945 und 55 kam es allein in der Stadt Salzburg zu 1200 Hochzeiten zwischen Amerikanern und Österreicherinnen. 10% aller Eheschließungen!

Die Amis gelten als lässiger und auch als respektvoller gegenüber Frauen. Und sie können, anders als die Österreicher, Dolce Vita bieten. Ihre Freundinnen bekommen Wohnungen, gutes Essen, Kleider, Nylons. Maria M., Jg. 1925, erzählt: »Ich habe drei Jahre nach Kriegsende immer noch keinen Wintermantel gehabt, habe mir die Beine und Hände gefroren. Die Amibräute haben die schönsten Kleider gehabt. Wir haben sie angeschaut wie ein Weltwunder.« Die Salzburger Volkszeitung vom 14. Oktober 1946 klagt: »Teils in »mondänem« Putz, teils in der Maske bäuerlicher Züchtigkeit lachen diese Fraternisierungsgirls ihren Ami, Ruski, Tommy oder Jean an, gleich ob weiß, schwarz oder schattiert.« Das Blatt fürchtet um die Volksgesundheit und um den Ruf des Landes: »Ist es unbedingt wünschenswert, daß der Ami oder Tommy, der in sein Land zurückkehrt, dort erzählt, daß die Landschaft in Austria zwar »lovely«, der Menschenschlag »funny«, die Mädchenwelt aber ein großes Bordell sei?« Die Zeitung der Salzburger Besatzungsdivision »Rainbow Reveille« läßt keine Gelegenheit verstreichen, die G.I.s als »accompanied by their frauleins« darzustellen: »Number one operator seems to be Pfc. John »The Lover« Vargo.«

Das Time Magazine vom 29. Juli 1946 berichtet, daß die meisten der 15.000 G.I.s in Österreich zwischen 18 und 22 Jahre alt und »far from sad young men« sind. »Around Salzburg's steep Bierjodelgasse (Beer-Yodel-Street) G.I.s noisily scouted for beer gardens.« Das Magazin stellt fest, daß es allein im Juni 46 fünf Anzeigen wegen Vergewaltigung gegeben hat. Der Beitrag endet mit dem Satz: »The first crop of Austrian babies fathered by helpful G.I.s is sizable.«

1955 ziehen die Amis ab. »Mir war die Besatzungszeit sehr angenehm«, sagt Joe Wagner, »man hat damals klass Swing-Musik spielen können.« Mit einem Schlag hat er damals sein Publikum für jene Musik, die er am meisten liebte, verloren.

Dank an Ingrid Bauer, Eugene Sensenig und Joe Wagner für Gespäche und Materialien. Mit Unterstützung des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung.

Literatur: R. Floimair, Hrsg.: »Vom Wiederaufbau zum Wirtschaftswunder« und R. Wagenleitner: »Coca-Kolonisation und Kalter Krieg«.