juni 1995

Birgit Feusthuber

Von gläsernen Decken und Wänden

oder: Über die Ambivalenz eines Salzburger Frauen-Preises

Die Arbeit

Die Decke ist gläsern. Deswegen spürt man sie erst, wenn man auf der Sprosse steht und an sie anstößt, während andere, vorwiegend männliche Kollegen durch sie hindurchsteigen, als würde es sie gar nicht geben. Aber nicht nur oben, wo man hinaufwill, verstellt die gläserne Decke den Weg. Auch neben dem eigenen Körper gerät man an die durchsichtigen Wände, es ist ein Käfig, man ist gefangen, es ist ein Alptraum.

Die gläserne Decke ist zu finden in jedem Betrieb und sie versperrt vorwiegend Frauen den Weg zu einer besser bezahlten, gesicherteren, interessanteren Position. Die gläsernen Wände sind beispielsweise bestimmte Arbeitsmarktsegmente, in denen Frauen wie gefangen verharren, mit denen sie voneinander isoliert werden, damit keine Solidarisierung erfolgen kann. Das Schlimmste aber: Den meisten Frauen ist das Glas nicht bewußt, das ihren Bewegungsradius einengt, es bleibt bei einem unbestimmten Unbehagen.

»Ich werde immer radikaler« sagt Birgit Buchinger.

Dies scheint kaum verwunderlich, zielen ihre Studien doch ins Zentrum der Ungleichheit, der Beschneidung von Lebens- und Entfaltungschancen - vorwiegend von in- und ausländischen Frauen. Die Projekte, die sie gemeinsam mit anderen Sozialwissenschafterinnen vom Institut für Alltagskultur bearbeitet, schärfen den Blick auf die Realität, die durch Zahlen und Fakten untermauert wird. Ihre Arbeit ist geschlechtsspezifische Forschung in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Arbeitswelt. Das Gleichbehandlungsgesetz etwa: Die offensichtlichen Diskriminierungen, die Spitze des Eisbergs, wurden großteils beseitigt, die Strukturen jedoch blieben unangetastet. »Das macht es verschleierter und undurchschaubarer«. Ob es Mädchen in Berufsfindungsprozessen, alleinerziehende Mütter sind, Betriebsrätinnen, Untersuchungen über Akkordarbeit - die geschlechtsspezifischen Merkmale und Probleme sind ähnlich, die Auswirkungen gesellschaftlich sanktioniert. »Es ist ein perfektes System, und die Frauen wirken unbewußt kräftig mit, es aufrechtzuerhalten«. Männer können in die breiten Fußstapfen jener treten, die vor ihnen waren oder sie werden die Sprossen der Leiter - an den Frauen vorbei - hinaufgezogen. Die Seilschaften - das ist bekannt - sind bei gebührlichem Benehmen reißfest. Birgit Buchinger und Erika Pircher haben den amerikanischen Begriff »class ceiling« in die österreichische Diskussion eingeführt und weiterentwickelt. Im Handbuch zur Studie versteckter Diskriminierung, das soeben erscheint, werden diese Vorgänge wie ein Krimi aufbereitet: »Johanna Bond und das Geheimnis der gläsernen Decke«. Vom Frauenministerium in Auftrag gegeben, legt es dedektivisch dar, was der Fall ist. Frauen, die aufsteigen können, finden sich manchmal in einer Sackgasse wieder. Manche Erstbesteigerinnen, denen der Durchbruch an die Spitze gelingt, wollen sich oftmals den Erfolgswind ohne Konkurrentin um die Nase wehen lassen.

Im Übersteigen der bisherigen

Geschlechtsidentitäts-Grenze eignen sie sich männliche Verhaltensweisen an oder werden - wenn sie eigene Wege gehen wollen - zum »Mannweib« oder zur »Emanze« stilisiert. Und die Mutterschaft? Bei ihren Studien kamen die beiden zu dem Ergebnis, daß die Fluktuation von Frauen und Männern quantitativ nicht weit auseinanderliegt - die Gründe und Konsequenzen sind jedoch sehr unterschiedlich. Wenn Männer einen Betrieb verlassen, sind Karrieregründe ausschlaggebend, sie kommen in der Regel nicht mehr zurück. Frauen gehen in Karenz und finden nach ihrer Rückkehr oftmals einen schlechteren Arbeitsplatz vor. Oder sie lassen sich auf die »dequalifizierende« Teilzeitarbeit ein, die als Zusammenarbeit von Unternehmen und Müttern propagiert wird und letztendlich nur der Wirtschaft dient. Kein gesichertes Gehalt, keine Karrieremöglichkeit und Armut im Alter sind die Konsequenzen. Birgit Buchinger ist Politologin und arbeitet seit sechs Jahren am Salzburger Institut für Alltagskultur. Nach ihrer Promotion wollte sie in die Forschung gehen, kam über das AkademikerInnentraining ans IAK. Der gemeinnützige Verein, 1979 gegründet, finanziert sich ausschließlich über Projekte, erhält keine Grundlagenförderung. »Es ist grotesk: Ich forsche über nicht gesicherte, unterbezahlte Arbeitsplätze und bin doch selbst mit dieser Realität konfrontiert«. Dennoch bietet diese Arbeit Möglichkeiten und Freiräume, die die negativen Begleiterscheinungen erträglich gestalten. Teamarbeit, Gruppenarbeit, politisch heiße Themen sind die wesentlichen Merkmale dieses qualitativen Forschens. »Es geht uns darum, das Wissen von untersuchten Personengruppen zu aktivieren und sie anzuleiten, dieses Wissen gegen technokratische Prozesse, gegen Fremdbestimmung anzuwenden. Uns interessiert, wie Individuen Vergesellschaftungsprozesse realisieren, wie produktives Potential erweitert werden kann«. Begleitende Arbeitskreise, Seminare mit »Beforschten« und ständige Reflexion unterstützen diese Zusammenarbeit.

Der Preis

Sie war eine Freidenkerin, schrieb gegen die Zwänge des Frauendaseins, verweigerte sich einem bürgerlichen Leben. Irma von Troll-Borostyani lebte als Schriftstellerin und Essayistin von 1882 bis zu ihrem Tod 1912 in Salzburg. Mutig und kompromißlos trat sie in zahlreichen programmatischen Schriften für die volle soziale und politische Gleichstellung der Frau ein. Die Literaturwissenschafterin Christa Gürtler hob sie mit ihrem im Otto-Müller-Verlag 1994 erschienenen Buch aus dem Dunkel des Vergessens. Erstmals wurde heuer am Frauentag der Irma von Troll-Borostyani-Preis an drei Frauen vergeben, die sich mit ihrer Arbeit besonders um Salzburger Frauen verdient gemacht haben: Die künstlerische Leiterin der Elisabethbühne, Renate Rustler-Ourth, Isabella Kirchmaier, die sich für ein Kinderbetreuungsprojekt engagiert, und Birgit Buchinger. Die erste Reaktion bei ihr war Freude über diese Anerkennung. Dann kamen die Zweifel. Das Frauenkulturzentrum stand kurz vor der Schließung, das Sparpaket mit seinen vor allem Frauen betreffenden Verschlechterungen war soeben beschlossen worden. Inwieweit besteht die Gefahr, sich mit diesem Preis funktionalisieren zu lassen? Die Nicht-Dotierung des Preises nährt dieses Unbehagen. Ob man will oder nicht - in jedem Bereich wird der Wert einer Auszeichnung nach der Höhe ihrer Dotierung gemessen. Da mutet der warme Händedruck von Vizebürgermeister Schaden, die Urkunde und das Gemälde einer Künstlerin doch ein wenig mager an. Dagmar Stranzinger (Frauenbüro) ist offen für diese Kritik und wird sich für das nächste Jahr um Sponsoren bemühen. Birgit Buchinger nahm den Preis trotz ambivalenter Gefühle entgegen - nicht zuletzt aufgrund der Namensgeberin. »Die Freiheit des Denkens bei Irma Troll-Borostyani, ihre Kompromißlosigkeit, das macht sie zu einer Identifikationsfigur«. Und nicht nur für ihre Arbeit will sie den Preis verstanden wissen - sie sieht ihn als Wertschätzung für die mit ihr arbeitenden Wissenschafterinnen am IAK sowie für das Institut insgesamt. Denn: »Ohne die ständige Zusammenarbeit und intensive Auseinandersetzung, ohne die Förderung der ehemaligen wissenschaftlichen Leiterin des Vereins, Barbara Burgstaller, würde es mich und unsere Ergebnisse nicht geben.« Sollte Johanna Bond im Institut für Alltagskultur vorbeischauen, wird sie vermutlich kein Geheimnis lüften können. Sie wird drei Männer und fünf Frauen an Schreibtischen sitzen und manchmal heftig diskutieren sehen. Und vielleicht muß sie aufpassen, daß sie nicht auf die herumliegenden Glasscherben tritt, wer weiß.